Freitag, 17. Dezember 2021

15770-15779

dâ von sluoc si der clâre

des mâles mit dem rîse

und traf si doch sô lîse,

daz ir der slac tet sanfte wê.

dâ nider ûf den grüenen clê

warf si der knappe spæhe.

als ez dur schimpf geschæhe,

sus leite er ûf ir brüstelîn

die linden blanken hende sîn

und wart denn iemer alsô rôt


deshalb hat er sie damals

mit dem Zweig geschlagen

und sie doch so behutsam getroffen,

dass ihr der Schlag kaum wehgetan hat. 

Hinab auf das grüne Gras

warf sie der geschickte Jüngling 

und er legte, ganz so, als würde es im Spiel geschehen,

auf ihr Brüste

seine zarten, weißen Hände –

und immer dann, wenn das geschah, wurde er wegen seiner Liebesqualen 

Donnerstag, 16. Dezember 2021

15760-15769

ob ir mit worten sîn gedanc

wære entslozzen und geseit,

im hæte lîhte sîniu leit

geringet diu getriuwe maget.

nû was an schame alsô verzaget

daz herze und daz gemüete sîn,

daz er mit rede sînen pîn

niht getorste künden ir.

er wolte ir sînes herzen gir

entsliezen mit gebâre,


Wenn ihr seine Gedanken mit Worten

aufgeschlosse und gesagt worden wären,

hätte ihm das zugeneigte und wohlmeinende Mädchen

vielleicht sein Leid gelindert;

allerdings war sein Herz und sein Gemüt

durch die Scham so verschüchtert,

dass er ihr seine Qual mit Worten

nicht zu sagen traute.

Er wollte ihr sein Begehren

durch Taten enthüllen;

Montag, 13. Dezember 2021

15750-15759

wie solt ir aber werden kunt

diu tougenlîche minne sîn,

sît daz diu werde künigîn

des wânde, daz er wære

ein maget wunnebære.

Der schœnen wâren sîniu dinc

ein tougenlicher hælinc

und ein verborgenlich geschiht:

dâ von enwiste si des niht,

daz er nâch ir minne ranc.


Wie sollte sie aber 

von seiner heimlichen Liebe erfahren,

da die edle Königin

dachte, dass er

ein liebenswertes Mädchen sei?

Der Schönen waren seine Angelegenheiten

ein großes Geheimnis

und eine verborgene Sache.

Deshalb wusste sie nicht,

dass er um ihre Liebe kämpfte.  

Freitag, 10. Dezember 2021

15740-15749

dâ bî man die beswærde

der minne kiesen müeze:

dar umbe ouch dirre süeze

und dirre werde jungelinc

tet vil ofte manic dinc,

dâ bî diu reine guote

wol mohte in irem muote

gemerket hân die trûtschaft,

mit der sîn herze was behaft

verborgenlichen alle stunt.


woran man die Mühen

der Liebe erkennt.

Deshalb tat auch dieser süße,

edle junge Mann

immer wieder Dinge,

bei denen sie, die rein und gutmütig war,

die Zuneigung

durchaus merken und erkennen konnte,

die die ganze Zeit hindurch heimlich

an seinem Herzen haftete. 

Donnerstag, 9. Dezember 2021

15730-15739

iedoch ruort er niht vaste

noch ze sêre si dâ mite.

er sluoc si nâch der liute site,

die vol trûtschefte steckent

und sich mit liebe zeckent,

nâch dem si tougenlichen quelnt.

sô si vor schame ir leit verhelnt

und ez mit rede niht enklagent,

sô zeigent si doch unde tragent

daz werc und die gebærde,


doch hieb er sie nicht heftig

und nicht zu sehr damit. 

Er schlug sie, so wie es diejenigen tun,

die voll von Zuneigung sind

und sich liebevoll necken,

weil sie sich heimlich nach Liebe verzehren.

