Freitag, 15. September 2023

18680-18689

man darf ze strîteclicher nôt

witz unde hôher crefte wol.

swer vehten unde urliugen sol,

der muoz wîs unde küene sîn.

herr unde lieber vater mîn,

der beider mir gebristet.

ich bin dâ vor gevristet,

daz ich rât unde witze habe,

wan ich der jâre bin ein knabe,

der lützel guoter sinne treit.


Man braucht in der Hitze des Gefechts

viel an Verstand und großer Stärke.

Jeder, der kämpfen und in den Kriegen ziehen muss,

der muss weise und tapfer sein.

Mir aber, mein Herr und Vater,

fehlt es an beidem.

Guter Rat und Verstand 

sind mir noch fern,

weil ich an Jahren ein Kind bin,

das noch wenig Verstand hat.

Donnerstag, 14. September 2023

18670-18679

ich hân dar ûf ze kranken sin,

daz ich verrihte ein michel her

und ez ûf ellentrîche wer

mit mîme râte kêre.

hæt aber ich die lêre

und den sinnerîchen muot,

daz ich ze strîte wære guot

und ich dar zuo vervienge,

sô rite ich unde gienge

durch iuch mit willen in den tôt.


Ich verstehe zu wenig davon, 

ein großes Heer zu leiten

und es unter meinem Kommando 

in ein tapferes Gefecht zu führen.

Wenn ich etwas davon verstünde

und darauf vertrauen könnte,

dass ich in Kampf und Krieg bestehen kann

und mich dazu eigne,

dann würde ich für euch 

mit Freude in den Tod reiten und ziehen.

Mittwoch, 13. September 2023

18660-18669

und kunde mit getæte

niht sûmen sich dar under.

an im lac tugende wunder

und keiserlicher wirde.

mit reines herzen girde

sprach er zuo sînem vater dô

schôn unde minneclîche alsô:

›herr unde vater, künic wert,

ir hânt der dinge an mich gegert,

der ich ze tump noch leider bin.


konnte aber durch Gesten und Bewegungen

nicht noch mehr Zeit gewinnen. 

Er strahlte ein unglaubliches Maß an Tugend aus

und an kaiserlicher Würde.

Mit einem Wollen, das aus einem reinen Herzen kommt,

sagte er dann zu seinem Vater

auf schöne und liebenswerte Weise Folgendes:

›Herr und Vater, edler König!

Ihr erwartet Dinge von mir,

für die leider noch zu unwissend und unerfahren bin. 

Dienstag, 12. September 2023

18650-18659

daz nam er ab dem houbte sîn.

dar nâch sô leite er unde twanc

sîn ûz erwelten hende blanc

vür sich gezogenlîche.

der clâre tugentrîche

antwürte sînem vater bôt.

er kunde reden wol ze nôt

und sprach vil selten anders iht.

mit bœser zal enwolte niht

vergâhen sich der stæte


den nahm er von seinem Kopf. 

Danach dann legte und verschränkte er 

seine wunderbaren weißen Hände

ganz anständig vor sich.

Der Strahlende, tugendhafte,

stand seinem Vater Antwort.

In schwierigen Zeiten wusste er, seine Worte zu wählen,

ansonsten sagte er nur selten etwas.

Der Rechtschaffene wollte sich nicht übereilen,

um keine schlechte Rede zu halten,


[Hände »twingen« meint vermutlich »falten«, »verschränken«.]

Montag, 11. September 2023

18640-18649

nû dar! getriuwer degen hêr,

gehüge, daz ich dîn vater bin

und kêre dar ûf dînen sin,

daz wir den Kriechen widerstân,

der craft uns schaden hât getân.‹

Hector, der hübsche jungelinc,

als er vernam die tegedinc,

dâ stuont er ûf geswinde gnuoc.

ein schapel, daz er ûfe truoc,

von gimmen und von golde fîn,


Auf geht’s, treuer, tapferer Kämpfer!

Vergiss nicht, dass ich dein Vater bin

und tu alles dafür,

dass wir die Griechen besiegen,

deren Macht uns geschadet hat.‹

Als Hector, der tugendhafte junge Mann,

gehört hatte, was Sache war,

da stand er eilig auf.

