Montag, 28. September 2020

Kommentar

»Wehe« (V. 13170) ist, sagt der Duden, entweder »Ausruf der Klage, Bestürzung o. Ä.« oder »Ausruf, mit dem man etwas Schlimmes, Unheilvolles o. Ä. ankündigt oder androht«. Man könnte die Übersetzung im Sinne der zweiten Bedeutung so verstehen, als würde dem Verbrechen etwas Schlimmes angekündigt. Ich würde allerdings vermuten, dass die Stelle als »Ausruf der Klage« zu verstehen ist. Deshalb würde ich eher etwas übersetzen wie »oh weh, welch Verbrechen«.

Hinsichtlich der »tugent« (V. 13172) hatte ich im Kommentar zur Übersetzung der ersten Gruppe geschrieben, dass möglicherweise etwas gemeint ist wie »(hilfreiche) Tätigkeit«. Und da man das so wohl eher nicht übertragen kann, war mein Vorschlag: »Ach Gott, dass Deine Wohltätigkeit und deine Ehre ein Ende gefunden haben.«

Die Verse V. 13184ff. sind sehr schwierig, finde ich. Negationen funktionieren im Mittelhochdeutschen nicht immer so wie im Neuhochdeutschen und das könnte so eine Stelle sein, an der dies zu Problemen führt. Ich tendiere zu einer explizierenden Übersetzung, einer Übersetzung, bei der man ein wenig hinzufügt, um die Stelle deutlicher vor Augen zu stellen. Ich verstehe die schwierige Stelle folgendermaßen: »Wenn es jemals ein Herz gegeben hat, das von tödlichem Leid durchdrungen war, dann meines, denn tödlicher Schmerz liegt tief verwahrt und verschlossen in meiner Brust.« – Die Doppelformel »verwahrt und verschlossen« ersetzt das »siegeln«, das heutzutage vielleicht nicht mehr anschaulich genug ist. 

Beim »verweisen« in V. 13201 würde ich dafür plädieren, in der Übersetzung näher am Mittelhochdeutschen zu bleiben, denn die Genannten sind ja nicht nur einsam, sondern tatsächlich ganz konkret zu Waisen geworden. Und die »megde« in V. 13202 sind, glaube ich, keine »Edelfrauen«, sondern einfach junge (unverheiratete) Frauen. 

Das waren jetzt viele Verbesserungsvorschläge – dafür hatte ich aber auch Zeit, weil ich finde, dass die Textstelle ingesamt flüssig und stilsicher übersetzt wurde!

13170-13219

13170

owê der meintæte,
daz man dich sus ermürdet hât!
ach got, daz dîner tugende rât
und dîn êre sî gelegen!
ich weiz wol, hôchgelopter degen,

13175

daz dû dich wertest harte,
ê dich dîn widerwarte
gar sigelôs getæte.
ob niht daz alter hæte
daz ellent dîn geswachet,

13180

sô müeste sîn erkrachet
vor dîner hende manic man,
ê man dich tôten hæte dan
gefüeret von der heide.
ob ie mit tôdes leide

13185

durgründet wart kein herze,
sô lît tœtlicher smerze
versigelt tiefe in mîner brust.
vil gar ze strenge ist diu verlust,
diu mich beswæret mit ir kraft.

13190

ach, ûz erweltiu ritterschaft
von Troye, wie bist dû gedigen!
wie siht man dich zerhouwen ligen
und zerstücket hiute!
owê lant unde liute,

13195

war umbe hân ich iuch verlorn?
hey, werden frouwen hôchgeborn,
waz gêt iuch grimmes jâmers an
umb iuwer herzelieben man,
die tôt vor iu gelegen sint.

13200

ach, künges tohter und ir kint,
wie sint ir sus verweiset gar.
ir stolzen megde wunnevar,
waz ist iu leides hie geschehen?
daz ich sol iuwer jâmer sehen

13205

und iuwer marterlichen clage,
des muoz ich alle mîne tage
in herzeleide werden grâ.
hey, swester mîn Esyonâ,
ein bluome ob allen wîben,

13210

wie sol ich vrô belîben,
swenn ich gedenke der getât,
daz man dich sus gezücket hât
in roubes wîs von hinnen?
ich muoz dur dich gewinnen

13215

tœtlichez leit besunder.
ez ist ein vremdez wunder,
daz ich ersterben niht enkan.
der alsô manigen werden man
verlüre, als ich verloren habe,



13170

Wehe dem Verbrechen,
dass man dich so ermordet hat!
Ach Gott, dass dein tugendhafter Rat
und deine Ehre niederliegen!
Ich weiß wohl, hochgelobter Kämpfer,

13175

dass du dich vehement gewehrt hast,
bevor dich dein Widersacher
getötet hat.
Wenn das Alter deine Tapferkeit 
nicht geschwächt hätte,
 
13180

so müssten deine Hände 
viele Männer erschlagen haben, 
bevor man dich tot von der 
Ebene hätte führen können. 
Wenn kein Herz jemals mit solch einem Todesleid

13185

durchdrungen wurde,
so liegt tödlicher Schmerz 
tief versiegelt in meiner Brust.
Der Verlust wiegt viel zu schwer, 
der mich mit seiner Bürde belastet. 

13190

Ach, auserwählte Ritterschaft
von Troja, was ist aus dir geworden?
Man sieht dich heute zerschlagen liegen
und zerstückelt.
Wehe, Land und Leute
 
13195

warum habe ich euch verloren?
Ach, ihr hochgeborenen Damen,
welchen schlimmen Schmerz müsst ihr
wegen euren geliebten Männern ertragen
die tot vor euch liegen?
 