Auch wenn sie aus Scham ihr Leid verbergen

und ihre Klage nicht aussprechen,

so zeigen sie es doch durch 

ihr Auftreten und ihre Taten,

Mittwoch, 8. Dezember 2021

15720-15729

si giengen zuo den boumen hin

und brâchen wol geblüemtiu rîs,

mit den wart in dô manic wîs

vil sanfte und inneclichen wol.

daz rîs blüet unde loubes vol,

daz Achilles danne truoc,

daz huop er ûf lîs unde sluoc

ez ûf Dêîdamîen.

die kiuschen wandels vrîen

traf er dâ mit dem aste,


Sie gingen zu den Bäumen

und brachen blühende Zweige,

mit denen sie es sich dann auf vielfältige Weise

behaglich und angenehm machten.

Den Zweig, voll mit Blüten und Blättern,

den Achill gebracht hatte,

den hob er heimlich auf schlug

mit ihm auf Deiamia.

Die Reine, Tugendhafte

traf er dort mit dem Ast,

Dienstag, 7. Dezember 2021

15710-15719

ûf einen plân grüen unde wît

si giengen z’einer ouwe,

diu mit des meien touwe

vil sanfte was erfiuhtet

und wunneclich erliuhtet

stuont mit bluomen und mit grase.

ir ougen bar der grüene wase

süez unde senfte weide

mit aller hande cleide,

daz herze fröuwet unde sin.


Auf einer grünen und weiten Ebene

gingen sie zu einer Aue,

die vom Tau des Mais

sacht angefeuchtet war

und mit Blumen und Gras

wunderschön erstrahlte.

Ihren Augen war die grüne Wiese,

die so vielfältig gekleidet war, 

eine süße und angenehme Weide,

die das Herz und Gemüt erfreute. 

Montag, 6. Dezember 2021

15700-15709

von manger hande varwe,

die man dâ schouwet ûf dem plân.

wer solte alsus beswærde hân

dur sîner muoter willen!

dich schœnen Jocundillen

sol man niht vinden ungemeit.‹

mit disen worten überstreit

diu clâre den getriuwen,

daz er sich dâ von riuwen

begunde scheiden bî der zît.


durch die vielen Farben,

die man dort, auf der Wiese, zu sehen bekommt. 

Wer wird da noch schwermütig sein

wegen seiner Mutter!

Du, meine schöne Jocundille,

darfst nicht traurig sein.‹

Mit diesen Worten bezwang

die Strahlende den Ehrbaren,

so dass er sich dann und dort

von der Traurigkeit zu verabschieden begann.

Freitag, 3. Dezember 2021

15690-15699

dâ singet der galander

und diu liebe nahtegal.

waz ob ir wunneclicher schal

dîn ungemüete swachet.

sô dur dîn ouge lachet

vil manic bluome in dînen muot

und des vil liehten meigen bluot

gelpf in dîn herze glîzet,

sô swindet unde slîzet

dîn ungemüete garwe


Dort singen die Lerche

und die liebe Nachtigall. 

Vielleicht kann der angenehme Gesang

deinen Schwermut lindern.

Wenn durch deine Augen

zahlreiche Blumen hinein in deine Laune lachen

und die Blüten des strahlenden Monats Mai

hell in dein Herz strahlen,

dann schwindet und zerplatzt

dein Schwermut ganz und gar

Donnerstag, 2. Dezember 2021

15680-15689

nû daz Dêîdamîe

den knaben sus beswæret vant,

der Jocundille was genant

unde Achilles hiez dô vor,

dô wolte in ûz der sorgen spor

diu minneclîche füeren hin.

diu reine süeze diu nam in

mit blanker hende wol getân.

›wol ûf‹, sprach si, ›wir müezen gân

ze velde mit ein ander.


Als nun Deidamia

den Jungen derart bedrückt vorfand,

der Jocundille hieß

und zuvor Achill genannt worden war,

da wollte die Liebenswerte ihn

aus der Spur der Sorgen herausführen.

