Freitag, 29. Januar 2021

14150-14159

in dûhte ein angestbære dinc

und ein vil grôz unbilde,

daz zwêne vische wilde

in zugen ûz dem tobenden sê,

wan er gedâhte, daz im wê

von in geschehen solte.

von êrste er wænen wolte,

daz er diz wunder spæhe

in einem troume sæhe,

dar nâch verstuont er und vernam,


Es schien ihm eine beängstigende Lage zu sein

und eine Ungeheurlichkeit,

dass zwei frei lebende Firsche

ihn über das stürmische Meer zogen,

denn er ging davon aus, dass sie ihm

Leid zufügen würden.

Zuerst hatte er glauben wollen,

dass er dieses kunstvolle Wunder

in einem Traum sähe;

danach aber merkte und verstand er, 

Donnerstag, 28. Januar 2021

14140-14149

lit ich von strîte doch die nôt,

diu mir von wazzer ist bereit,

daz diuhte mich ein sælikeit

und wære mir ein liebez dinc.

ich wolte gerne in einen rinc

ze kampfe treten unde gân

und mangen vrechen man bestân,

dur daz ich niht würd in daz mer

alsus versenket âne wer.‹

Die rede treip der jungelinc.


Wenn ich doch in Kämpfen in die Notlage geraten wäre,

in die ich hier durch das Wasser geraten bin,

das schiene mir ein großes Glück 

und wäre mir eine angenehme Sache!

Gerne stünde ich auf einem Kampfplatz

zum Kämpfen bereit und würde

gegen viele kühne Männer antreten,

damit ich nicht auf diese Weise

ohne Gegenwehr in das Meer versenkt würde.‹

Diese Rede hielt der junge Mann. 

Mittwoch, 27. Januar 2021

14130-14139

swer diz joch habe gemachet,

daz ich bin von hûse komen?

man hât Schŷrône mich genomen,

der muoz mich leider hân verlorn.

owê, daz ich ie wart geborn!

wer hât dem wâge mich gegeben?

wie muoz mit jâmer sich mîn leben

verzollen und verzinsen!

ich vürhte, daz mich dinsen

die vische wellen in den tôt.


Wer hat mir das angetan,

dass ich von zuhause entfernt wurde?

Man hat mich Schyron weggenommen,

der mich nun leider verloren hat.

Oh weh, dass ich je geboren wurde!

Wer hat mich an die Fluten übergeben?

Warum muss sich mein Leben 

mit Schmerz und Leid verzollen und verzinsen?

Ich fürchte, dass mich 

die Fische in den Tod tragen werden.

Dienstag, 26. Januar 2021

14120-14129

sô wæne ich anders, denne ich sol,

und habe unrehte zuoversiht.

bî mînem meister slâfe ich niht,

wan ich in wazzer swimme.

sît daz ich mîne stimme

wol hœre sunder lougen

und ich mit beiden ougen

sih alsô manic wunder,

sô bin ich worden munder

und ûz dem slâfe erwachet.


dann glaube ich etwas anderes, als ich glauben sollte,

und hege eine falsche Hoffnung.

Ich schlafe nicht bei meinem Meister,

weil ich im Wasser schwimme.

Da ich meine Stimme

deutlich höre, ohne Zweifel,

und ich mit beiden Augen

so viel Wunderliches sehe,

bin ich offenbar wach

und schlafe nicht mehr.

Montag, 25. Januar 2021

14110-14119

die mich in eime ledere tragen

senfteclichen über sê.

wart ie sô vremdez wunder mê,

sô daz hie ze hûse bin

und ich doch wæne, daz ich hin

dort swimme z’einer vremder habe

waz rede ab ich vil tumber knabe?

wil ich gelouben, daz ich sî

Schŷrône mînem meister bî

und daz ich slâfe in sînem hol,


die mich in einem Ledersack 

ruhig und sanft über das Meer tragen.

Gab es je ein so fremdartiges Wunder,

dass ich nämlich hier zu Hause bin

und ich dennoch den Eindruck habe, dass ich 

hin zu einem fremden Hafen schwimme?

Was rede ich nur, ich törrichtes Kind!

