Dienstag, 20. Dezember 2022

17450-17459

der künic wol geflizzen

het ûf die veste wunneclich

mit koste und mit gezierde sich.

Ouch hete er einen turn gemaht

ûz marmelsteine vil geslaht,

der stuont enmitten in der stift.

uns seit von im diu wâre schrift,

er læge ûf einem velse hôch,

des lenge sich ze berge zôch

fünf hundert clâfter über sich.


Der König hatte für

die beeindruckende Festung

keine Kosten und Mühen gescheut.

Auch hatte er einen Turm erbauen lassen,

aus vielerlei schönem Marmor,

der mitten in der Stadt stand.

Die wahren Bücher berichten von ihm,

dass er auf einem hohen Berg stehe,

dessen Länge sich fünfhundert Klafter 

in die Höhe erhob. 


[Bei den letzte beiden Versen bin ich unsicher. Ist der Berg fünfhundert Klafter hoch? Erhebt sich der Turm fünfhundert Klafter über den Berg hinaus?] 

Montag, 19. Dezember 2022

17440-17449

die steine wol gevieret

von bilden wâren schône ergraben.

dâ was vollendet unde erhaben

rîlichez werc in manige wîs.

reht als ein irdisch paradîs

diu stat erwünschet dûhte,

wan si gar schône lûhte

von rîchen dingen manger slaht.

si was nû bezzer vil gemaht

denn ê, daz sont ir wizzen.


In die schönen Steine 

waren kunstvolle Bilder eingehauen.

Ein prächtiges Werk hatte man dort

auf vielfältige Art und Weise errichtet und vollendet.

Ganz wie wenn man sich 

ein irdisches Paradies erträumt hätte,

so erschien die Stadt, die von vielerlei 

prächtigen Dingen schön erstrahlte.

Man hatte die Stadt – und das ist es, was ihr wissen müsst –, 

nun viel besser gebaut als zuvor. 

Freitag, 16. Dezember 2022

17430-17439

wan alsô wunnebære,

daz ez niht schœner mohte sîn.

ez was eht allez marmelîn,

swaz von bûwe drinne was.

vil manic hôher palas

stuont dar inne schône enbor,

an dem die louben wâren vor

und der wende mûre

mit golde und mit lâsûre

geverwet und gezieret.


so wundervoll war,

dass es schöner hätte sein können.

Es war wirklich alles aus Marmor,

was darin erbaut worden war.

Zahlreiche hohe Saalbauten

erhoben sich darin prächtig empor,

vor denen man Laubengänge errichtet hatte,

deren gemauerte Wände

mit Gold und mit Lasurblau

gefärbt und geschmückt waren. 

Donnerstag, 15. Dezember 2022

17420-17429

dâ wâren zehen tûsent

burger inne sezhaft,

die fürstenlicher hêrschaft

dâ wielten algelîche.

si wâren künige rîche,

margrâven unde herzogen.

diu schrift enhât uns niht gelogen,

diu von der stat die wârheit saget.

kein hûs dar inne was betaget,

daz iht anders wære,


Zehntausend Bürger 

lebten dort 

und sie alle

waren fürstliche Herren.

Mächtige Könige waren sie,

Markgrafen und Herzöge.

Die Schrift hat uns nicht belogen;

sie sagt die Wahrheit über diese Stadt.

Kein Haus konnte man darin finden,

dass nicht

Mittwoch, 14. Dezember 2022

17410-17419

daz man ersach dar inne sich

reht als in eime spiegel,

wan er enwas von ziegel

erziuget niht sô reine.

er was von marmelsteine

geworht nâch rîchen sachen.

swer Troye alsus hiez machen,

der solte leben iemer!

sô rîche liute niemer

in keiner stat gehûsent.


dass man sich darin

wie in einem Spiegel sehen konnte,

denn man hat den Boden nicht

aus Ziegeln so strahlen lassen,

sondern er war aus Marmor

kostbar gebaut.

