Donnerstag, 31. Januar 2019

10341-10350

daz ir an vröuden sint verzagt.
ir hânt mîns vater hort bejagt
und alle sîne rîcheit.
ich meine daz guldîne cleit,
daz an im der wider truoc,
daz wære iu nû gemæze gnuoc,
daz ir niht trûric wærent
und iuwer clage verbærent,
diu mir gît jâmer unde nôt.‹
Jâson der rede antwürte bôt

dass ihr alle Freude habt fahren lassen.
Ihr habt den Schatz meines Vaters erjagt
und all seinen Reichtum.
Ich denke doch, dass das goldene Kleid,
das der Widder getragen hat,
euch genügen sollte,
um nicht traurig zu sein 
und um eurer Seufzen zu unterlassen,
das mir Schmerzen und Qual bereitet.‹
Jason antwortete auf diese Worte

Mittwoch, 30. Januar 2019

10331-10340

daz man iuch trûric vinden sol?
nû mügent ir doch iemer wol
von wâren schulden sîn gemeit,
sît iuwer hant die werdikeit
aleine hât ervohten,
die niht erstrîten mohten
mit ir kreften alle man.
kein ritter nie sô vil gewan
êren unde wirde als ir.
dâ von sô missevellet mir,

dass man euch traurig antrifft?
Dabei könntet ihr doch von nun an
aus guten Gründen fröhlich sein,
da ihr allein, mit eigener Hand,
das Ansehen erkämpft habt,
das alle anderen Männer
mit ihrer Stärke nicht hatten erkämpfen können. 
Kein Ritter hat je so viel
Ansehen und Würde erlangt wie ihr.
Deshalb finde ich es nicht gut, 

Dienstag, 29. Januar 2019

10321-10330

und niht sîn vater vröute sich
von sîner wirde lobelich
und durch sîn gelücke hôch.
von herzen holt er unde zôch
siufzen vil an eime tage.
nû daz Mêdêâ sîne clage
erhôrte und in beswæret vant,
dô sprach diu schœne sâ zehant:
›Herr unde herzelieber man,
wie stât daz iuwern êren an,

und nur sein Vater sich über
seinen vielgerühmten Ruhm 
und sein ihm zugeneigtes Schicksal nicht freute. 
Viele Seufzer holte und zog er 
eines Tages aus seinem Herzen.
Als nun Medea sein Seufzen hörte
und ihn traurig antraf,
da sagte die Schöne sogleich:
›Herr und von Herzen geliebter Mann,
wie passt das zu eurem Ruhm,

Montag, 28. Januar 2019

10311-10320

vil kûme leit vrœlich gemach.
Jâson und als er daz gesach,
daz er sô cranc von alter was
und er niht vröuden an sich las
durch die vil hôhen êre sîn,
dô truoc er drumbe swæren pîn
und inneclichen smerzen.
in muote in sînem herzen,
daz alle Kriechen wâren dô
von sîner sigenüfte vrô,

wurde von der allgemeinen Fröhlichkeit nicht erfasst.
Als nun Jason gesehen hatte,
dass er durch das Alter so geschwächt war
und durch seinen großen Ruhm
keine Freude empfand,
da ergriff ihn großes Leid
und der Schmerz traf ihn im Innersten.
In bekümmerte von Herzen,
dass gerade alle Griechen
über seine Erfolge glücklich waren  

Freitag, 25. Januar 2019

10301-10310

Êson verdulden bî der zît,
dô man sich vröute enwiderstrît
dur sînes kindes êre.
diu tempel wurden sêre
mit opfer dâ gezieret.
dâ wart gefestivieret
mit kerzen und mit sange wol.
dur in wart kurzewîle vol
arm unde rîch gemeine,
wan daz sîn vater eine

zu dieser Zeit,
als man sich wegen des Ruhms seines Kindes
um die Wette freute. 
Da wurden die Tempel
mit vielen Opfern bedacht.
Da wurden Feste gefeiert
mit Kerzen und mit Gesang. 
Wegen ihm waren
Arm und Reich ganz vergnügt,
nur allein sein Vater

Donnerstag, 24. Januar 2019

10291-10300

in unkrefte manic jâr,
wan im daz houbet und daz hâr
von alter wâren grîse
nâch eines mannes wîse,
der lange zît gelebet hât
noch dekeiner wunne rât
ze herzen mac gevazzen.
daz alter vröuden hazzen
von natûre gerne wil;
des mohte keiner hande spil

seit Jahren schon ihre Kraft verloren,
weil ihm Kopf und Haar
durch das Alter grau geworden waren,
so wie das bei Männern ist,
die schon lange leben
und keine Fürsprache der Freude
in ihrem Herzen festhalten können. 
Weil das Alter von Natur aus 
Freude am liebsten verabscheut, 
deshalb konnte Eson keinerlei Vergnügen zulassen,