Die Reizende, Makelose nahm ihn

mit schönen, weißen Händen.

›Auf geht’s‹, sagte sie, ›wir müssen miteinander

zur Wiese gehen.  

Mittwoch, 1. Dezember 2021

15670-15679

in hete ir clârheit unde ir tugent

gestalt nâch einem wîbe,

des sprach er von ir lîbe,

daz er nâch sîner muoter lite

swær unde riuwelîche site.

Alsô truoc er die reinen,

daz er si wolte meinen

sus z’einer muoter wolgetân.

wie mohte des getriuwet hân

diu kiusche wandels vrîe?


Ihn hatte ihre Schönheit und ihre Vortrefflichkeit

in eine Frau verwandelt,

daher sprach er über sie,

als er sagte, dass er sich nach seiner Mutter

sehne und deswegen traurig sei.

Er hatte also die Makellose im Sinn,

die er also lieben wollte

als eine schöne Mutter.

Wie hätte die reine, tugendhafte

das merken und erraten sollen?

Dienstag, 30. November 2021

15660-15669

sô künde niemer sîn geschehen

an im daz wunderlîche dinc,

daz sich der starke jungelinc

gecleidet hæte in wîbes wât.

ez was ir schult und ir getât,

daz er sich wîplich schouwen liez:

dâ von si wol ein muoter hiez

des bildes und des lebetagen,

den er dur si begunde tragen

und an sich nam in blüender jugent.


dann wäre niemals

die wunderliche Sache geschehen,

dass sich der starke junge Mann

in Frauenkleider gehüllt hätte.

Dass er sich als Frau den Blicken zeigte,

das hatte sie getan und das war ihre Schuld,

so dass sie deshalb gewiss als Mutter bezeichnet werden kann,

seines Auftretens und seiner Lebensweise,

die er wegen ihr angenommen hatte

und die er, in seiner blühenden Jugend, für sich akzeptierte. 

Montag, 29. November 2021

15650-15659

ein niuwez leben im gebar

und im sîn altez bilde

gemachet hete wilde,

als ez der minne kraft gebôt.

si was ein muoter sîner nôt

und der figûren wîplich,

in die verwandelt hete sich

sîn vrecher lîp vil unverzagt.

hæt er die keiserlichen magt

niht beschouwet, noch besehen,


ein neues Leben gebar

und im seine frühere Gestalt

hat fremd werden lassen,

so wie es die Macht der Liebe befahl.  

Sie war eine Mutter seiner Not

und der weiblichen Gestalt,

in die sich sein kühner, furchtloser Kröper

verwandelt hatte.

Hätte er das kaiserliche Mädchen

nicht erspäht und nicht gesehen,  

Freitag, 26. November 2021

15640-15649

daz sîn gemüete wære

nâch sîner muoter ungemeit.

ouch het er wâr dar an geseit,

daz er betrüebet was nâch ir.

an ir lac sînes herzen gir

und sîn bestiu zuoversiht.

iedoch meint er die muoter niht,

diu sînen werden lîp getruoc:

er meinte die juncfrouwen cluoc,

diu mit ir lîbe wunnevar


dass er wegen seiner Mutter

traurig sei.  

Auch war es die Wahrheit,

dass er sich nach ihr sehnte.

Sie war es, nach der sein Herz begehrte

und auf sie waren seine größten Erwartungen gerichtet.

Allerdings drehten sich seine Gedanken nicht um seine Mutter,

die seinen edlen Körper gebar;

seine Gedanken drehten sich um das hübsche Mädchen,

die ihm mit ihrem schönen Leib

Donnerstag, 25. November 2021

15630-15639

sô triuwe ich ir genâden wol,

daz si mîn ungemüete

mit reiner tugent güete

geruochte stillen alzehant.

mir würde trôst von ir bekant,

solt ich ir nâch dem willen mîn

heimlicher unde næher sîn.‹

Die rede treip Achilles.

er jach der minneclichen des

vür ein gewislich mære,


dann, ich bin mir sicher,

wäre sie sogleich bereit, meine Traurigkeit

mir der Großzügigkeit ihrer reinen Tugend

zu beenden. 