Wer den Befehl gegeben hat, Troja so zu bauen,

der muss ewig leben!

Nie haben derart mächtige Menschen

in einer Stadt gelebt. 

Dienstag, 13. Dezember 2022

17400-17409

si wâren gel, grüen unde rôt,

wîz, brûn und als ein lâsûr blâ.

die türne stuonden alle dâ

mit blîe wol bedecket

und wâren drûf gestecket

knöpf überguldet schône.

mit rîcher koste lône

gezieret was diu selbe stat.

sô lûterbære und alsô glat

was ir gazzen esterich,


Sie waren gelb, grün und rot,

weiß, braun und wie der Lapislazuli blau.

Die Türme waren alle

mit Blei schön bedeckt

und auf das Dach hat man

mit Gold überzogene Spitzen gesteckt.

Die Stadt war also mit

überaus großen Kosten verziert und ausgestattet.

Der Boden ihrer Gassen 

war so rein und glatt,

Montag, 12. Dezember 2022

17390-17399

die türne gên den lüften hin

wâren ûf ze berge erhaben.

sô vil erhœhet vür die graben

was diu mûre wunneclich,

sus vil erhœhet heten sich

die türne vür die mûre glanz.

die steine kreftic unde ganz,

mit den diu mûre was bereit,

die truogen schœner varwe cleit,

daz liehten schîn den ougen bôt.


Die Türme erstreckten sich berghoch

gen Himmel.

So wie die schöne Mauer

sich hoch über den Graben erstreckte,

ebenso hoch erstreckten sich 

die Türme über die strahlende Mauer hinaus.

Die starken und mächtigen Steine,

aus denen die Mauer bestand,

erstrahlenden in schönen, farbigen Kleidern,

deren helles Strahlen die Augen erfreute.

Freitag, 9. Dezember 2022

17380-17389

dar în gezogen hete sich

ein fürste biderbe unde snel.

in iegelichem kastel

saz ein herzoge stæte,

der tûsent ritter hæte

und geltes zehen tûsent marc.

diu siben tor schœn unde starc

alsus besetzet wâren.

huot unde vride bâren

diu castel und die ritter in.


in der sich ein angesehener und tapferer

Fürst einquartiert hatte.

Jede Festung

beherbergte einen verlässlichen Herzog,

der tausend Ritter hatte

und zehn tausend Mark an Geld.

Auf diese Weise waren die sieben schönen und soliden Tore 

besetzt.

Schutz und Sicherheit brachten ihnen

die Festungen und die zugehörigen Ritter.

Donnerstag, 8. Dezember 2022

17370-17379

man dorfte in keinen zîten

nie bezzer stat beschouwen.

dâ wâren an gehouwen

ûz marmel siben porten,

die stunden z’allen orten

behuot vor itewîze

und wâren gar mit vlîze

gezieret hinden unde vor.

ein burc ob iegelichem tor

stuont vil harte wunneclich,


Noch nie hat man 

eine bessere Stadt gesehen.

Dort waren sieben Tore 

aus Marmor errichtet worden,

an denen es 

nichts zu tadeln gab

und die mit großem Aufwand

an der Vorder- und Rückseite geschmückt waren.

Bei jedem Tor stand

eine sehr ansehnliche Burg,


[Was genau ist damit gemeint, dass die Tore an »allen orten« vor »itewîze« behütet werden?]

Mittwoch, 7. Dezember 2022

17360-17369

dâ giengen umbe zwêne graben,

die wâren ûzer mâzen tief.

ein wazzer drinne alumbe lief,

daz die graben mahte vol.

mit türnen was gezieret wol

diu mûre in allen enden.

man warf wol mit den henden

ab eime, dâ der ander stuont.

er tet alsam die tôren tuont,

swer si gedâhte erstrîten.


Um die Mauer herum gingen zwei Graben,

die außergewöhnlich tief waren.

Durch die Gräben strömte das Wasser,

so dass die Gräben voll waren.