13200

Ach, königliche Tochter und deine Kinder, 
wie einsam seid ihr nun?
Ihr stolzen wunderbaren Edelfrauen,
was ist euch hier an Leid widerfahren?
Dass ich euren Kummer sehen muss
 
13205

und eure qualvolle Klage,
davon muss ich nun all meine Tage 
unter Schmerzen alt werden. 
Ach, meine Schwester Hesione,
du Blume aller Frauen,

13210

wie soll ich froh bleiben,
wenn ich an die Tat denke,
dass man dich in räuberischer Weise
fortgerissen hat.
Wegen dir erlange ich besonders

13215

tödliches Leid.
Was für ein merkwürdiger Zufall,
dass ich nicht sterben kann.
Wer so viele vortreffliche Männer verlieren würde
wie ich verloren habe,

Dienstag, 22. September 2020

Kommentar

Beim »Heranrauschen« der Nachricht (V. 13121) hätte man vielleicht ein bisschen näher an der mittelhochdeutschen Formulierung bleiben können (z.B. »verbreitete sich wie im Flug«). Die »stæte« des Königs (V. 13124) würde ich eher mit »treu« übersetzen, weil man sich, glaube ich, heute unter einer königlichen Beständigkeit nicht so viel vorstellen kann (wenn man nicht weiß, dass das ein Wert war). Und hinsichtlich des Todes Lamedons (V. 13125) könnte man »hat sterben sehen« übersetzen, weil »tot gesehen wurde« meinem Eindruck nach so ein bisschen zufällig klingt.

Im Folgenden bin ich dann lange sehr einverstanden. Die »Klagerufe« (V. 13133) fand ich sehr schön, auch die »Anteilnahme« (V. 13135). Statt die Fehde »niederzulegen« (V. 13142) würde ich eher davon sprechen, die Fehde zu »beenden« oder vielleicht auch, die Fehde »aufzugeben« – eigentlich müsste man sich anhand der Wörterbücher und anhand von Parallelstellen einmal ansehen, ob das ein einseitiger oder ein beiderseitiger Akt ist...

Bei der blühenden Freude, die von Reif zerstört wird (V. 13152f.) stelle ich mir eine Blüte vor, die vereist und zerspringt. Die Verse 13155f. miteinander zu verbinden, das liest sich sehr gut, finde ich. Das »riuwen« (V. 13158) würde ich allerdings nicht mit »bereuen« übersetzen. Gott hat, glaube ich, nichts zu bereuen, sondern es möge ihn »reuen«, es möge ihn »traurig machen« o.ä. Und mit den restlichen Versen bin ich dann wieder ganz einverstanden.  

13120-13169

13120

diz mære hin von Troye kam
geriuschet z'in geswinde,
wie man ir lantgesinde
erslagen allez hæte
und wie der künic stæte

13125

her Lâmedon wart tôt gesehen.
swaz von den Kriechen was geschehen,
daz wart in allez dô geseit.
nû Prîamus die wârheit
umb den vater sîn vernam

13130

und im daz leide mære kam,
daz Troye was zerstœret,
dô wart von im gehœret
clag unde marterlîchiu nôt.
von herzen weint er sînen tôt

13135

mit flîzeclicher andâht.
ouch wart ze herzeleide brâht
mit im al sîn ritterschaft.
betrüebet unde jâmerhaft
liez er beliben daz gesez

13140

und kêrte sîner verte mez
von dannen gegen Troye wider.
er leite sîn urliuge nider
und îlte hein ze lande.
beswærde manger hande

13145

in sînem herzen lac begraben,
wan er begunde sich gehaben
erbermeclichen alzehant.
dô beidiu liute unde lant
verwüestet wâren und verhert,

13150

dô wart dem herzen sîn erwert
vröud unde hôchgemüete.
swaz wunne drinne blüete,
diu reis von jâmers rîfen abe.
sîn gelwez hâr mit ungehabe

13155

ûz sînem reiden houpte er brach.
vil heize weinte er unde sprach:
Hey, vater, sælic unde guot!
got riuwe, daz dîn edel bluot
âne schult vergozzen sî.

13160

und wære ich dir gewesen bî,
daz möhte niemer sîn geschehen,
daz man dich hæte alsus gesehen
erslagen von den Kriechen.
ich muoz an vröuden siechen,

13165

die wîle daz ich lebende bin,
durch den verworhten ungewin,
daz ich bî dir niht enwas.
dîn herze was ein adamas
an ritterlicher stæte.



13120

Doch die Nachricht aus Troja
verbreitete sich schnell zu ihnen,
wie man ihr ganzes Volk
erschlagen hatte
und wie der treue/ beständige König

13125

Lamedon tot gesehen wurde. 
Alles, was die Griechen getan hatten,
das wurde ihnen berichtet.
Als nun Priamos die Wahrheit
über seinen Vater erfuhr

13130

und er die leidvolle Geschichte vernahm,
dass Troja zerstört worden war,
da vernahm man von ihm
Klagerufe und qualvolle Not.
Er beweinte seinen Tod von Herzen

13135

mit großer Anteilnahme. 
Auch seine ganze Ritterschaft
litt dort mit ihm.
Betrübt und schmerzerfüllt
ließ er die Belagerung beenden

13140

und führte seine Gefährten
fort und wieder zurück nach Troja.
Er legte seine Fehde nieder
und eilte zurück in sein Land.
Großer Kummer

13145

lastete auf seinem Herzen,
denn er begann sogleich
sich mitleiderregend zu verhalten.
Weil sowohl Land als auch Leute 
geschändet und vernichtet waren, 

13150

wurden seinem Herzen Freude
und Hochstimmung verwehrt. 
Was an Glück darin blühte, 
wurde von der Kälte des Jammers ausgelöscht.
Er riss sich sich sein blondes Haar mit

13155

wildem Gebaren vom Lockenkopf,
weinte innig und sprach:
“Ach seliger und vortrefflicher Vater,
Gott muss bereuen, dass dein edles Blut
ohne Schuld vergossen worden ist.

13160

Wenn ich bei dir gewesen wäre,
wäre es niemals dazu gekommen, 
dass man dich auf diese Weise
von den Griechen erschlagen gesehen hätte.
Ich muss aller Freuden entbehren

13165

solange ich lebe
wegen des verdammenswerten Unglücks, 
dass ich nicht bei dir gewesen bin.
Dein Herz war ein Diamant 
an ritterlicher Beständigkeit.

Montag, 21. September 2020

Kommentar

Das mittelhochdeutsche »wunder« (V. 13070) mit »Heldentaten« zu übersetzen, das macht im Kontext der Stelle total Sinn und ich glaube, ich sollte meine bisherige Übersetzung bei Gelegenheit einmal durchsehen und überlegen, ob man das nicht öfter so übersetzen sollte. Auch die Übersetzung von »genesen« (V. 13073) mit »dem Tod entkommen« gefällt mir sehr gut.

