Mittwoch, 23. April 2025

22720-22729

ze Troie in mînem rîche.‹

Nû daz die frouwen disen trôst

vernâmen, dô wart in erlôst

von sorgen ir gemüete.

si twanc ir wîplich güete,

daz si dâ vielen alle

mit einem snellen valle

Pârîse für die füeze.

der guoten rede süeze

seitens’ im gnâd unde danc.


in Troja bleiben, im meinem Reich.‹

Als nun die Damen diese tröstende Nachricht

hörten, da wurden ihnen 

ihre Sorgen genommen.

Ihre Weiblichkeit zwang sie allesamt dazu,

augenblicklich

Paris 

zu Füßen zu fallen.

Für die guten, süßen Worte und für sein Wohlwollen

dankten sie ihm. 

Dienstag, 22. April 2025

22710-22719

ist aber, daz si wellent man

zer stæte nemen und zer ê,

die gît man in, waz sol des mê,

nâch volleclicher werdekeit.

êr unde guot daz wirt bereit

in allen umbe ir minne.

si werden herzoginne

und landes frouwen ûz erkorn,

ob si belîbent âne zorn

gemeine und algelîche


Sollte es aber so sein, dass sie sich

mit Männern zur Ehe verbinden möchten,

dann – und das versteht sich ja von selbst – bekommen sie Ehemänner

so wie es ihrer Würde angemessen ist.

Ansehen und Besitz 

erhalten sie alle als Lohn für ihre Liebe.

Man wird sie zu Herzoginnnen machen

und zu edlen Landesherrinnen,

wenn sie alle zusammen

ohne Hass und Zorn

Donnerstag, 17. April 2025

22700-22709

ouch trœstent iuwer frouwen

und iuwer megede beide!

ze schaden noch ze leide

wirt in ze Troie niht getân.

ist, daz ir muot beginnet stân

ze Kriechen wider in ir lant,

si werden von mir hein gesant

mit fröuden und mit êren.

mîn vater lât si kêren

gern unde willeclîche dan.


Tröstet auch eure Damen

und ebenso eure Dienerinnen!

Es wird ihnen in Troja

kein Schaden und kein Leid geschehen. 

Wenn es so sein sollte, dass sie irgendwann

nach Griechenland wollen, in ihr Land,

dann werden sie von mir 

freudvoll und ehrenvoll nach Hause geschickt.

Mein Vater wird sie 

gerne ziehen lassen. 

Mittwoch, 16. April 2025

22690-22699

ir werdet dâ, vil sælic wîp,

mit liebe ergetzet harte

der wunne, diu ze Sparte

iu wart erboten aldâ her.

ich wil erfüllen iuwer ger

mit lîbe und mit dem guote,

des lânt iu wol ze muote

dur iuwer tugende werden!

kein jâmer sol ûf erden

iuch sêren noch verhouwen.


Ihr werdet dort, glückselige Frau,

mit Freuden völlig für das

Vergnügen entschädigt, das 

euch in Sparta stets geboten wurde.

Ich werde euren Willen erfüllen,

persönlich und durch meinen Besitz;

denkt also an eure Würde und

beruhigt euch!

Kein Leid auf Erden 

darf euch schmerzen oder verletzen.  

Dienstag, 15. April 2025

22680-22689

ich swer iu des vil mangen eit,
daz iu vil êren wirt bekant.
ir kument in ein bezzer lant,
dann iuwer künicrîche sî:
dâ tuot man iuch beswærde vrî
mit fröuden und mit wirde.
swar nâch sich iuwer girde
und iuwer edel herze sent,
des wirt nâch wunsche dâ gewent
mit êren iuwer süezer lîp.

Ich schwöre euch jeden Eid,
dass ihr großes Ansehen haben werdet. 
Ihr kommt in ein Land, 
das besser ist als euer Königreich.
Dort wird man mit Freuden und würdevoll
alles Leid von euch nehmen.
Alles, was ihr begehrt
und was euer edles Herz ersehnt,
damit werdet ihr, süße Frau,
umsorgt, ganz so wie ihr es wünscht.

Montag, 14. April 2025

22670-22679

lânt iuwer hôhez trûren sîn

und iuwer inneclichez clagen!

wer möhte erlîden und vertragen

daz jâmer, daz ir üebent?

mit sorgen ir betrüebent

mich unde mîne ritter.

diu clage ist gar ze bitter,

die man iuch, frouwe, trîben siht.

gehabent iuch sô übel niht

dur iuwer hôhen sælikeit!


lasst euer ehrbares Trauern sein

und euer hingebungsvolles Klagen!

Wer könnte den Jammer, den ihr treibt,

aushalten und ertragen?

Mit Sorgen und Traurigkeit

belastet ihr mich und meine Ritter.

Viel zu streng ist die Klage,

die man euch, edle Dame, vollführen sieht.

Gedenkt eures Adels und eurer Vollkommenheit

und gebärdet euch nicht so miserabel! 