In kleinen Abständen war die Mauer

mit Türmen schön geschmückt.

Von einem zum anderen konnte man

leicht mit der Hand etwas werfen!

Wer auch immer auf die Idee käme, die Stadt zu erobern,

wäre ein Idiot. 

Dienstag, 6. Dezember 2022

17350-17359

ein mûre ûz marmelsteine

die stat vil schône alumbe zôch,

diu was sô gar unmâzen hôch

getriben ûf dur muotgelust,

daz über si kein arembrust

geschiezen mohte noch kein boge.

wær al die welt mit ir gezoge

derfür gevallen bî der zît,

der solte si kampf unde strît

mit ir kraft gegeben haben.


Eine Mauer aus Marmor

zog sich eindrucksvoll um die Stadt;

eine Mauer, die man im Überschwang und aus Enthusiasmus

so unglaublich hoch gebaut hat,

dass man weder mit einer Armbrust

noch mit einem Bogen über sie hinweg schießen konnte.

Wäre die ganze Welt im Kriegseifer

einmal vor diese Stadt gezogen,

hätte diese ihnen aufgrund ihre Mächtigkeit

Krieg und kämpferischen Widerstand entgegengesetzt.  

Montag, 5. Dezember 2022

17340-17349

die stat gebiuwen hæte.

Er hete ûz manigem lande

wercliute manger hande

gewunnen und besendet,

mit den sô was vollendet

der bû schœn unde stæte.

die stat begriffen hæte

ein harte wîter umbevanc.

wol drîer tageweide lanc

was diu veste uncleine.


die Stadt errichtet hatte.

Er hatte aus zahlreichen Ländern

Arbeiter aus verschiedenen Handwerken

beschäftigt und angeworben,

mit denen die Bauarbeiten

schön und zügig beendet wurden.

Die Stadt war nun 

von einem weiten Ring umfasst –

gut drei Tagesreisen lang

war die beachtliche Festungsanlage.


Freitag, 2. Dezember 2022

17330-17339

wir lesen an den schriften,

dô der juncherre Achille

mit der juncfrouwen stille

pflac der süezen minne alsus,

dô hete ouch künic Prîamus

die veste schône widerbrâht.

si was mit bûwe alsô bedâht,

daz ir kein stat dô was gelîch.

nû hœrent, wie der künic rîch

mit vlîze und mit geræte


Wir lesen in den Büchern,

dass (während der junge Herr Achill

insgeheim mit der jungen Dame

derart seiner süßen Liebe nachging)

der König Priamus auch schon 

die Stadt schön hat wieder errichten lassen.

Man hatte sie so gebaut,

dass keine Stadt es mit ihr aufnehmen konnte.

Hört nun, wie der mächtige König

mit Eifer und großem Aufwand

Donnerstag, 1. Dezember 2022

17320-17329

si zwei die truogen under in

lieb unde stæter minne vil.

hie mite sol ich unde wil

si lân belîben beide,

biz daz ich iu bescheide,

wie Troye was gebiuwen wider.

ich lege ir zweiger mære nider

und entsliuze von der stat,

wie keiserlichen man si bat

ornieren unde stiften.


Sie beide waren miteinander

glücklich und ihre große Liebe war echt und zuverlässig.  

Auf diese Weise muss und will ich 

die beiden sein lassen,

um euch zu berichten,

wie Troja wiederaufgebaut wurde.

Ich lege die Geschichte dieser beiden also zur Seite

und verrate mehr über die Stadt 

und wie kaiserlich man sie

hat verzieren und gestalten lassen.

Mittwoch, 30. November 2022

17310-17319

sô bôt er ie sîn lougen

dem wunneclichen wîbe.

ze herzen und ze lîbe

het er mit triuwen si geleit.

iedoch twanc in sîn wildekeit

zuo den vrîlichen dingen,

daz er sîn ougen swingen

an minneclîche vrouwen lie.

diu zît in mit ein ander gie

sanft unde wunneclichen hin:


und jedes Mal läugnete er das

gegenüber der schönen Frau.