Das »des« (V. 13080) könnte man in die Übersetzung übernehmen (z.B.: »Ich erzähle davon/darüber...«). Von dieser Kleinigkeit abgesehen scheint mir die Übersetzung in diesem Abschnitt sehr gelungen zu sein, zumal einige schwierige Stellen sehr elegant gelöst sind. Einzig bei der Übersetzung »nach seinem Begehr« (V. 13090) bin ich hängen geblieben; – sagt man das heute noch so? 

Die Verse 13096f. könnte man vielleicht ein bisschen genauer übersetzen, z.B.: »Lasst (mich) euch davon das erzählen und berichten, was ich darüber gelesen habe.« Statt »gefahren« (V. 13104) könnte man vielleicht »gezogen« übersetzen. Ansonsten bin ich ganz einverstanden.

13070-13119

13070

daz aller grœste wunder,
daz von strîte ie wart vernomen.
ich lâze iuch ûf ein ende komen,
wer dô verdarp und wer genas.
swaz in dem strîte fürsten was,

13075

die tuon ich iu mit rede bekant.
wer dâ mit ellenthafter hant
vaht unde ritterlichen streit,
des name wirt von mir geseit
und entslozzen ûf den grunt.
 
13080

ich tuon des wâre mære kunt,
als ich an der hystôrje las.
Dâres, der in dem strîte was,
swaz der geseit in kriechisch hât
von dirre strîteclichen tât,

13085

daz wirt mit tiuschen worten
von mir in allen orten
entslozzen und betiutet.
swer sin und ôren biutet
gern unde willenclichen her,
 
13090

der hœret hie nâch sîner ger
von minnen und von strîte sagen
sô vil, daz er bî sînen tagen
gehœret lîhte niemer mê
kein mære, daz im nâher gê, 

13095

wie daz geschæhe bî den tagen.
daz lânt iu künden unde sagen,
als ich dâ von geschriben las.
dô Lâmedon verdorben was
unde er tôt gelac alsus,

13100

dô was der künic Prîamus
sîn werder sun dâ heime niht.
diu wârheit sprichet unde giht,
daz er mit vrecher liute scharn
wær in ein vremdez lant gevarn

13105

und er besezzen drinne
mit kreften und mit sinne
het eine veste wunneclich.
er vleiz dar ûf vil harte sich
mit sîner ritterschefte snel,

13110

daz er daz selbe kastel
gewünne bî den zîten.
er wolte ez gerne erstrîten
und lac mit hôher maht dervor.
sîn sun Pârîs und Hector,

13115

die zwêne ritter ûz genomen,
die wâren dar ze lande komen
mit dem vater an daz gesez
und hielten ouch mit kreften ez,
als ez ir êren wol gezam.



13070

den größten Heldentaten berichten,
die je in einem Kampf bezeugt wurden.
Am Ende werdet ihr wissen,
wer zugrunde ging und wer dem Tod entkam.
Ich werde euch davon berichten,

13075

was es für Fürsten in dem Kampf gab
und wer heldenhaft gekämpft 
und ritterlich gestritten hat.
Deren Namen werde ich euch nennen
und bis auf den Grund erhellen.

13080

Ich erzähle die wahre Geschichte,
wie ich sie in der Historie las.
Was Dares, der bei dem Kampf dabei war,  
auf griechisch
von diesen ruhmreichen Taten erzählt hat, 

13085

das wird von mir in deutschen Worten   
an jeder Stelle   
erklärt und gedeutet.
Wer mir Verstand und Gehör schenkt   
und aufmerksam zuhört,

13090

der hört hier nach seinem Begehr
so viel vom Lieben und vom Kämpfen, 
dass er zu seiner Lebzeit
keine vergleichbare Erzählung 
hören wird, die ihn so berührt

13095 

wie das, was in diesen Tagen geschah.  
Ich werde euch davon erzählen und berichten,
was ich geschrieben las.
Als Lamedon zugrunde ging
und schließlich starb,

13100

war König Priamos,
sein edler Sohn, nicht zugegen.
Die Wahrheit spricht und sagt,
dass er mit einer kühnen Schar
in ein fremdes Land gefahren war

13105

und dort
mit Kraft und Verstand
eine herrliche Festung belagert hatte.
Er mühte sich dort mit großer Anstrengung
mit seinen fähigen Rittern

13110

darum, dieselbe Burg
beizeiten zu erobern.
Er wollte sie unbedingt erringen 
und lag mit großem Heer davor.
Seine Söhne Paris und Hektor,

13115

die zwei außerordentlichen Ritter, 
waren dorthin mit dem Vater zu der
Belagerung gekommen
und hielten sie auch mit Kräften,
wie es ihrer Ehre angemessen war.

Donnerstag, 17. September 2020

Kommentar

Ich bin beim Übersetzen immer froh, wenn mir anschauliche Formulierungen einfallen, so etwas wie »noch um ein Tausendfaches« (V. 13027) für »tûsent warbe mê«. Oft sind gelungene Formulierungen gar nicht außergewöhnlich; und manchmal ist es auch sinnvoll, nicht schon mit der ersten Variante zufrieden zu sein, die einem einfällt.

Bei der Übersetzung von mhd. »grim« neige ich eher zu »schrecklich«, weil ich mir denke, dass das für heutige Leser_innen anschaulicher ist. Bei der Formulierung »bis an den Tag« (V. 13036) fehlt im Mhd. der Tag – und da der Trojanische Krieg lange dauert, sollte man vielleicht mit »bis zu der Zeit« (o.ä.) übersetzen. 

Schön finde ich die Formulierung »verheerendes Feuer« (V. 13042) – wobei es dann schwierig wird, den Gegensatz von groß und klein umzusetzen (kleine Funken – großes Feuer), mit dem hier gespielt wird. 

Beim Wort »willeclichen« (V. 13055) – also: (bereit)willig, von sich aus – habe ich mich gefragt, ob das eine wichtige Bemerkung ist, die übersetzt werden sollte. »jehen« im V. 13058 meint, wenn man es genau nimmt, eine markierte Form des Sprechens – behaupten, versichern, verbürgen, betonen usw. 

Sehr gut gefällt mir der Abschnitt ab V. 13060; und über die Formulierung »ist, daz ir hie geloubent mirs« (V. 13068) habe ich noch ein bisschen nachgedacht. Vielleicht könnte man auch etwas übersetzen wie: »Solltet ihr bereit sein, es mir zu glauben, dann werde ich euch nun ganz konkret erzählen...«.  