Sie wäre mir ein Trost,

wenn ich ihr, so wie ich es mir wünsche,

näher wäre und häufiger mir ihr allein.‹

Diese Worte sagte Achilles.

Er trug das der Liebenswerten

als eine wahrhaftige Geschichte vor,

Mittwoch, 24. November 2021

15620-15629

ir lîp rein unde guoter

ist edel unde wunnevar.

swie si mich seneder nôt gebar,

dar în ich von ir schulde kam,

doch kan ich ir niht werden gram

und muoz ir holt von grunde sîn.

si liebiu süeziu trœsterîn,

an der ich wandel nie gesach,

erkande si mîn ungemach

und al mîn jâmer, daz ich dol,


Ihre Gestalt ist rein und vornehm;

sie ist edel und schön.

Auch wenn sie mich in eine schmerzliche Notlage

– in die ich durch ihre Schuld kam – gebracht hat,

kann ich ihr doch nicht böse sein

und muss ihr von Herzen zugeneigt sein.

Sie, die liebe, süße Trösterin,

an der ich nie etwas Schlechts wahrgenommen habe,

würde sie mein Unglück kennen

und all mein Leid, das ich zu ertragen habe, 

Dienstag, 23. November 2021

15610-15619

weizgot, sô muoz ich lîden

den grimmen angestbæren tôt.

kein blî sô vaste nie gesôt

ûf einer heizen glüete,

sô starke mîn gemüete

nâch ir siudet alle stunt.

an vröuden wirt mîn herze wunt,

swenn ich ir hie niht schouwe:

wan ez enwart nie vrouwe

sô sælic, sô mîn muoter.


weißgott, dann wird mich 

der grausame, beängstigende Tod ergreifen.  

Keine Blei hat je auf heißer Glut

so sehr gebrodelt, 

wie mein Denken und Wollen

die ganze Zeit nach ihr glüht.

Mein Herz wird an seiner Freude verwundet,

so lange ich sie hier nicht sehen kann,

denn es war nie eine Dame

so vom Glück gesegnet wie meine Mutter. 

Montag, 22. November 2021

15600-15609

ich hân dar umbe leides vil,

daz ich der muoter sol enbern,

diu mich hie vröuden solte wern

und inneclicher triuwe.

mîn jâmer und mîn riuwe

sint bitter unde swære,

wan ich ir gerne wære

nâh unde herzeclichen bî.

sol ich ir lange wesen vrî

und iren trôst vermîden,


Ich leide sehr darunter,

dass ich auf die Mutter verzichten muss,

die hier für meine Freude zu sorgen hätte

und für familiäre Vertrautheit.

Mein Leid und meine Traurigkeit

sind groß und schwer,

denn ich wäre gerne bei ihr

und ihr liebevoll nah.

Wenn ich lange auf sie und ihren Trost

verzichten muss, 

Freitag, 19. November 2021

15590-15599

daz dû niht solt ir wonen bî,

daz ist dîn grœstiu swære.

ob si dir nâher wære

den âbent und den morgen,

so enhætest dû niht sorgen

und wære dîn gemüete vrô.‹

der rede gap antwürte dô

mit sorgen ir der jungelinc.

er sprach: ›dû merkest mîniu dinc

reht unde schône, trût gespil.


Dass du nicht bei ihr sein kannst,

das ist dein größter Kummer.

Wenn sie morgens und abends 

näher bei dir wäre,

dann hättest Du keine Sorgen

und wärst frohen Mutes.‹

Auf diese Worte antwortete 

ihr der junge Mann sorgenvoll.

Er sagte: ›Du hast meine Angelegenheit

gut und sorgfältig erkannt, liebe Gefährtin.