Er hatte sie mit großer Treue

ganz und gar in sein Herz geschlossen.

Dennoch zwang ihn seine Wildheit

dazu, ganz unbekümmert

seine Augen zu 

liebenswerten Damen schweifen zu lassen.

Den beiden verging die Zeit miteinaner

angenehm und zärtlich.

Dienstag, 29. November 2022

17300-17309

Dêîdamîen herzesêr

was an den zîten anders niht,

wan daz Achilles die gesiht

lie dicke und ofte an ir gespiln.

ouch wolte si der rede beviln,

der mit in der hübsche pflac.

er leit von ir naht unde tac

dar umbe grôzen itewîz.

si jach, er leite sînen vlîz

an vremde minne tougen:


Deidamias größtes Leid

bestand damals darin,

dass Achill seine Blicke

oft und reichlich auf ihre Freundinnen richtete.

Außerdem bereitet ihr die Gespräche Verdruss,

die der höfische junge Man mit ihnen führte.

Er musste sich aus diesem Grund 

von ihr Tag und Nacht große Vorwürfe gefallen lassen.

Sie behauptete, er würde sich heimlich

um die Liebe anderer bemühen –

Montag, 28. November 2022

17290-17299

sô der juncherre lîhte sach

ein ander wîp mit ougen an,

diu guote sich des wol versan,

daz im ir wunneclicher lîp

was lieber vil dann alliu wîp,

und was ir doch von herzen leit,

daz er niht sîne blicke meit

und daz kôsen, daz er tete

durch kurzewîle an manger stete.

Waz touc hie lange rede mêr.


Sobald der junge Herr

eine andere Frau ansah,

machte sich die Gute zwar klar,

dass sie selbst ihm 

viel lieber sei als alle anderen Frauen,

aber dennoch traf es sie sehr,

dass er sein Schauen nicht sein ließ

und auch nicht das Tändeln und Liebkosen,

mit dem er sich oft die Zeit vertrieb.

Was soll ich noch lange davon erzählen…

Freitag, 25. November 2022

17280-17289

ez wære ein übergulde

der sælden und der êren,

daz minne künde mêren

vröud âne kumberlichen haz.

nein, si wil iemer etewaz

in daz gemüete stricken,

daz liep kund underspicken

mit sorgen eteswenne:

dâ von diu schœne denne

truoc in ir herzen ungemach.


Glück, Heil und Ansehen

würden mit Gold umfasst,

wenn die Liebe in der Lage wäre,

Freude zu mehren, ganz ohne leidvollen Hass.

Aber nein, sie will immer irgendwas

in das Gemüt weben,

wodurch die Freude hier und da

mit Sorgen durchzogen wird.

Eben hierdurch trug die Schöne dann

Leid in ihrem Herzen.

Donnerstag, 24. November 2022

17270-17279

si wizzent wol, daz im geschiht

kein liep, wan daz er blicket dar,

und nîdent doch daz selbe gar

mit herzen und mit sinne.

sus birget in diu minne

den angel in ir süezekeit.

ê daz si liep gar âne leit

lieze in ganzer wunne sîn,

ê stieze si den stift dar în

vil harte cleiner schulde.


Sie wissen genau, dass er davon

nicht mehr Freude hat als nur die Blicke –

und dennoch hassen sie es 

mit Herz und Verstand.

Auf diese Weise stößt die Liebe

einen Haken in ihr Glück und ihre Zufriedenheit.

Statt das sie in vollkommener Heiterkeit

an der Freude festhielte, ganz ohne Leid,

stößt sie lieber einen Stachel 

minimaler Schuld hinein.

Mittwoch, 23. November 2022

17260-17269

nû was eht ie der smerze

den vrouwen vil gemeine,

swaz in doch möhte cleine

gewerren, daz si nîdent daz.

ir herze und ir gemüete laz

wirt an vröuden umb den wint.

swie sicher si an dem manne sint,

daz er in holde sinne trage:

doch hazzent si daz alle tage,

ob er ein ander wîb an siht.