13017-13069

Nû hân ich iu vil gar gesagt,
wie manger in den tôt gejagt
ze Troye wart durch cleinez dinc.
 
13020
ir hânt des mæres ursprinc
umb den schæper wol vernomen:
ez was von kranker sache komen,
daz Lâmedon sîn ende kôs
und manger sît den lîp verlôs,
 
13025
der ouch ersterben muoste alsô.
ir wâren gnuoc verdorben dô,
doch wart ir tûsent warbe mê,
die sît des grimmen tôdes wê
dar umbe liten âne schult.
 
13030
vernemen ir daz alle sult,
ê diz werc ein ende habe,
daz lîbes unde guotes abe
kam vil manger muoter kint,
wan ez ist allez noch ein wint,
 
13035
swaz man von liuten ie gesluoc
biz an des mordes ungefuoc,
von dem ich iu noch sagen sol.
dar an sô wart bewæret wol,
daz ein mæzlîche sache
 
13040
ze grôzem ungemache
vil dicke und ofte sich getreit.
reht als ein michel fiur bereit
von kleinen funken dicke wirt,
seht, alsô bringet unde birt
 
13045
ein cleine schulde grimmen zorn.
des wart vil manger sît verlorn,
der engelten muoste des,
daz Jâson unde Hercules
von Troye wâren ê getriben.

13050
wær under wegen dô beliben
diu selbe kranke schulde swach,
sô hæte man grôz ungemach
niht erworben lange zît.
wan die von Troye wolten sît

13055
gerochen willeclichen hân,
swaz in ze leide was getân:
dô muost in verre wirs geschehen.
ich hœre wîse liute jehen
und si gemeine sprechen,

13060
daz sînen schaden rechen
vil manger dicke welle,
der mit der râche velle
sich in grœzer ungemach.
Troiæren ouch alsô geschach,
 
13065
die wolten sich gerochen hân,
swaz in ze schaden was getân,
seht, dô geschach in michel wirs.
ist, daz ir hie geloubent mirs,
sô zele ich iu besunder



Nun habe ich euch gar viel erzählt,
wie manch einer aus geringem
Anlass durch Troja in den Tod gejagt wurde.
 
13020
Ihr habt den Ursprung der Geschichte
vom goldenen Vlies vernommen: 
Es war aus geringem Grund so gekommen,
dass Lâmedon sein Ende fand
und mancher seitdem sein Leben verlor
 
13025
und ebenso zugrunde gehen musste.
Von ihnen waren viele dort gestorben,
doch stieg ihre Zahl noch um ein Tausendfaches, 
die deshalb später den Schmerz des grimmen 
Todes ohne Schuld erleiden mussten.

13030
Ihr werdet das alles vernehmen,
bevor das Werk zum Ende kommt,
dass vielen Männern 
ihr Leben und ihr Gut abhanden kam;
denn es ist noch keiner Rede wert,

13035
wie viele Menschen man früher erschlagen hat
bis an den Tag des unrühmlichen Mordens,
von dem ich euch noch berichten werde. 
Daran wurde bewiesen,
dass sogar ein nichtiger Umstand
 
13040
sehr häufig zu großem 
Leid führen kann.
So wie ein verheerendes Feuer
durch kleine Funken groß wird,
seht, so bringt und gebiert  
 
13045
eine kleine Schuld furchtbaren Zorn.   
Deswegen sind viele, die dafür büßen mussten, 
dass Jason und Herkules 
vor langer Zeit von Troja vertrieben wurden,
seit dem Tag verloren.

13050
Hätte diese geringe Schuld
nicht stattgefunden, 
dann hätte man großes Unglück
abwenden können.
Denn die Trojaner wollten seither

13055
das rächen, 
was ihnen an Leid angetan worden war:
Da musste ihnen weitaus Schlimmeres widerfahren.
Ich höre weise Leute sagen 
und übereinstimmend sprechen, 

13060
dass sich so mancher,
der sein Unrecht rächen will
mit seiner Rache,
in noch größeres Unglück stürzt. 
So geschah es auch den Trojanern,

13065
die sich dafür rächen wollten,
was ihnen an Unrecht widerfahren war: 
Seht, da erging es ihnen viel schlechter.
Damit ihr es mir auch glaubt,
werde ich nun besonders von

Studentische Unterstützung, Teil 2

Und weiter geht es mit der zweiten Gruppe. Mein herzlicher Dank geht an Elisa Kritikos, Sandra Lachmann, Malina Bonefeld, Joshua John Crell, Katrin Franzen, Julia Hilgers, Chiara Simon, Katharina Wölke und natürlich wiederum an Volker Sliepen.

Montag, 14. September 2020

Kommentar

»tugent« in V. 13172 ist eines dieser Worte, das Übersetzer*innen zum Verzweifeln bringen kann. Ich glaube, dass an dieser Stelle etwas gemeint ist wie »(hilfreiche) Tätigkeit« – aber so kann man das wohl eher nicht übertragen. Wie wäre etwas wie »Ach Gott, dass Deine Wohltätigkeit und deine Ehre ein Ende gefunden haben.«? (Und das könnte man dann vielleicht sogar mit einem Ausrufezeichen abschließen!)

Im Folgenden bin ich dann über ein längeres Textstück hinweg sehr einverstanden – und die schwierige Stelle ab V. 13184 scheint mir gut gelöst zu sein. Vielleicht fände man, würde man lange darüber nachdenken, eine Lösung, die noch ein bisschen anschaulicher ist – aber spontan fällt mir nichts besseres ein.

Bei V. 13200 müsste man das »ir« noch übersetzen; und ab V. 13206 würde ich das »des« eher mit »darüber/dabei« übersetzen – oder etwas freier formulieren  (z.B.: »das wird dazu führen, dass ich den Rest meines Lebens lang mit tiefem Leid grau werde.«). 

Das »von hinnen zücken« (V. 13212f.) meint »von hier weg ziehen/führen«. Das »besunder« (V. 13215) könnte hier etwas meinen wie »insbesondere« – und dann würde extra betont, dass es insbesondere das Schicksal der Schwester ist, das Leid verursacht. Die Übersetzung von V. 13220 ist sachlich völlig richtig, denke ich, allerdings ist das »in ein Grab passen« vielleicht ein bisschen missverständlich. Wie wäre: »dem stünde ein Grab besser an«? In V. 13231 sollte man vielleicht »gelegen habe« (oder freier: »dass ich nicht mit dir gefallen bin«) übersetzen. 