Wenn ich glauben will, dass ich bei

Schyron sei, meinem Meister,

und dass ich in seiner Höhle schlafe,

Freitag, 22. Januar 2021

14100-14109

swie mich bedunke, daz ich sî

dort in dem engestlichen mer

und in ein vremdez rîche ver,

doch weiz ich und erkenne wol,

daz ich in Schyrônes hol

ûf einem rûhen steine lige.

ruow unde slâfes ich hie pflige

und wæne doch dâ zwischen,

daz ich zwein wilden vischen

sî gebunden an ir kragen,


Auch wenn mir scheint, ich sei

dort in dem gefährlichen Meer

und würde in ein fremdes Reich fahren,

weiß ich doch genau und bin mir sicher,

dass ich in Schyrons Höhle

auf einem rauen Felsen liege.

Ich ruhe aus und schlafe

und dennoch scheint mir,

dass ich an den Hals 

zweier ungezähmter Fische gebunden sei,

Donnerstag, 21. Januar 2021

14090-14099

waz ist diz ungeverte,

daz mich alsus betriuget

und sich ze schaden biuget

mir unde mîner angesiht?

bin ich Achilles oder niht,

wer kan mich underwîsen des?

jâ, zwâre ich bin Achilles.

waz möhte ich anders sîn, denn er?

mîn muoter ist doch komen her

und wont mir hie ze hûse bî.


Was ist das für ein Ungemach,

das mich derart betrügt

und mir und meiner Wahrnehmung

zum Schaden gereicht?

Bin ich Achill – oder etwa nicht,

wer kann mir das sagen?

Doch, wahrlich, ich bin Achill!

Wer sollte ich sonst sein, wenn nicht er?

Schließlich ist doch meine Mutter hergekommen

und ist hier bei mir, wo ich lebe. 

Mittwoch, 20. Januar 2021

14080-14089

der in daz tiefe mer sich lie,
dur daz er sæhe vremdez dinc.

wâ bin ich tumber jungelinc?

wie var ich, sô mir got ergaz!

ich fürhte, daz mich etewaz

von ungehiuren dingen

ûz sinnen welle bringen

mit der gougelfuore sîn.

ich lige doch bî dem meister mîn

ûf einem vlinse herte.


der sich in das tiefe Meer hinab ließ,

um fremdartige Dinge zu sehen. 

Ich törrichter Junge, wo bin ich?

Ich Gottverlassener, wohin bin ich unterwegs?

Ich fürchte, dass mich irgendwas

Ungeheures

um den Verstand bringen will

mit seiner zauberischen Täuschungen.

Schließlich liege ich doch bei meinem Meister

auf einem harten Felsen. 


Dienstag, 19. Januar 2021

14070-14079

er dâhte: ›waz ist mir geschehen?

weder slâfe ich oder wache?

ein wunderlîchiu sache

mich füeret an ir zoume.

mich dunket, daz mir troume

daz fremde unbilde, daz ich spür.

waz bræhte mînen ougen für

daz wilde wunder anders?

nû bin ich Alexanders

geselle doch niht worden hie,


Er dachte nach: ›Was ist mit mir geschehen?

Schlafe ich oder bin ich wach?

Eine seltsame Ursache 

lenkt meinen Weg.

Mir scheint, dass ich das fremdartige

Wunder, dessen Spur ich folge, träume.

Wie sonst könnte mir diese

erstaunliche Ungeheurlichkeit vor Augen gestellt werden?

Ich bin ja wohl hier nicht zum Nachfolger 

Alexanders geworden, 

Montag, 18. Januar 2021

14059-14069

Nû si kam in diz einlant,
dô was erwachet ouch zehant
ir sun, der hübsche Achilles,
und wart gewar vil schiere des,
daz er in einer hiute lac,
wan der liderîne sac
sô clâr und alsô heiter was,
daz er durch in als dur ein glas
daz mer und manic wunder kôs.
erschrocken unde fröudelôs
begunde er umbe sich dô sehen.

Als sie nun auf diese Insel gekommen war,
erwachte auch sogleich 
ihr Sohn, der schöne Achill,
und merkte auch schnell,
dass er in einer Haut lag,
weil der lederne Sack
so hell und so durchsichtig war,
dass er durch ihn wie durch ein Glas
das Meer und viel Wunderbares erkannte.
Erschrocken und freudlos
fing er daraufhin an, sich umzusehen.