Nun ist es ja so, dass der Schmerz

schon immer den Damen eigen war –

es wird sie also nicht weiter stören,

wenn sie eifersüchtig sind.

Ihr Herz und ihre ganze Stimmung

wird angesichts von Kleinigkeiten der Freuden müde.

Ganz egal, wie sicher sie sich sind,

dass ein Mann ihnen treu ist,

sie hassen es dennoch zu jeder Zeit,

wenn er eine andere Frau anschaut. 

Montag, 21. November 2022

17250-17259

swie nâch im an sîn herze wac

ir minne ob allen vrouwen,

doch wolte er dicke schouwen

der wunneclichen megde schar.

diu nôt ir alters eine war

noch ander keiner slahte zorn.

het er diz eine dinc verborn,

sô wære si belîben geil,

noch hete keiner sorgen teil

geslozzen an ir herze.


Ganz egal, dass ihm seine Liebe zu ihr

näher am Herzen lag als alle anderen Damen,

er wollte dennoch oft 

die Schar der schönen Mädchen betrachten. 

Das war der Grund ihrer Traurigkeit,

sonst hatte sie keinerlei Sorge.

Hätte er auf diese eine Sache verzichtet,

dann wäre sie glücklich geblieben

und hätte gar keine Furcht

in ihr Herz geschlossen.

Freitag, 18. November 2022

17240-17249

daz man vür eine maget sach

den jungelinc vrech unde fruot.

si truogen beide hôhen muot

und liten keiner sorge pîn,

wan diu werde künigîn

beswæret wart vil dicke,

swenn er sîn ougenblicke

lie swingen an ein ander wîp.

ir gie sîn kôsen an den lîp,

daz er mit ir gespilen pflac.


dass man den kühnen, mutigen jungen Mann 

für ein Mädchen hielt. 

Sie waren beide glücklich

und wurden von keinerlei Sorgen gequält,

außer dass die edle Königin

oft betrübt war,

nämlich immer dann, wenn er seine Augen

zu einer anderen Frau schweifen ließ.

Die Zärtlichkeiten, die er mit ihren Freundinnen austauschte,

die trafen sie und gingen ihr nahe. 

Donnerstag, 17. November 2022

17230-17239

si zwei mit senender swære

wâren alle zît behaft:

daz schuof der leiden huote kraft,

die disen beiden tiure wart.

si wâren weizgot alle vart

in vröuden wol ein ander bî,

wan si bestuonden huote vrî

und lepten âne vorhte.

daz in diu vrîheit worhte,

diu von den schulden in geschach,


Die beiden waren unentwegt

von sehnsüchtigen Mühen bedrückt.

Dafür sorgte die Macht der leidigen Wächter,

die jenen beiden hohe Opfer abverlangte.

Diese wiederum verbrachten weißgott

unentwegt freudvoll Zeit miteinander

und lebten ohne Angst,

weil sie nicht beobachtet und bewacht wurden.

Die Freiheit war ihnen 

dadurch gegeben,

Mittwoch, 16. November 2022

17220-17229

si pflâgen hôher minne mêr
und wart in grœzer vröude erkant,
danne Isôt unde Tristant
mit ein ander trüegen.
vermelden noch verrüegen
mohte nieman si durch haz,
dâ von sô was in verre baz
mit liebe z’allen stunden,
danne Isôt der blunden
und ir Tristande wære.

Sie verbrachten mehr ihrer Zeit mit edler Liebe
und erlebten größere Freude
als Isolde und Tristan
miteinander hatten.
Niemand konnte sie aus Hass
verraten oder anklagen,
so dass sie zu jeder Zeit
in Freude lebten, 
anders als der blonden Isolde
und ihr Tristan. 