Dann bin ich bis zum Schluss wieder sehr einverstanden (das »verurteile« finde ich sehr schön) und ich finde auch insgesamt die ganze Klagepassage gut übersetzt! 

13170-13243

13170

owê der meintæte,
daz man dich sus ermürdet hât! 
ach got, daz dîner tugende rât 
und dîn êre sî gelegen!
ich weiz wol, hôchgelopter degen,

13175

daz dû dich wertest harte, 
ê dich dîn widerwarte
gar sigelôs getæte.
ob niht daz alter hæte 
daz ellent dîn geswachet,

13180

sô müeste sîn erkrachet
vor dîner hende manic man, 
ê man dich tôten hæte dan 
gefüeret von der heide.
ob ie mit tôdes leide

13185

durgründet wart kein herze,
sô lît tœtlicher smerze
versigelt tiefe in mîner brust. 
vil gar ze strenge ist diu verlust,
diu mich beswæret mit ir kraft.

13190

ach, ûz erweltiu ritterschaft
von Troye, wie bist dû gedigen!
wie siht man dich zerhouwen ligen 
und zerstücket hiute!
owê lant unde liute,

13195

war umbe hân ich iuch verlorn? 
hey, werden frouwen hôchgeborn, 
waz gêt iuch grimmes jâmers an 
umb iuwer herzelieben man,
die tôt vor iu gelegen sint.

13200

ach, künges tohter und ir kint, 
wie sint ir sus verweiset gar. 
ir stolzen megde wunnevar,
waz ist iu leides hie geschehen?
daz ich sol iuwer jâmer sehen

13205

und iuwer marterlichen clage,
des muoz ich alle mîne tage 
in herzeleide werden grâ. 
hey, swester mîn Esyonâ,
ein bluome ob allen wîben,

13210

wie sol ich vrô belîben, 
swenn ich gedenke der getât,
daz man dich sus gezücket hât 
in roubes wîs von hinnen?
ich muoz dur dich gewinnen

13215

tœtlichez leit besunder.
ez ist ein vremdez wunder, 
daz ich ersterben niht enkan. 
der alsô manigen werden man
verlüre, als ich verloren habe,

13220

der zæme baz in eime grabe, 
denn er ûf erden solte leben. 
mir ist der überfluz gegeben 
ob allem herzesêre,
sît daz ich hân mîn êre

13225

verloren und den vater mîn, 
der als der clâren sunne schîn 
durchliuhtic was an triuwen. 
sîn leben sol mich riuwen
dur manger hôhen tugende lôn.

13230

vil werder künic Lâmedôn, 
daz ich niht tôt bî dir gelac! 
owê, daz ich niht sterben mac 
von endelôser herzeclage!
die göte wellent, daz ich trage

13235

des bitterlichen tôdes nôt, 
ob ich niht reche dînen tôt 
und mîne werden ritter. 
ich sol ir schaden bitter
mit herzen und mit handen

13240

sô willeclichen anden,
daz man wol hœret unde siht, 
daz ich ir veigen ungeschiht 
ungerne hân befunden.


Oh weh, welch grauenvolle Tat, 
dass man dich so ermordet hat!
Ach Gott, dass der Rat deiner Tugend und
deine Ehre ein Ende gefunden haben.
Ich weiß genau, hochgelobter Held,
dass du dich tapfer gewehrt hast, 
ehe dich dein Gegner 
überwältigt hat.
Wenn das Alter deine Tapferkeit
nicht geschwächt hätte,
so müssten deine Hände 
viele Männer erschlagen haben,
bevor man dich tot 
von der Heide hätte führen können.
Wenn je zuvor ein Herz
so mit Leid erfüllt war,
dann liegt tödlicher Schmerz
tief versiegelt in meiner Brust. 
Viel zu gewaltig ist der Verlust,
der mich so sehr betrübt.
Ach, auserwählte Ritterschaft
von Troja, wie bist du zugerichtet!
Wie sieht man dich heute zerschlagen 
und zerstückelt liegen!
Oh weh, Land und Leute,
warum habe ich euch verloren?
Oh, geschätzte hochgeborene Damen,
was seid ihr so erfüllt von schrecklicher Trauer 
um eure geliebten Männer,
die tot vor euch liegen.
Ach, Königstochter und Kinder,
wie seid ihr so zu Waisen gemacht worden. 
Ihr stolzen, wonnevollen Edelfrauen,
was ist euch hier an Leid geschehen?
Dass ich euren Jammer ansehen
und eure qualvollen Klagen anhören muss,
dessen muss ich für den Rest meines Lebens 
in Herzeleid grau werden.
Oh, meine Schwester Esyona,
eine Blume unter allen Frauen,
wie soll ich fröhlich bleiben, 
wenn ich der Tat gedenke,
dass man dich derart ergriffen hat,
in räuberischer Art von hinten? 
Ich muss, um deinetwillen
so viel tödliches Leid erfahren.
Es ist ein außergewöhnliches Wunder,
dass ich nicht sterben kann.
Wer so viele tapfere Männer verlieren würde, 
wie ich verloren habe,
der würde besser in ein Grab passen 
als auf der Erde zu leben.
Mir ist so eine Fülle 
an Herzeleid gegeben,
seitdem ich meine Ehre
und meinen Vater verloren habe, 
der durchleuchtet war von Treue 
wie heller Sonnenschein.
Sein Verlust soll mich in Betrübnis versetzen, 
welche durch große Ehre belohnt wird.
Geliebter König Lamedon, 
dass ich nicht tot bei dir liege!
Oh weh, dass ich nicht sterben kann
von endloser Herzensklage! 
Die Götter wollen, dass ich
die Not des bitterlichen Todes ertrage, 
wenn nicht ich deinen Tod
und den meiner werten Ritter räche.
Ich muss ihren bitteren Schaden 
mit Herzen und mit Händen
so bereitwillig strafen,
dass man wohl hört und sieht, 
dass ich ihr tödliches Unglück 
verurteile.

Freitag, 11. September 2020

Kommentar

Genau, die Nachricht kommt herangerauscht (»mit Sausen und Stürmen«, V. 13121) und man erfährt, dass »ir lantgesinde« (V. 13122) erschlagen wurde, was man vielleicht mit »Landsleute« übersetzen könnte, um deutlich zu machen, dass es sich hier tatsächlich um einen umfassenden Angriff auf eine Gemeinschaft handelt(e). 