Donnerstag, 18. November 2021

15580-15589

mit rôsenrôtem munde

sprach diu vil clâre wider in:

›gespil, waz meinet, daz dîn sin

bekümbert ist sô rehte gar?

ein trüebe antlitze missevar

daz biutest dû mir unde gîst.

ich wæne, dû beswæret sîst

dur dîne muoter ûz erwelt.

nâch ir dîn herze sich verquelt

und ist nû vröuden worden vrî.


Mit rosenrotem Mund

sagte die Makellose zu ihm:

›Gefährtin, warum bist du

so überaus niedergeschlagen?

Ein trübes, verfärbtes Antlitz

bietest Du mir dar.

Mir scheint, du seist wegen deiner

edlen Mutter so bedrückt.

Nach ihr sehnt sich qualvoll dein Herz,

so dass es alle Freude verloren hat. 

Mittwoch, 17. November 2021

15570-15579

daz houbet er dâ nider hienc

und saz beswæret bî der vrist.

reht als ein man, der trûric ist,

alsô kund er gebâren.

sîn ougen trüebe wâren

und sîn antlitze erblichen.

nû kam für in geslichen

Dêîdamîe tougen

und sach im under ougen

lieplîche bî der stunde.


Den Kopf ließ er damals hängen

und er saß schwermütig herum.

So wie jemand, der trauert,

ganz so verhielt er sich.

Seine Augen waren trüb

und sein Gesicht bleich.

Daraufhin kam Deidamia 

still und leise zu ihm 

und sah ihm dann

liebevoll tief in die Augen.

Dienstag, 16. November 2021

15560-15569

sô blûc und alsô vorhtesam,

daz er niht einer megde guot

getorste künden sînen muot

und sînes herzen ungemach.

an einem tage ez sô geschach,

daz er nâch ir begunde senen

und aber sich ûf jâmer wenen

dur die juncfrouwen reine.

ze herzen und ze beine

ir minne im alze nâhe gienc.


so schüchtern und so verängstigt,

dass er einem verständigen Mädchen

sein Denken und Wollen und seine Herzensqualen

nicht mitzuteilen wagte.

Eines Tages geschah es,

dass er sich nach ihr sehnte 

und sich erneut dem Jammer hingab,

wegen des makellosen Mädchens.

Seinem Herzen und seinem Körper

rückte ihre Liebe allzu nah.  

Montag, 15. November 2021

15550-15559

daz er niht sîne jâmersuht

ir künden wolte, noch ensparn.

er lie sîn ougen dicke varn

hin an die maget wol gestalt

und wart dar under nie sô balt,

daz er nâch sînes herzen gir

sîn leit getörste clagen ir.

Er het ê die getürstekeit,

daz er mit grimmen löuwen streit,

und was nû worden von der scham


dass er ihr seinen Schwermut 

nicht verraten und enthüllen wollte. 

Oft ließ er seine Augen

zum schönen Mädchen wandern,

war dabei aber nie so wagemutig,

zu wagen, ihr sein Herz mit all seinem Leid

auszuschütten.

Zuvor war er begierig darauf,

mit wütenden Löwen zu kämpfen;

nun aber war er durch die Scham

Freitag, 12. November 2021

15540-15549

ez was der sorgen überlast,

daz er ir niht getorste clagen,

daz er sô grimme swære tragen

muoste dur si z’aller stunt.

möht ir sîn ungemüete kunt

von sînem munde worden sîn,

daz hæte im sînes herzen pîn

geringet harte sêre.

nû was der vrouwen êre

sô grôz und des juncherren zuht,


Die größte Sorge, die ihn bedrückte,

war, dass er es nicht wagen durfte,

ihr gegenüber darüber zu klagen, dass er permanent

wegen ihr derart bitteren Kummer zu ertragen hatte.

Hätte er ihr von seinem Leid

erzählen können,

dann hätte ihm das seinen Herzensschmerz

deutlich verringert. 

