Freitag, 30. Juni 2023

18320-18329

daz nieman dürfe sprechen,

daz unser leit gemêret sî.

belîbet uns diu sælde bî,

daz wir den vînden an gesigen,

sô wirt verdrücket und verswigen,

swaz uns ze laster ie geschach.

wir mügen allez ungemach,

daz wir nû lange dulden,

mit vröuden übergulden,

wirt uns ein rîlich ende schîn.


dass niemand sagen kann,

dass unser Leid dadurch vermehrt wurde. 

Wenn uns das Heil zuteil wird,

dass wir die Feinde besigen,

dann wird all das, was uns zur Schande gereichte,

ausgelöscht und verschwiegen.

Wir können dann all das Unglück,

dass wir nun schon lange erdulden,

mit Freude vergolden,

wenn uns ein herrliches Ende vergönnt ist.

Donnerstag, 29. Juni 2023

18310-18319

man tuo sich des beginnes abe,

des man niht vollebringen müge,

sô daz sîn zil den êren tüge

und werdeclichem prîse.

der biderbe und der wîse

der ahte, wie sîn anevanc

gewinne guoten ûzganc,

sô mac er leides sich entladen.

wir hân genomen grôzen schaden,

den suln wir alsô rechen,


Man lasse den Anfang sein,

den man zu keinem erfolgreichen Ende bringen kann;

ein Ende, das das Ansehen erhöht

und Lob und Ehre einbringt.

Wer klug und weise ist,

der achte darauf, wie sein Beginn

zu einem guten Ende führt,

dann kann er sich Leid ersparen.

Wir haben großen Schaden erlitten,

den wir so rächen müssen, 


Mittwoch, 28. Juni 2023

18300-18309

gedenkent, herre, wie der strît

enphâhe ein lobelichez zil.

swer sich des underwinden wil,

daz er bestê griuslîchiu dinc,

der trahte, wie der ursprinc

ze sæleclichem ende kume.

jô lît an aller dinge drume

prîs oder missewende.

wie stât ein armez ende

an einem rîchen urhabe.


Überlegt, mein Herr, wie der Krieg

zu einem guten Ende gebracht werden kann!

Jeder, der sich daran macht,

grauenhafte Dinge zu überstehen,

der muss dafür Sorge tragen, wie aus dem Anfang

ein glückliches Ende werden kann.

Ja, bei allen Angelegenheiten kann das Ende

gut sein oder schlecht.

Wie passt ein dürftiges Ende

zu einem prächtigen Beginn?

Dienstag, 27. Juni 2023

18290-18299

des râte ich ûf die triuwe mîn,

daz ir gedenkent wol dar zuo,

daz man den schaden widertuo,

der iu geschehen ist von in.

ir sult dar ûf herz unde sin

mit hôhem vlîze wenden,

daz wir mit vrechen henden

ein urliug an gevâhen.

doch sult ir iuch vergâhen

ze sêre niht bî dirre zît.


Deshalb ist mein ehrlicher Rat,

dass ihr euch überlegt,

wie man den Schaden wiedergutmachen kann,

der euch von ihnen zugefügt wurde.

Euer Denken und Wollen

solltet ihr mit großem Eifer darauf richten,

dass wir mit tapferen Händen

einen Krieg beginnen.

Zugleich aber dürft ihr euch

damit nun nicht übereilen. 

Montag, 26. Juni 2023

18280-18289

wan daz ir iuwer liute

und iuch selber dar nâch hânt,

daz ir den Kriechen widerstânt

und iuch an in gerechent.

si jehent unde sprechent,

swaz iu ze leide sî getân,

des wellent si ze buoze stân

vil selten oder niemer.

weizgot, ir müezent iemer

âne ir bezzerunge sîn.


richtet eure Leute 

und euch selbst darauf ein,

mit den Griechen zu kämpfen

und euch an ihnen zu rächen.  

Sie haben gesagt und betont,

dass sie für alles, 

was euch an Leid zugefügt worden ist,

ganz und gar keine Wiedergutmachung leisten werden.

Weißgott, ihr werden für immer

ohne ihre Entschädigung bleiben müssen.

Freitag, 23. Juni 2023

18270-18279

er sprach, daz er bî sîner zît

unde in allen sînen tagen

nie von iu gehôrte sagen

noch gesingen, herre mîn.