Sollte man den Hinweis, dass »her Lâmedon wart tôt gesehen« (V. 13125) vielleicht so verdolmetschen, dass man Lamedon »hat sterben sehen«? Ich frage mich nämlich, ob hier das Sehen und die Sichtbarkeit vielleicht wichtig sein könnten – und dann wäre es schade, wenn man diese Information in der Übertragung verliert. 

Immer ein bisschen schwer tue ich mir bei der Übersetzung von »nôt« (V. 13133). Die Übersetzung von »marterlîchiu nôt« mit »schmerzhafte Not« ist schon ziemlich gut, finde ich; aber vielleicht könnte man den Schmerz zum Substantiv machen, z.B.: »qualvoller Schmerz«. À propos Leid: das »herzeleide« in V. 13136 ließe sich mit »innig« oder »von ganzem Herzen« übersetzen. 

Sehr gelungen scheint mir die Übersetzung der schwierigen Verse 13140f. zu sein. Mittelhochdeutsch »mez« meint hier wohl Ziel oder Richtung – und man könnte höchstens noch ein »weg von dort« ergänzen. 

Versteht man das heute gut, wenn es heißt, dass jemand »seine Fehde niederlegte«? Wenn nicht, dann ließe sich vielleicht davon sprechen, dass die Fehde beendet wurde. Und bei »begraben« (V. 13145) denkt man heute wohl an den Friedhof; gemeint ist an der Stelle aber wohl, dass er manch bitteren Kummer »auf dem Herzen« hatte. Und dieser bittere Kummer ist es, der zu einem Verhalten führt, dass zum Erbarmen war (V. 13146). 

Sehr gut gefällt mir der Abschnitt V. 13150-13153 und auch mit den darauffolgenden Versen bin ich ganz einverstanden. Bei V. 13166 habe ich überlegt, ob man an der Stelle etwas stärker formulieren sollte, z.B. »wegen des verdammten Unglücks« (statt »wegen des großen Unglücks«). Da müsste man sich möglicherweise einmal ansehen, wie genau Konrad von Würzburg das Wort »verwirken« einsetzt. 

13120-13169

13120

diz mære hin von Troye kam 
geriuschet z'in geswinde, 
wie man ir lantgesinde 
erslagen allez hæte
und wie der künic stæte

13125

her Lâmedon wart tôt gesehen.
swaz von den Kriechen was geschehen, 
daz wart in allez dô geseit.
nû Prîamus die wârheit 
umb den vater sîn vernam

13130

und im daz leide mære kam, 
daz Troye was zerstœret,
dô wart von im gehœret 
clag unde marterlîchiu nôt.
von herzen weint er sînen tôt

13135

mit flîzeclicher andâht.
ouch wart ze herzeleide 
brâht mit im al sîn ritterschaft. 
betrüebet unde jâmerhaft 
liez er beliben daz gesez

13140

und kêrte sîner verte mez
von dannen gegen Troye wider. 
er leite sîn urliuge nider
und îlte hein ze lande. 
beswærde manger hande

13145

in sînem herzen lac begraben, 
wan er begunde sich gehaben 
erbermeclichen alzehant.
dô beidiu liute unde lant
verwüestet wâren und verhert,

13150

dô wart dem herzen sîn erwert 
vröud unde hôchgemüete. 
swaz wunne drinne blüete,
diu reis von jâmers rîfen abe. 
sîn gelwez hâr mit ungehabe

13155

ûz sînem reiden houpte er brach. 
vil heize weinte er unde sprach: 
Hey, vater, sælic unde guot!
got riuwe, daz dîn edel bluot 
âne schult vergozzen sî.

13160

und wære ich dir gewesen bî,
daz möhte niemer sîn geschehen, 
daz man dich hæte alsus gesehen 
erslagen von den Kriechen.
ich muoz an vröuden siechen,

13165

die wîle daz ich lebende bin, 
durch den verworhten ungewin, 
daz ich bî dir niht enwas.
dîn herze was ein adamas
an ritterlicher stæte.


Dann erreichte sie die Nachricht,
die mit Sausen und Stürmen von Troja kam, 
dass man ihre Leute alle
erschlagen hatte
und dass der tapfere König
Lamedon gestorben war.
Was durch die Griechen geschehen war, 
das wurde ihnen alles erzählt.
Als nun Priamus die Wahrheit
über seinen Vater erfuhr
und ihn die schlechte Nachricht erreichte, 
dass Troja zerstört worden war,
da hörte man von ihm
Klagen und schmerzhafte Not.
Von Herzen beweinte er seinen Tod
mit beflissener Andacht.
Auch seine ganze Ritterschaft litt dort mit 
ihm.
Betrübt und mit gebrochenem Herzen 
ließ er das Lager hinter sich
und kehrte mit seinen 
Gefährten zurück nach Troja. 
Er legte seine Fehde nieder
und eilte heim.
Manch bitterer Kummer
war in seinem Herzen begraben,
weil er sogleich begann, sich barmherzig zu 
verhalten.
Da sowohl die Menschen als auch das Land
verwüstet und vernichtet worden waren,
wurden seinem Herzen
Freude und Frohsinn genommen.
Die Wonne, die früher darin geblüht hatte,   
gefror nun durch den Kummer.
Vor lauter Trauer riss er sein blondgelocktes Haar
aus seinem gesenkten Haupt.
Er weinte bitterlich und sprach: Oh,
seliger und guter Vater!
Gott soll rächen, dass dein edles Blut
ohne Schuld vergossen wurde.
Und wäre ich bei dir gewesen, 
dann wäre dies niemals geschehen,
dass man dich auf solche Weise gesehen hätte, 
erschlagen von den Griechen.
Ich werde keine Freude mehr haben
solange ich lebe,
wegen des großen Unglücks, 
nicht bei dir gewesen zu sein.
Dein Herz war ein Edelstein
an ritterlicher Beständigkeit.

Mittwoch, 9. September 2020

Kommentar

Die Übersetzung von »ich lâze iuch ûf ein ende komen« (V. 13072) mit »Ich lasse euch am Ende wissen« gefällt mir gut – zumal solche »Regieanweisungen« oft nicht so leicht zu übersetzen sind. Das »genesen« (bzw. »genas«) im Folgevers würde ich eher mit »am Leben bleiben« (bzw. »blieb«) übersetzen. Den darauf folgenden Vers verstehe ich ein bisschen anders: »swaz in dem strîte fürsten was« meint, glaube ich, »Was es in dem Kampf an Fürsten gab«, also: »Welche Fürsten am Kampf teilnahmen«. 