Nun waren aber das Ansehen der Dame

und der Anstand des jungen Herrn so groß,

Mittwoch, 10. November 2021

15530-15539

sô wart im ie dar under

sîn varwe missehandelt.

sus unde sô verwandelt

wart sîn wunneclicher schîn.

daz fiur im in dem herzen sîn

tac unde naht wiel unde sôt.

daz kunde sîn antlitze rôt

wol machen unde verwen

und aber denne gerwen

in bleichen unde in trüeben glast.


wurde dabei 

seiner Hautfarbe übel mitgespielt. 

Sein liebenswertes Antlitz

veränderte sich hin und her.

In seinem Herzen loderte und brannte

das Feuer Tag und Nacht.

Dies Feuer war imstande, 

sein Antlitz zu erröten und rot einzufärben –

dann aber wiederum in

bleichen und trüben Schein zu kleiden.

Dienstag, 9. November 2021

15520-15529

diu frouwe von gebürte hôch

wonte im alle stunde bî.

si was vor ungemüete vrî

unde er senender sorgen rîch:

ir leben daz was ungelîch

unde ir wille und ir gedanc.

sîn senedez ouge sich erswanc

an der vil clâren dicke.

und swenne er sîne blicke

verliez an si besunder,


Die hochgeborne Dame

war stets bei ihm.

Ihr ging es gut

und er war von sehnsüchtiger Sorge erfüllt.

Ihr Leben war unterschiedlich,

und auch ihr Wollen und ihre Gedanken.

Seinen sehnsüchtigen Blick ließ er oft

zur Makellosen schweifen

und immer dann, wenn er seine Augen

auf ihr ruhen ließ,

Mittwoch, 3. November 2021

15510-15519

als einem lieben wîbe

sol ein man von rehte sîn.

solch minne was der künigîn

gar seltsæn unde wilde.

si truoc sîn wîplich bilde,

daz si gesworen hæte des,

daz der juncherre Achilles

ein maget lûterbære

und ein juncfrouwe wære.

Dâ von si nie von im geflôch.


wie ein Mann einer guten Frau

mit Recht ergeben sein soll.

Eine solche Liebe war der Königin

ganz fremd und unbekannt.

Sie verließ sich auf sein weibliches Aussehen,

so dass sie geschworen hätte,

dass der junge Herr Achilles

ein reines Mädchen 

und eine junge Dame sei.

Deshalb nahm sie nie von ihm Reißaus. 

Freitag, 29. Oktober 2021

15500-15509

si truoc im unde erscheinte

der triuwen und der minne vil,

diu z’einer frouwen ir gespil

sol in geselleschefte hân.

seht, alsô was dô niht getân

diu minne, der Achilles pflac.

swaz liebe in sînem muote lac,

diu schein geliutert als ein golt.

er was ir in der mâze holt

mit herzen und mit lîbe,


sie hatte und zeigte ihm gegenüber

Treue und viel von der Liebe,

die eine Freundin zu einer Dame zu haben hat,

wenn sie miteinander zu tun haben.

Mit der Liebe Achills

verhielt es sich allerdings anders.

All die Zuneigung, die er empfand,

die glänzte klar und edel wie Gold.

Er war ihr mit Herz, Haut und Haaren

so ergeben,

Donnerstag, 28. Oktober 2021

15490-15499

daz selbe tet der guote

mit liuterlichen triuwen ir.

sus truogen holdes herzen gir

z’ein ander disiu beide.

doch was ein underscheide

ir zweiger minne dô gegeben.

ir liebe diu wart underweben

mit ungelîchem willen.

Dêîdamîe Achillen

einvalteclîche meinte,


das gleiche tat der Gute

ihr gegenüber, mit reiner Treue. 

So fühlten also diese beiden Zuneigung, 

mit einander zugewandten Herzen.

Dennoch gab es in der Liebe der beiden

einen Unterschied.

Ihre Zuneigung war von

einem ungleichen Willen durchwoben.