Mittwoch, 23. Januar 2019

10281-10290

mit lobelichem schalle.
die liute brâhten alle
den göten opfer und gebet,
dar umbe daz erworben het
ir herre ganze wirdikeit.
dur in was allez daz gemeit
daz ie dâ vröuden wart gewon,
wan daz sîn vater Êson
dekeiner wunne mohte pflegen.
sîn hôchgemüete was gelegen

mit Hilfe der allgegenwärtigen Lobreden.  
Die Leute brachten alle,
weil ihr Herr größtes Ansehen
erworben hatte,
den Göttern Opfer und Gebete dar.
Wegen ihm waren alle glücklich,
die jemals Freude empfanden;
einzig sein Vater Eson
konnte sich nicht freuen.
Seine edle Gesinnung hatte 

Dienstag, 22. Januar 2019

10271-10280

und tet niht dem gelîche.
swaz in Jâsônes rîche
was ritter unde frouwen,
die fuoren alle schouwen
den hôhen werden prîsant,
den gefüeret in daz lant
der helt des mâles hæte.
prîs unde wirde stæte
wart im erboten mit genuht.
er sneit vil hôher êren fruht

und zeigte es nicht nach außen. 
Alle Ritter und Damen,
die es in Jasons Reich gab,
die kamen, um 
die wichtige, wertvolle Trophäe zu sehen,
die der Held jüngst
in das Land gebracht hatte.
Lob und ewiges Ansehen
wurde ihm in Hülle und Fülle zuerkannt.
Er erreichte die Früchte eines hoch hinaufragenden Ansehens

Montag, 21. Januar 2019

10261-10270

daz er geworben hete alsus.
sîn veter künic Pêleus
erbunde in dirre wirde.
daz er nâch sîner girde
gelac niht under wegen tôt,
daz was sîn allermeistiu nôt
an herzen und an sinne.
er truoc im kranke minne
und was im âne schult gehaz.
doch hal er tougenlichen daz

dass ihm das alles gelungen war. 
Sein Onkel, König Peleus,
ersparte ihm diese Hochachtung.
Dass er nicht, so wie er es gewollt hatte,
unterwegs getötet worden war,
das war sein größter Kummer,
der sein Fühlen und Denken belastete.  
Er empfand ihm gegenüber nur wenig Zuneigung
und hasste ihn, ohne Grund.
Doch das hielt er sorgsam verborgen

Freitag, 18. Januar 2019

10251-10260

der Êson was geheizen.
in sînes landes creizen
vröute sich vil manic lîp;
alt unde junc, man unde wîp
von sîner künfte wâren geil.
si dûhte ob aller sælde ein heil,
daz er den schæper ûz erkorn
und eine frouwen hôchgeborn
mit sînen kreften hete erstriten.
doch wart er anderswâ geniten,

der Eson hieß. 
Überall in seinem Land
freuten sich die Menschen –
Alt und Jung, Männer und Frauen
waren froh über seine Rückkehr.
Ihnen schien es der größte Segen von allen zu sein,
dass er das außergewöhnliche Vlies
und eine adelige Frau
mit seiner Kraft erobert hatte. 
Doch wurde er anderswo darum beneidet,

Donnerstag, 17. Januar 2019

10241-10250

gerechen möhte bî den tagen.
sîn râche diu wart undertragen
mit eime tôde bitterlich.
nû merkent, wie daz hüebe sich.
Er was ze Kriechen schiere komen,
und dô sîn kunft wart dâ vernomen,
dô wart enphangen er sô wol,
daz man enphâhen niemer sol
baz dekeinen künic doch.
sîn vater lebte dennoch,

das Leben genommen. 
Seine Rache wurde 
von einem bitteren Tod durchkreuzt.
Passt nun auf, wie das geschah.
Er war bald nach Griechenland gekommen
und als man dort von seiner Ankunft hörte,
da wurde er so gut empfangen,
dass man nie wieder einen 
König besser empfangen wird.
Damals lebte noch sein Vater,

Mittwoch, 16. Januar 2019

10231-10240

als ich dâ vorne sagete.
daz er si dannen jagete,
daz lac in allez inne.
daz im ein grôz unminne
erboten würde von in zwein,
des wâren si beid über ein
mit triuwen und mit eiden komen.
doch wart daz leben ê benomen
Jâsône, des geloubent mir,
ê daz er sich nâch sîner gir

wovon ich dort vorne erzählt habe. 
Dass er sie davongejagt hatte,
das hatten sie nicht vergessen.
Und dass ihm ein erhebliches Unbehagen
durch sie beide zuteil werden müsse,
dass beschlossen sie beide
im Vertrauen auf die Treue des jeweils anderen und mit Eiden.
Doch wurde Jason, glaubt mir das,
noch ehe er sich damals, so wie er es wollte, 
rächen konnte,

[Für die Übersetzung von V. 10233 müsste ich mir vielleicht Parallelstellen heraussuchen; meine Übersetzung ist eine Vermutung.]