Freitag, 11. April 2025

22660-22669

Pârîsen vaste des verdrôz,

wan ez im ouch beswærde bar.

dâ von der junge herre dar

für die küniginne trat.

mit worten er si tiure bat,

daz si dur got verbære

ir clagelîche swære

und ir vil strengez ungemach.

güetlichen er zer lieben sprach:

›vrouw unde werdiu künigîn,


Paris war dadurch sehr verstimmt, 

weil dies auch ihm Kummer bereitete.

Deshalb ging der junge Herr

dorthin, zur Königin.

Mit seinen Worten bat er sie inständig,

dass sie in Gottes Namen

ihre Klage und ihren Kummer sein ließe

und ihr ungehemmtes Jammern.

Freundlich sagte er zur Liebenswerten:

»Dame und edle Königin,

Donnerstag, 10. April 2025

22650-22659

sô lac vil grôz beswærde

versigelt in ir herzen.

si lie den jâmersmerzen

an ir lîbe schouwen,

daz mit ir alle frouwen

begunden trûren unde clagen.

grôz weinen unde hantslagen

ir megde triben unde ir wîp.

si leiten marter an ir lîp

und wart ir ungemüete grôz.


dann war in ihrem Herzen

übergroßer Kummer versiegelt und verschlossen.

Sie zeigte den jämmerlichen Schmerz

an ihrem Körper,

sodass alle Damen mit ihr

zu klagen begannen und Trauer zeigten. 

Ihre Dienerinnen und die Frauen, die sie begleiteten, 

weinten heftig und rangen die Hände.

Sie quälten ihre Körper

und ihr Kummer war groß.

Mittwoch, 9. April 2025

22640-22649

wan daz man sprichet unde saget,

ez sî der sêle ein êwic nôt.

ich tæte ê selber mir den tôt,

ê daz ich mînen man verküre

und al mîn êre alsus verlüre.‹

Helêne dise clage treip.

si brach ir vinger unde reip

ir ougen liehter denne ein glas.

ist, daz ir ungemüete was

sô grimme als ir gebærde,


weil man doch sagt, 

dass es die Seele für immer in Not bringe.

Lieber würde ich mich selbst töten

als dass ich meinen Mann verließe

und so dann all mein Ansehen verlieren würde.‹

Auf diese Weise klagte Helena.

Ihre Finger krachten und sie rieb ihre Augen,

die heller erstrahlten als durch ein Fenster fallendes Licht.

Wenn ihr Gemütszustand so schlimm war

wie ihr Verhalten und Gebaren,  

Dienstag, 8. April 2025

22630-22639

ez wirt ein êwic schande

den Kriechen algelîche,

daz von ir künicrîche

wirt alsus gezücket hin

der beste roup, der under in

bî tûsent jâren wart gesehen.

daz in diz laster sî geschehen

und mir diu grôze unsælikeit,

daz sî den göten iemer leit

und muoz in tiure sîn geclaget,


Es wird den Griechen – allen von ihnen -

eine ewige Schande sein,

dass aus ihrem Königreich

auf diese Weise das wertvollste Diebesgut,

das es in tausend Jahren bei ihnen gab, 

geraubt wird. 

Dass ihnen diese Schmach angetan wurde

und mir das große Unglück,

das möge den Götter auf ewig leidtun

und möge ihnen gegenüber heftig beklagt werden, 

Montag, 7. April 2025

22620-22629

die friunde mîn betrüeben

mac wol diz schemelîche dinc,

daz mich ein fremder jungelinc

ir lande hât entzücket.

ir wirde muoz verdrücket

von mîner swacheit iemer sîn.

owê, getriuwen bruoder mîn,

wie tuot iu diz sô rehte wê,

daz ein gast sol über sê

mich füeren sus ze lande.


Dass mich ein fremder junger Mann

aus ihrem Land genommen hat,

diese beschämende Situation

wird meine Verwandten traurig stimmen.

Ihre Würde wird 

durch meine Schmach und Entehrung ewig vernichtet sein.

Ach, mein treuer Bruder,

wie wird euch das schmerzen,

dass ein Fremder mich auf diese Weise

über das Meer in fremde Länder führt!

Freitag, 4. April 2025

22610-22619

owê, daz ich ie schœne wart

und ich gewan ie clâren lîp!

des muoz ich, sældelôsez wîp,

betrüeben mîne stætekeit.

die göte hânt ûf mich geleit

erbermeclîche râche.

owê der lantsprâche,

in der mîn künne wart geborn!

die muoz ich leider hân verlorn

und fremde zungen üeben.


Ach, warum bin ich eine schöne Frau geworden

und warum habe ich diesen schönen Körper?

Das ist der Grund, warum ich, ich unglückselige Frau, 

meine Ehrbarkeit und Treue zugrunde richte.

Die Götter lassen ihre 

unerbittliche Rache auf mich niedergehen.

Ach, Sprache meiner Heimat,

in die meine Familie hineingeboren wurde!

Auf diese Mundart muss ich nun leider verzichten

und muss mit fremden Worten sprechen.