V. 13075 hat wieder eine der schwierigen »Regieanweisungen« und ich verstehe gut, dass man den Verweis auf Mündlichkeit mitübersetzen möchte; ich würde an der Stelle aber doch eher »das werde ich euch erzählen« übersetzen. Aber auch das ist vielleicht nicht die perfekte Lösung für diese Stelle.

Das »des« in V. 13080 meint »darüber/davon«: »Ich verkünde davon wahre Geschehnisse«. Etwas schwierig ist V. 13085, »in allen orten«. Mittelhochdeutsch »ort« bezeichnet Anfangs- und Endpunkte. Hier könnte man vielleicht »in jeder Hinsicht« übersetzen. 

Im Folgenden bin ich lange sehr einverstanden – und »aufgebahrt« (V. 13099) ist sehr schön übersetzt, finde ich. Ab V. 13104 könnte man über den Konjunktiv diskutieren; und »veste wunneclich« würde ich eher mit »schöne Festung« übersetzen (»wunneclich« ist das, was »Wonne« bereitet). 

Das »bî den zîten« (V. 13111) findet sich bei Konrad von Würzburg häufiger. Ich übersetze (wenn ich mich recht erinnere) meist mit »damals« (o.ä.). Ist an dieser konkreten Stelle vielleicht »bald« gemeint?

13070-13119

13070

daz aller grœste wunder,
daz von strîte ie wart vernomen. 
ich lâze iuch ûf ein ende komen, 
wer dô verdarp und wer genas. 
swaz in dem strîte fürsten was,

13075

die tuon ich iu mit rede bekant. 
wer dâ mit ellenthafter hant 
vaht unde ritterlichen streit, 
des name wirt von mir geseit
und entslozzen ûf den grunt.

13080

ich tuon des wâre mære kunt, 
als ich an der hystôrje las.
Dâres, der in dem strîte was, 
swaz der geseit in kriechisch hât 
von dirre strîteclichen tât,

13085

daz wirt mit tiuschen worten 
von mir in allen orten 
entslozzen und betiutet. 
swer sin und ôren biutet 
gern unde willenclichen her,

13090

der hœret hie nâch sîner ger
von minnen und von strîte sagen 
sô vil, daz er bî sînen tagen
gehœret lîhte niemer mê 
kein mære, daz im nâher gê,

13095

wie daz geschæhe bî den tagen. 
daz lânt iu künden unde sagen, 
als ich dâ von geschriben las. 
dô Lâmedon verdorben was 
unde er tôt gelac alsus,

13100

dô was der künic Prîamus
sîn werder sun dâ heime niht. 
diu wârheit sprichet unde giht, 
daz er mit vrecher liute scharn
wær in ein vremdez lant gevarn

13105

und er besezzen drinne 
mit kreften und mit sinne 
het eine veste wunneclich. 
er vleiz dar ûf vil harte sich
mit sîner ritterschefte snel,

13110

daz er daz selbe kastel 
gewünne bî den zîten.
er wolte ez gerne erstrîten
und lac mit hôher maht dervor. 
sîn sun Pârîs und Hector,

13115

die zwêne ritter ûz genomen, 
die wâren dar ze lande komen 
mit dem vater an daz gesez
und hielten ouch mit kreften ez,
als ez ir êren wol gezam.


von dem allergrößten Wunder,
das von einem Kampf je vernommen worden 
war. Ich lasse euch am Ende wissen,
wer dort gestorben und wer genesen ist.
Wer in dem Kampf ein Fürst war,
das gebe ich euch mit meiner Rede bekannt.
Wer dort mit heldenhafter Hand 
gefochten und ritterlich gekämpft hat, 
dessen Name wird von mir vollständig 
verkündet.
Ich verkünde euch die wahren Geschehnisse,
wie ich sie in der Geschichte gelesen habe.
Was Dares, der sich inmitten des Kampfes befand,
anschließend auf Griechisch von diesen 
streithaften Taten berichtet hat,
das wird nun von mir mit deutschen 
Worten enthüllt und verkündet.
Wer Freude daran findet, 
Sinn und Ohren zu benutzen,
der hört hier nach seinem Begehr von 
Liebe und von Krieg erzählen,
so viel, dass er in seinem ganzen Leben
keine Geschichte mehr hören wird, 
die ihm näher gehen wird
als das Geschehen dieser Tage. 
Lasst mich euch das verkünden, 
was ich davon geschrieben las. 
Als Lamedon zugrunde ging 
und er tot aufgebahrt lag,
da war der König Priamus,
sein werter Sohn, nicht daheim.
Die Wahrheit lautet,
dass er mit einer Schar kühner Leute in ein 
fremdes Land gefahren wäre
und er dort
eine wunderliche Festung
mit Kraft und Verstand belagert hätte. 
Er begehrte sehr danach,
mit seiner tapferen Ritterschaft,
dasselbe Schloss
zu Zeiten zu gewinnen.
Er wollte es gerne erobern
und lag mit großer Streitmacht davor.
Seine Söhne Paris und Hector,
die zwei ausgezeichnete Ritter waren, waren mit 
dem Vater
ins Land gekommen
und hielten die Belagerung auch mit Kräften, 
wie es ihrer Ehre gebührte.

Montag, 7. September 2020

Kommentar

Die »Nichtigkeit« in V. 13023 ist mir gleich ins Auge gefallen – die Formulierung gefällt mir gut, weil sie sehr anschaulich und prägnant ist. Das Adverb »wol« im vorherigen Vers führt bei mir immer zu Stoßseufzern, weil es oft nicht leicht zu übersetzen ist und weil es manchmal auch gar nicht übersetzt werden muss. Man könnte überlegen, hier etwas zu übersetzen wie: »Ihr habt den Ursprung der Geschichte von dem Vlies detailliert gehört.« 

Vorsicht ist immer geboten bei mittelhochdeutschen Worten, die wir noch kennen, die ihre Bedeutung nicht sehr verändert haben – und die deshalb dazu verleiten, einfach das mittelhochdeutsche Wort mit seinem neuhochdeutschen Äquivalent zu übersetzen. »verdorben« im V. 13027 würde ich eher mit »gestorben« oder »getötet worden« übersetzen. 