Esŷonam die künigîn

schôn unde wunneclich gestalt

wil er dâ triuten mit gewalt

und iemer hân in sîner pfliht.

herr, ich enkan iu anders niht

gesagen hie ze tiute,


Er meinte, mein Herr, dass er 

sein Lebtag lang

noch nie von euch hat sagen

oder singen hören.

Esyone, die schöne

und liebenswerte Königin,

will er dort mit Gewalt umgarnen

und für immer in seiner Obhut behalten.

Herr, ich kann es nicht anders

sagen und ausdrücken:

Donnerstag, 22. Juni 2023

18260-18269

si dûhte ein schimpf diu rede mîn

und swaz ich in geseite.

und wære ich niht gereite

von in gestrichen unde komen,

ich müeste ein ende hân genomen

und einen grimmelichen tôt.

her Telamon daz lant verbôt

bî leben und bî lîbe mir,

wan er niht wizzen wil, daz ir

ein künic hie ze Troye sît.


Sie hielten meine Rede 

und was ich ihnen sagte für einen Witz –

und wenn ich nicht eilig

von ihnen aufgebrochen und weggegangen wäre,

wäre das mein Ende 

und mein Tod gewesen.

Herr Telamon hat mir das Betreten des Landes

bei Leib und Leben verboten,

weil er nicht anerkennen will,

dass ihr hier in Troja König seid. 

Dienstag, 20. Juni 2023

18250-18259

waz von den Kriechen wære

enboten im her wider hein.

dô sprach der künic sunder mein

und âne valscheit wider in:

›der Kriechen willen und ir sin

künd ich iu, herre tugenthaft.

si wegent iuwer boteschaft

lîht unde ringe alsam ein spriu

und wellen widerspænic iu

mit worten und mit werken sîn.


was die Griechen ihm als 

Antwort aufgetragen hätten. 

Da sagte der König aufrichtig

und ohne böse Absichten zu ihm:

»Bewundernswerter Herr, ich verkünde euch

den Willen und die Absichten der Griechen.

Sie gewichten eure Botschaft

gering und so leicht wie Spreu

und stehen euch unversöhnlich gegenüber,

mit Worten und Werken. 


Montag, 19. Juni 2023

18240-18249

und îlte gegen Troye wider

und kam ze Prîamô gevarn,

der in mit sînen hovescharn

enpfienc gar minneclichen dô,

wan er wart sîner künfte vrô

und al sîn werdiu ritterschaft

diu kam gedrungen herhaft

und bôt im süezen willekomen.

Prîant der künic ûz genomen

dô vrâget in der mære,


um wieder zurück nach Troja zu eilen.

Er kam zu Priamus,

der ihn mit seiner Hofgesellschaft

überaus liebenswert empfing,

weil er froh war über seine Rückkehr;

und mit ihm kam seine angesehene Ritterschar,

die massenhaft herbeieilte

und im ein süßes Willkommen bereitete.

Priamus, der hervorragende König,

fragte ihn, 

Freitag, 16. Juni 2023

18230-18239

der mac vil gerne stille dagen

und lützel rede trîben.

diu wort lâz er belîben,

diu schaden bringent unde nît.

dar an gedâhte bî der zît

der grâve tugentrîchgemuot.

er hôrte wol, daz man vür guot

dâ sîner worte niht enpfienc,

dâ von er hein ze schiffe gienc

und sîne rede leite nider


der wird gerne schweigen

und keine großen Reden schwingen.

Solche Worte lässt er sein,

die Schaden bringen und Hass.

Daran dachte damals der 

besonnene, welterfahrene Graf.

Er hatte verstanden, dass man seine Worte

dort nicht wohlwollend aufnehmen wollte.

Deshalb ging er zurück zu seinem Schiff

und ließ sein Reden sein,

Donnerstag, 15. Juni 2023

18220-18229

er tet alsam der wîse man,

der lützel widerrede pfligt,

swâ man sîn wort unhôhe wigt

und man dar ûf niht ahten wil.

er dâhte, daz er schaden vil

enphienge, ob er iht spræche mê:

dâ von gesweic er vil dest ê

und was ein michel witze daz.

swer anders niht wan argen haz

mit sînen worten mac erjagen,


Er verhielt sich so, wie ein weiser Mann,

der dort nicht groß widerspricht,

wo man seine Worte geringschätzt

und auf sie nicht achten will.

Er dachte sich, dass man ihm großen Schaden

zugefügen würde, würde er nun noch etwas sagen.

Deshalb schwieg er lieber –

und das war sehr klug gehandelt!

Jeder, der nichts anderes als bösartigen Hass

mit seinen Worten einstreichen kann,