Donnerstag, 28. Februar 2019

10411-10420

die stiure und die genâde birt,
daz er von iu gejunget wirt,
sô wil ich iemer, sælic wîp,
iuch minnen für mîn selbes lîp.‹
Mêdêâ diu gedâhte dô
vil tougen wider sich alsô:
›wie gar getriuwe dirre man
dem vater sîn gewesen kan!
er öuget an im hôhe tugent,
sît daz er wolte sîner jugent

zur Stütze wird und wenn ihr ihm Gnade zuteil werden lasst,
so dass er von euch verjüngt wird,
dann will ich für immer, glückselige Frau,
euch lieben wie mich selbst.‹
Medea überlegte daraufhin Folgendes,
ganz heimlich für sich selbst: 
›Wie treu doch dieser Mann
gegenüber seinem Vater ist!
Er erkennt an ihm große Fähigkeiten,
da er von seiner Jugend

Montag, 11. Februar 2019

10401-10410

geruochent ouch ein cleine.
möht ich mit im gemeine
die grôzen swære sîn getragen,
ich wolte gerne an mînen tagen
ein teil dest alter werden.
wie kan mir ûf der erden
wird unde lop ze nutze komen,
sît mînem vater ist benomen
fröud unde hôchgemüete.
ist daz im iuwer güete

auch einen kleinen Teil seines Alters mir aufzubürden.
Könnte ich mit ihm gemeinsam 
seine große Last tragen,
dann würde ich mit Freuden von nun an
ein wenig älter sein. 
Wie sollen mir hier auf Erden
Würde und Ansehen etwas bringen,
wenn doch meinem Vater
Freude und Glückseligkeit genommen sind?
Wenn ihm eure Güte

Freitag, 8. Februar 2019

10391-10400

des alles künnent ir ze vil.
dâ von ich gerne muoten wil,
ob ich mit hulden wol getar,
daz ir iuwer helfe dar
ûf mînen vater kêrent
und sîne kraft gemêrent
mit listen unde sîne tugent.
ich meine, daz ir mîner jugent
ein teil beginnent ûf in legen
und sînes alters ûf mich wegen

das alles beherrscht ihr im Übermaß. 
Deshalb würde ich gerne darum bitten,
wenn ich dieses Ansinnen überhaupt vorbringen darf,
dass ihr meinem Vater eure Hilfe
zukommen lasst
und mit euren Künsten seine Kräfte stärkt
und seine Fähigkeiten.
Ich könnte mir vorstellen, dass ihr einen Teil
meiner Jugend auf ihn übertragt
und euch dazu bereit erklärt,

Donnerstag, 7. Februar 2019

10381-10390

sô bæte ich gerne, vrouwe mîn,
daz iuwer kunst im würde schîn
und iuwer hôhiu meisterschaft.
ir hânt sô tiefer sinne kraft,
daz ir grôz wunder schickent.
ir flehtent unde strickent
alle witze in einen knopf.
ir hânt den zagel und den kopf
der siben liste erkennet.
swaz wîsheit ist genennet,

dann würde ich gerne darum bitten, edle Dame,
dass er eures Könnens ansichtig werde
und eurer großen Gelehrsamkeit. 
Ihr verfügt über die Macht so tiefer Weisheit,
dass ihr große Wunder bewirkt.
Ihr flechtet und strickt
alles Wissen zu einem Knoten.
Ihr kennt die sieben freien Künste
in- und auswendig.    
Was auch immer man für Gelehrsamkeit hält,

[Lexers Handwörterbuch zu »knopf«: »knoten, schlinge […], da wo die fäden einen knoten bilden«]

Mittwoch, 6. Februar 2019

10371-10380

von sîme herzen blüende jugent.
er ist an kreften und an tugent
verweiset und verarmet.
dâ von mich diz erbarmet,
daz beide arm unde rîche
sint vrô durch mich gelîche
und er vil alters eine
sich fröuwet mîn sô cleine,
daz er in sorgen wirt gesehen.
möht ez mit fuoge wol geschehen,

von seinem Herzen die blühende Jugend hinweggenommen.
An Kräften und Fähigkeiten
ist er verwaist und verarmt.
Deshalb erweckt es mein Mitleid,
dass alle, das Volk und die Mächtigen,
wegen mir gleichermaßen fröhlich sind
und nur er ganz allein
sich über mich so wenig freut,
dass man sieht, wie traurig er ist.
Wenn es nicht unhöflich ist,  

Dienstag, 5. Februar 2019

10361-10370

von mîner schulde werden geil.
daz hât beswæret mich ein teil
und an mîner vröude entwegen.
er ist von alter siech gelegen
an hôhem muote manigen tac,
dar umbe er sich niht vröuwen mac
alsam die jungen alle.
von mîner wirde schalle
kan er gewinnen keinen trôst.
sîn dürrez alter hât gelôst

mich nicht fröhlich werden.
Das hat mich etwas traurig gemacht
und mir ein wenig von meiner Freude genommen.
Schon seit langem ist er wegen seines 
Alters krank an Freuden,
so dass er, anders als all die Jüngeren,
nicht mehr heiter sein.
Aus dem Trubel, den meine Anerkennung und mein Ansehen auslösen,
kann er keinen Trost ziehen.
Sein dürres Alter hat 

Montag, 4. Februar 2019

10351-10360

gezogenlichen unde sprach:
›frouwe, ich lîde ein ungemach,
daz mich betrüebet sêre.
mir hânt geboten êre,
die mich êren solten hie.
enphangen wart ein künic nie
rîlicher in dem lande sîn.
sich vröuwet von der künfte mîn
arm unde rîch, wîp unde man,
wan daz mîn vater niht enkan

höfliche und sagte:
›Verehrte Frau, es gibt etwas, das mich beunruhigt
und mich sehr traurig macht.
Mir haben all diejenigen Respekt
bezeugt, die mir hier Respekt zu bezeugen hatten.
Nie wurde ein König herrlicher
in seinem Land empfangen. 
Über meine Rückkehr freuen sich
Arm und Reich, Männer und Frauen,
nur allein mein Vater kann durch