Dienstag, 15. November 2022

17210-17219

sô heimlîch und sô tougen,

daz nieman sîn wart innen.

wie solte ir zweiger minnen

iemer keiner muoter barn

hân befunden unde ervarn,

sît man des wænen wolte,

daz der juncherre solte

ein wunneclîchiu maget sîn.

Achilles und diu künigîn

vermiten allez herzesêr.


so heimlich und unauffällig,

dass niemand es merkte.

Wie hätte auch die Liebe der beiden

von irgendeiner Mutter Kind

erkannt werden sollen,

da man ja davon ausging,

dass der junge Herr

ein ansehnliches Mädchen sei.

Achill und die Königin

ersparten sich allen Kummer und alles Leid.

Montag, 14. November 2022

17200-17209

die naht in vröuden si vertriben

und lepten ouch mit liebe sît.

ein ende nam diu hôchgezît

des morgens und der frouwen spil.

si beide pflâgen wunne vil

und was in herzeclichen wol.

swaz liep bî lieben vrouwen sol,

des triben si dâ wunder

und truogen daz dar under

den liuten vor den ougen


Die Nacht verbrachten sie glücklich und vergnügt

und auch danach waren sie fröhlich miteinander.

Am Morgen ging das Fest zu Ende

und auch das Spiel der Damen.

Ihnen beiden ging es 

von Herzen gut.

Was auch immer freudvolle Damen an Freude haben können,

das hatten sie in Hülle und Fülle

und sie taten das

vor den Augen der Leute

Freitag, 11. November 2022

17190-17199

ich sol dir fröude mêren

und wil dir hôchgemüete geben

die wîle, daz ich mac geleben.‹

Dur den getriuwelichen trôst

wart von ungemüete erlôst

Dêîdamîe sâ zehant.

ir beider trûren dâ verswant

und wart ir jâmer cleine.

vorht unde sorgen eine

bî ein ander si beliben.


Ich werde dir Freude bringen

und dein Glück mehren,

so lange ich lebe.‹

Durch den vertrauensvollen Trost

wurde Deidamia sogleich

von ihrem Kummer erlöst.

Nun war die Traurigkeit der beiden verschwunden

und ihr Elend war vergangen.

Frei von Furcht und Sorgen

blieben sie beieinander.

Donnerstag, 10. November 2022

17180-17189

die wîle, daz ich iemer

kan alhie bî dir betagen.

grôz angest muoz mich von dir tragen,

ê daz ich hinnen scheide.

niht bringe ich dich ze leide

mit sorgen, herzeliebez trût.

verselwe dîne blanken hût

und dîne liehte varwe niht,

wan dir kein leit von mir geschiht

an lîbe noch an êren.


so lange ich hier 

bei dir werde bleiben können.

Größte Not und Bedrängnis müssten mich dir entreißen,

bevor ich von hier fortgehe.

Ich werde dir keine Sorgen und 

Leid bescheren, Herzallerliebste!

Werde deine unbefleckte Haut

und deine helle Farbe nicht beflecken,

weil weder dir noch deinem Ansehen

durch mich irgendein Leid geschehen wird.

Dienstag, 8. November 2022

17170-17179

und wil an dir belîben

stæte biz an mînen tôt.

mîn herze keiner slahte nôt

kan von dir gescheiden.

ein triuwe sol uns beiden

unde ein wille sîn gegeben.

lîp unde guot, êr unde leben

wil ich hie bî dir wâgen.

gevorschen noch gefrâgen

sol ich ze lande niemer


und werde dir treu sein,

bis zu meinem Tod. 

Egal was passiert – nichts wird mein Herz

von dir trennen können.

Uns beide wird eine Treue

und ein Wille verbinden.

Mich und meinen Besitz, mein Ansehen und mein Leben

will ich hier bei dir in die Waagschale werfen.