Bei der Übersetzung von »manger muoter kint« (V. 13033) mit »Männer« frage ich mich, ob man damit nicht Frauen und Kinder ausschließt; um das zu klären, müsste man sich vielleicht die vorherige Darstellung der Kämpfe noch einmal ansehen. 

Sehr schön finde ich das »unsinnige Morden« als Übersetzung von »mordes ungefuoc« (V. 13037). 

Bei 13040f. frage ich mich, ob man hier nicht von einer Aussage ausgehen sollte, die auch noch für die Zukunft gilt: »… dass eine Nichtigkeit immer und immer wieder zu großem Leid führt«. 

V. 13057 verstehe ich ein bisschen anders. Ich glaube, es müsste in etwa heißen: »dabei aber erlitten sie noch weit Schlimmeres«.  

Wiederum sehr schön gefällt mir die Übersetzung von V. 13060-13064: einerseits in syntaktischer Hinsicht wegen des Relativsatzes in der Übersetzung; anderseits wegen der Übersetzung »stürzen« für »vellen«. 

13017-13069

Nû hân ich iu vil gar gesagt, 
wie manger in den tôt gejagt
ze Troye wart durch cleinez dinc.

13020

ir hânt des mæres ursprinc
umb den schæper wol vernomen: 
ez was von kranker sache komen, 
daz Lâmedon sîn ende kôs
und manger sît den lîp verlôs,

13025

der ouch ersterben muoste alsô. 
ir wâren gnuoc verdorben dô, 
doch wart ir tûsent warbe mê, 
die sît des grimmen tôdes wê 
dar umbe liten âne schult.

13030

vernemen ir daz alle sult, 
ê diz werc ein ende habe,
daz lîbes unde guotes abe
kam vil manger muoter kint, 
wan ez ist allez noch ein wint,

13035

swaz man von liuten ie gesluoc 
biz an des mordes ungefuoc, 
von dem ich iu noch sagen sol. 
dar an sô wart bewæret wol, 
daz ein mæzlîche sache

13040

ze grôzem ungemache
vil dicke und ofte sich getreit. 
reht als ein michel fiur bereit 
von kleinen funken dicke wirt, 
seht, alsô bringet unde birt

13045

ein cleine schulde grimmen zorn. 
des wart vil manger sît verlorn, 
der engelten muoste des,
daz Jâson unde Hercules 
von Troye wâren ê getriben.

13050

wær under wegen dô beliben 
diu selbe kranke schulde swach,
sô hæte man grôz ungemach 
niht erworben lange zît.
wan die von Troye wolten sît

13055

gerochen willeclichen hân, 
swaz in ze leide was getân:
dô muost in verre wirs geschehen.
ich hœre wîse liute jehen 
und si gemeine sprechen,

13060

daz sînen schaden rechen 
vil manger dicke welle, 
der mit der râche velle 
sich in grœzer ungemach.
Troiæren ouch alsô geschach,

13065

die wolten sich gerochen hân, 
swaz in ze schaden was getân, 
seht, dô geschach in michel wirs. 
ist, daz ir hie geloubent mirs,
sô zele ich iu besunder


Nun habe ich euch schon viel davon erzählt,
wie in Troja so mancher in den Tod gejagt wurde 
wegen einer Kleinigkeit.
Ihr habt den Ursprung der Geschichte 
von dem Vlies vernommen:
Es hat sich durch eine Nichtigkeit so ereignet, 
dass Lamedon sein Ende erkannte
und so mancher später sein Leben verlor
und ebenso sterben musste.
Viele waren jetzt verdorben,
doch wurden es tausendmal mehr, 
die später den Schmerz des Todes 
ohne Schuld erlitten.
Davon müsst ihr alle erfahren,
bevor dieses Werk ein Ende haben wird, 
dass viele Männer
ihr Leben und ihr Gut verloren; denn es ist 
alles unbedeutend,
wie viele Menschen bisher schon erschlagen worden sind,
bis zum unsinnigen Morden,
von dem ich euch noch erzählen muss. 
Daran hat sich gezeigt,
dass eine Nichtigkeit
schon sehr oft zu großem Leid 
geführt hat.
So wie ein großes Feuer
durch einen kleinen Funken angefacht wird,
seht, so bringt
eine kleine Schuld großen Zorn hervor. 
Deswegen war später so mancher verloren, 
der dafür büßen musste,
dass Jason und Herkules
vorher aus Troja vertrieben worden waren.
Wäre da diese geringe Schuld unterblieben,
so hätte man dieses große Leid für lange Zeit 
nicht erworben.
Denn die Trojaner wollten sich seitdem
gerne für das rächen,
was ihnen an Leid angetan wurde:
Da musste in ferner Zukunft Schlimmes geschehen.
Ich höre verständige Leute sprechen
und sie gemeinsam sagen,
dass sich so mancher, der sein Unrecht rächen 
will,
mit seiner Rache in noch größeres 
Unglück stürzt.
So widerfuhr es auch den Trojanern,
die sich für den Schaden, 
der ihnen angetan wurde, rächen wollten.
Seht, da geschah ihnen großes Übel.
Damit ihr mir glaubt,
erzähle ich euch im Einzelnen

Ende der Sommerpause und studentische Unterstützung

So langsam wird es Zeit, die Sommerpause dieses Blogs zu beenden. Umso leichter fällt mir der Neueinstieg, weil ich glücklicherweise Unterstützung bekomme, nämlich von einigen Bochumer Studierenden, die eine Übersetzungsübung bei meinem Kollegen Volker Sliepen besucht haben. Zwei Gruppen haben sich mit Konrads »Trojanerkrieg« auseinandergesetzt und erlaubt, ihre Übersetzungen zu präsentieren. Begonnen haben beide Gruppen mit dem Vers 13017. Der Übersichtlichkeit wegen werde ich die Übersetzungen in Stücke zu etwa fünfzig Versen aufteilen. Los geht es mit der ersten Gruppe. Mein herzlicher Dank geht an Volker Sliepen und an Lena Bexte, Ramona Blum, Eda Burhan, Lisa Marie Chlebowitz, Linda Jankowiak, Bernice Kebano, Dilara Öztürk, Maxi Pollack, Melike Yildiz (Demirbag).