Deidamie mochte Achill

auf arglose Weise,

Mittwoch, 27. Oktober 2021

15480-15489

daz was der küniginne

vil gar ein wildez mære.

si wânde, daz er wære

ein einvaltigiu tohter.

von dirre sache mohter

deste baz ir wonen bî,

wan si wart sîn ungerne vrî

den âbent und den morgen vruo.

si trat im unde sleich im zuo

mit willeclichem muote;


davon wusste die Königin

überhaupt nichts.  

Sie dachte, er sei einfach

eine zutrauliche Tochter.

Dadurch konnte er

umso einfacher bei ihr sein,

denn sie verzichtete

von morgens bis abends nur ungern auf ihn.

Sie trat zu ihm und ging zu ihm

ganz bereitwillig; 

Dienstag, 26. Oktober 2021

15470-15479

daz er si kunde tougen

erværen unde liute bar.

ouch nam diu minneclîche war

mit triuwen sînes lîbes.

sît daz er eines wîbes

und einer frouwen bilde truoc,

sô was ir daz gemæze gnuoc,

daz si geselleschaft im büte.

daz sîn gemüete in leide süte

nâch ir und nâch ir minne,


um sie heimlich

und ohne andere Leute anzutreffen.

Zudem zeigte sich die Liebenswerte

auch ihm zugewandt. 

Da er das Aussehen einer Frau 

und einer Dame hatte,

war es für sie völlig in Ordnung,

ihm Gesellschaft zu leisten.

Dass sein Denken und Wollen 

wegen ihr und ihrer Liebe leidvoll brannte, 

Montag, 25. Oktober 2021

15460-15469

und hete nâch im krieges vil,

dar ûf enahte er niht ein hâr.

er leite dar ûf sînen vâr

und alles sînes herzen ger,

daz Dêîdamîe und er

besunder sament wæren

und er die wunnebæren

vünd alters eine dicke.

er leite ir sîne stricke

mit herzen und mit ougen,


und alle waren bereit, sich heftig um ihn zu bemühen,

was ihm aber völlig egal war.

Sein Bemühen

und sein Begehren waren darauf gerichtet,

dafür zu sorgen, dass Deidamia und er

zu zweit zusammen seien

und er die Liebenswerte

möglichst oft ganz allein antreffe.

Er warf für sie sein Netz aus

mit seinem Herzen und seinen Augen,

Freitag, 22. Oktober 2021

15450-15459

gern unde willeclichen bî.

An ir lac sînes lîbes trôst.

in twanc dar ûf der minne rôst,

daz er ûz der frouwen schar

nam dekeiner megde war,

wan eht ir aleine.

mit herzeclicher meine

wart ir sîn lîp gevære.

ir iegelîchiu wære

vil gerne worden sîn gespil


bei der Schönen, Makellosen.

Sie war all sein Trost.

Das Feuer der Liebe zwang ihn dazu,

dass er angesichts der Schar der Damen

keines der anderen Mädchen wahrnahm,

nur sie allein.

Mit von Herzen kommender Liebe

stellte er ihr nach.

Jede von ihnen 

wäre gerne seine Freundin und Spielgefährtin geworden


Donnerstag, 21. Oktober 2021

15440-15449

und fuor mit ir gesinde

ze lande bî den stunden.

mit senedes herzen wunden

was Achilles dort beliben.

Dêîdamîe wart geschriben

mit ganzer stæte in sînen muot.

er meinte si vür allez guot

und was ir holt von grunde.

er wonte z’aller stunde

der schœnen missewende vrî


und kam mit ihren Leuten

wieder an Land.

Mit einem sehnsüchtigen, verwundeten Herz

war Achill dort geblieben. 

Deiadmia wurde unvergänglich

seinem Denken und Wollen eingeschrieben.

Er liebte sie mehr als alles andere

und war ihr voll und ganz zugetan.

Er war zu jeder Zeit

gerne und aus freiem Willen