Einen Kranz, den er auf dem Kopf trug,

aus Juwelen und schönem Gold,

Freitag, 8. September 2023

18630-18639

dâ von sô pflic dû mîner süne,

die dîne lieben bruoder sint.

Hector, vil herzeliebez kint,

mîn trôst an dîner helfe stât.

sol mînes leides werden rât,

daz muoz von dîner lêre komen.

sô kürlich und als ûz genomen

wart nie kein ritter, sô dû bist.

des mac dîn helferîcher list

verswenden al mîn herzensêr.


Kümmere du dich deshalb um meine Söhne,

deine lieben Brüder. 

Von Herzen geliebter Hector!

Mein Glück hängt an deiner Hilfe!

Wenn es ein Mittel gegen mein Leid gibt,

dann sind das deine Taten.

So hervorragend und außergewöhnlich

wie du war noch nie zuvor ein Ritter!

Deshalb kann dein kluges, helfendes Handeln

all mein Unglück vertreiben. 

Donnerstag, 7. September 2023

18620-18629

dîn rât in ungemüete kan

wol ringen unde büezen.

die fürsten alle müezen

dir werden undertænic.

nieman sol widerspænic

belîben, herre, dîme gebote.

mîn herze minnet dich nâch gote

vür allez, daz ich ie gesach.

dû bist vür sorge ein obedach

und vür trûren mir ein büne,


In Momenten des Mismuts und des Leids 

kann dein Rat besänftigen und schlichten.

Alle Fürsten müssen dir

unterstellt werden;

niemand darf sich deinem Befehl

widersetzen.

Herzlich liebe ich dich – als nächsten nach Gott –

mehr als alles, das ich je gesehen habe.

Du bist mir Schutz und Schirm vor Sorge

und ein Bollwerk zum Schutz vor Trauer. 

Dienstag, 5. September 2023

18610-18619

nû volge mîner ræte,

sô daz dû dich ze strîte wegest.

ich wil, daz dû der rotte pflegest

vil gar mit dem gebote dîn

und dîne werden bruoder sîn

all under dîner meisterschaft.

swie vaste ir iegeliches kraft

ein her bewachen müeze nû,

doch ger ich, lieber sun, daz dû

sîst ir aller houbetman.


folge nun meinem Rat

und mache dich zum Kampf bereit.

Ich will, dass du den Befehl über

die Heeresschar übernimmst

und alle deine edlen Brüder

sollen unter deinem Oberbefehl stehen.

Auch wenn ein jeder von ihnen

sich um ein Heer kümmern muss,

möchte ich, lieber Sohn,

dass du ihr Hauptmann bist. 

Montag, 4. September 2023

18600-18609

dar an gedenkent, helde guot,

und gebet willeclichen solt!

sô werden iu die ritter holt

und gât iu niemer nihtes abe.

daz iuwer iegelicher habe

ein her in sîner huote,

des ger ich unde muote

mit herzen und mit sinne.

Hector, den ich dâ minne

mit veterlicher stæte,


Vergesst das nicht, ihr guten Krieger,

und gebt bereitwillig den Sold!

Auf diese Weise gewinnt ihr die Zuneigung der Ritter

und es wird euch an nichts fehlen.

Ich will und möchte,

dass jeder von euch

ein Heer führt,

mit Herz und Verstand.

Hector, den ich

mit väterlicher Unerschütterlichkeit liebe, 

Freitag, 1. September 2023

18590-18599

und er kein obez tragende wirt,

daz edel unde nütze sî.

dâ neme ein rîche bilde bî,

des guot niht sî gemeine.

ez muoz ze jungest eine

belîben küniclicher habe.

an hôher gülte gât im abe,

sô nieman sîne gâbe zert.

swer sich der vînde gerne wert,

der muoz hân milteclichen muot.


und kein Obst trägt,

das edel und nützlich ist. 

An diesem Gleichnis kannst du erkennen,

was passiert, wenn Güter nicht verwendet werden:

Zuletzt wird königlicher Besitz

einsam und allein sein;

der König hat keine Schuldner, die ihm verpflichtet sind,

wenn niemand seine Gaben verbraucht.

Jeder, der sich der Feinde zu erwehren hat,

der muss freigiebig und großzügig sein.