Nie werde ich fremde Länder

durchziehen und erkunden,

Montag, 7. November 2022

17160-17169

daz an dir ist der wille mîn

ergangen ûf der erden,

ez solte guot rât werden,

wan ich niht fürhte sîn getwanc.

ich sol dich über sînen danc

vor schaden wol behüeten.

lâ senften unde güeten

dîn angest unde dînen zorn.

ich hân ze frouwen dich erkorn

ûz allen werden wîben


dass hier im Gras

meine Wille an dir vollzugen wurde,

so wird sich eine Lösung finden,

denn ich fürchte seine Macht nicht. 

Ich werde dich, ob er will oder nicht,

sorgfältig vor Schaden schützen.

Sänftige deine Angst und deinen Zorn –

und lass es gut sein.

Ich habe dich zu meiner Dame erwählt,

aus allen edlen Frauen,

Freitag, 4. November 2022

17150-17159

›erweltiu frouwe, sælic wîp,‹

sprach er zuo der künigîn,

›dû maht des âne vorhte sîn,

daz ich von hinnen kêre.

dîn leben und dîn êre

sol ich alsô bewachen,

daz dû vor leiden sachen

wirst beschirmet und behuot.

wis vrœlich unde wol gemuot!

erfüere ez joch der vater dîn,


›Edle Dame, glückbringende Frau‹,

sagte er zu der Königin,

›du brauchst keine Angst zu haben,

dass ich von hier weggehe.

Dein Leben und dein Ansehen

werde ich so schützen,

dass du vor allem, was Leid bringt,

beschützt sein wirst.

Sei fröhlich und guten Mutes!

Und auch wenn dein Vater erfährt,  

Donnerstag, 3. November 2022

17140-17149

ob ich des sicher wære

an der bescheidenheite dîn,

daz dû bî mir hie woltest sîn

und mir vür wâr gehiezest,

daz dû mich niht enliezest.«

Der hôchgemuote Achilles

antwürte gap der rede des

getriuwelichen bî der stunt.

er kuste ir rôsenvarwen munt

und twanc si nâhe an sînen lîp.


wenn ich sicher sein könnte,

dass du dich dazu verpflichtest,

hier bei mir bleiben zu wollen –

und dass du mir versprichst,

dass du mich nicht verlässt.«

Der beglückte und frohgemute Achill

antwortete sogleich 

auf vertrauensvolle Arte und Weise auf ihre Rede.

Er küsste ihren rosenfarbenen Mund

und drückte sie fest an sich. 

Mittwoch, 2. November 2022

17130-17139

sô fürhte ich harte sêre,

daz dû ze lande strîchest,

sô daz dû mir entwîchest

und dû mich lâzest in der nôt.

swie daz geschiht, sô bin ich tôt

und ist dâ hin mîn lebetage.

von schulden weine ich unde clage

in mînem herzen iemer.

getrûren wolte ich niemer

von keiner slahte swære,


fürchte ich über alle Maßen,

dass du fortziehst

und mir auf diese Weise entfliehst

und mich dann in dieser Notlage zurücklässt. 

Sollte das passieren, dann ist das mein Tod

und mein Leben geht zuende.

Ich habe Grund, auf ewig und von Herzen

zu weinen und zu klagen.

Nichts aber würde mich jemals

mehr – und aus keinem Grund – trauern lassen,

Dienstag, 1. November 2022

17120-17129

mich dûhte gar ein kindes spil,

waz leides mir von dir geschiht,

het ich des einen angest niht,

daz ich hie swanger würde.

mir ist der sorgen bürde

gevallen ûf mîn herze.

noch twinget mich ein smerze,

der mich ân ende drücket.

sît dû mir hâst gezücket,

mîn lop und al mîn êre,


Das Leid, das mir durch dir geschehen ist,

das wäre für mich eine Lappalie,

hätte ich nicht die große Sorge,

dass ich hier schwanger geworden bin.

Die Sorgen sind mir als eine Last

auf mein Herz gefallen.

Außerdem quält mich ein Schmerz,

den ich pausenlos erleide:

Da du mir 

meinen guten Ruf und all mein Ansehen genommen hast,