Dienstag, 15. Januar 2019

10221-10230

als ir gehœrent wol her nâch.
im wart zuo sîme lande gâch,
dâ streich er hin mit stæter ger,
wan Hercules sîn mâc und er
wurden in gedenke brâht,
und wâren ûf den sin verdâht,
wie si geræchen beide ir leit
und die vil hôhen smâheit,
die ze Troye vor der stete
in Lâmedon der künic tete,

was euch gleich noch genau erzählt werden wird.
Er hatte es eilig, in sein Land zu kommen,
und dorthin zog er mit festem Willen,
doch fingen Herkules, sein Verwandter, und er,
an, sich Gedanken zu machen,
und fragten sich immer wieder,
wie sie sowohl ihr Leid als auch
die überaus große Schande rächen könnten,
die ihnen Lamedon, der König,
zu Troja vor der Stadt, zugefügt hatte,

Montag, 14. Januar 2019

10211-10220

wart sît von im verlâzen.
der helt begunde mâzen
triuwen sich engegen ir;
daz wirt iu noch geseit von mir,
ê disiu rede ein ende neme.
swie sêre unstæte missezeme,
doch brach er sîne stætekeit.
sîn tugent nider wart geleit
an der vil küniclichen fruht.
er brach an ir lieb unde zuht,

wurde später von ihm verlassen. 
Der Held fing an, seine
Treue ihr gegenüber zu mäßigen;
ich werde euch davon noch berichten,
bevor diese Erzählung zu einem Ende kommt.
Auch wenn es sich nicht gehört, unzuverlässig zu sein –
er verletzte dennoch seine Treuepflicht.
Seine Tugendhaftigkeit wurde  
dem überaus königlichen Kind entzogen.
Er verletzte ihr gegenüber Regeln der Zuneigung und Erziehung,

Freitag, 11. Januar 2019

10201-10210

beslâfen und geminnet was.
er nam z’ein ander unde las
sîn ingesinde dô zehant
und fuorte gegen Kriechenlant
den schæper und die frouwen sîn.
daz diu getriuwe künigîn
von ir vater schiet dur in
und mit im vuor ze lande hin,
daz was ein übel mære,
wan diu vil tugentbære

geschlafen und Zärtlichkeiten ausgetauscht hatte.
Daraufhin holte und versammelte er
sogleich seine Gefolgsleute
und führte das Vlies und seine edle Dame
gen Griechenland.
Dass sich die treue Königin
wegen ihm von ihrem Vater trennte 
und sich mit ihm auf die Reise begab,
das war ein üble Geschichte,
denn die überaus Ehrenhafte

[Ich gehe davon aus, das die Bedeutung von »geminnet« hier nahe an »beslâfen« grenzt, wobei ich ungern »beschlafen« übersetzen möchte, weil das Wort heute wohl kaum mehr jemand verwendet.]

Donnerstag, 10. Januar 2019

10191-10200

zer ê gegeben in der stat,
wan er genôte ir vater bat
die vrouwen z’eime wîbe dô.
der bete wart der künic vrô,
wan er in dô gewerte
mit willen des er gerte.
Die vrouwe schœne und ûz erkorn
gap er dem ritter hôchgeborn
ze wîbe und offenlîche z’ê,
diu von im tougenlichen ê

in der Stadt zur Ehefrau gegeben,
weil er eifrig ihren Vater darum bat,
die Dame zu seiner Ehefrau zu machen.
Über diese Bitte zeigte sich der König erfreut,
schließlich hat er ihm damals willentlich 
das zugestanden, was er begehrte.
Die schöne, ausergewöhnliche Frau,
gab er dem hochgeborenen Ritter
zur Frau und verband die beiden – für alle sichtbar – zum Ehebund;
sie, mit der er schon zuvor heimlich

Mittwoch, 9. Januar 2019

10181-10190

und heten manger hande zal.
si lâgen tougen âne schal
biz ûf gedranc der clâre tac.
Jâson dô langer niht enlac,
er stuont ûf tougenlichen sâ;
dar nâch beleip der fürste dâ
vierzehen tage ân underbint.
des hôchgebornen küniges kint
Mêdêâ diu getriuwe
wart im ân alle riuwe

und viel hatten sie sich zu erzählen.
Sie lagen heimlich beieinander, ohne Lärm zu machen,
bis der helle Tag sich erhob.
Da blieb Jason nicht länger liegen,
sondern stand sogleich leise auf.
Im Anschluss blieb der Fürst
vierzehn Tage ununterbrochen dort. 
Das Kind des hochgeborenen Königs,
die treue Medea,
wurde ihm, ohne dass dies irgendwelchen Kummer verursacht hätte,

Dienstag, 8. Januar 2019

10171-10180

sô der vil tugentbære
Jâson benamen wære.
Waz hülfe, ob ich nû seite vil
von manger hôher wunne spil,
daz im dâ z’êren wart getân?
dô man ze bette solde gân,
dô sleich er zuo der vrouwen sîn.
er und diu werde künigîn
mit vröuden al die naht beliben.
die minne si nâch wunsche triben

wie der überaus fähige 
Jason es zweifellos war. 
Was brächte es, wenn ich nun groß
von vielen überaus angenehmen Vergnügungen erzählte,
die ihm zu Ehren dort veranstaltet wurden?
Als man zu Bett zu gehen hatte,
da schlich er zu seiner Dame.
Er und die angesehene Königin
verbrachten freudvoll die Nacht.
Der Liebe gingen sie nach, ganz so wie sie es sich wünschten,