Donnerstag, 18. April 2024

19730-19739

gelîch dem wilden adelaren,

der sweimet in den wolken.

swaz ie von wîbes molken

ze fleische und ouch ze beine wart,

daz was ein wint an reiner art

biz an daz spilnde wunder,

daz an ir lac besunder

von ûz erwelter clârheit.

der Wunsch der hete an si geleit

mê flîzes denne ûf alliu wîp.


so wie der wilde Adler,

der in die Wolken aufsteigt.

Alles, was ja aus Muttermilch  

zu Fleisch und Gebein geworden ist,

das war, was den reinen Adel anbelangt, nur ein Wind

im Vergleich zum leuchtenden Wunder,

das sie war –

ein Wunder an beispielloser Schönheit.

Wunschträume und die Vorstellungskraft hatten in sie

mehr Arbeit gesteckt als in alle anderen Frauen.

Mittwoch, 17. April 2024

19720-19729

ir schœne was sô bodenlôs,

daz man niht grundes drinne sach.

swaz man von frouwen ie gesprach

an buochen unde an lieden,

dâ lopten unde schieden

die wîsen ûz ir schœnen lîp

für alliu minneclîchiu wîp.

Ir name an êren unde an lobe

fuor ie den besten frouwen obe

und muoz ouch ob in iemer varen


Ihre Schönheit war wie ein Fass ohne Boden,

sodass man kein Ende erkennen konnte.

Von all dem, was man je über Frauen gesagt hat,

in Büchern und Liedern,

davon wurde ihre schöne Erscheinung

von denen, die das beurteilen konnten,

abgesetzt und von allen liebenswerten Frauen unterschieden.

Was das Ansehen und das Lob anbelangt,

stand ihr Name stets vor den besten Damen

und wird auch immer vor ihnen sein,

Dienstag, 16. April 2024

19710-19719

swâ man ir tugentlichen lîp

begunde rehte schouwen.

si kunde liehte vrouwen

mit ir clârheite blenden.

nû seht, wie von den wenden

erschîne ein tôt gemælde blint,

swâ lebende crêâtiure sint,

sus wâren alle varwe

tôt unde erloschen garwe,

sô man ir lebendez bilde kôs.


wo auch immer man ihren tadellosen Körper

hinlänglich betrachten würde.

Sie war in der Lage, leuchtende Damen

mit ihrer Schönheit zu blenden.

Nun seht, wie farblos an den Wänden

ein totes Bild aussehen würde,

wenn es dort lebende Wesen gibt –

genau so waren alle Farben

tot und ganz erloschen,

sobald man ihrer ansichtig wurde.  


[In diesem Semester helfen mir Studierende der Universität Freiburg beim Übersetzen – herzlichen Dank dafür!]

Montag, 15. April 2024

19700-19709

des sol ein wol bescheiden man

erkennen unde merken bî,

daz mîn gemüete lûter sî

und ich daz beste gerne tuo.

leg ich der werke niht dar zuo,

doch tuon ich reinen willen schîn

und lobe die glanzen künigîn

gern unde wol nâch mîner state.

reht als ein troum und sam ein schate,

sus wâren alliu schœniu wîp,


Daran kann jemand, der sich auskennt,

merken und erkennen,

dass ich die besten Absichten habe

und dass ich gerne das tue, was am besten ist.

Wenn ich es auch nicht in die Tat umsetze,

so zeige ich doch meinen untadeligen Willen

und lobe die strahlende Königin

gern und so gut ich es vermag.

Ganz wie ein Traum und wie ein Schatten

wären alle schönen Frauen,

Freitag, 12. April 2024

19690-19699

ich dörfte wol der künste,

der Salomônes herze pflac,

solt ich den ruom, der an ir lac,

entsliezen gar ze tiute.

des bite ich werde liute,

daz si mir niht verkêren,

ob ich nâch vollen êren

ir lop niht müge ergründen.

ir prîs den wil ich künden

mit worten, als ich beste kan.


Ich bräuchte die Weisheit

die Salomo hatte,

um den Ruhm, der sie umgab,

voll und ganz zu verdeutschen. 

Darum bitte ich alle verehrten Leute,

dass sie es mir nicht übel nehmen,

dass ich ihr Lob nicht so vertiefen kann,

wie es ihrem Ansehen entspricht. 

Ich werde ihr Lob mit Worten so gut verkünden

wie ich kann. 

Donnerstag, 11. April 2024

19680-19689

ez was diu lûter Helenâ,

diu Pârîse was gelobet.

ir lop noch allen frouwen obet

ze Kriechen unde ouch anderswâ.

man rüemet hie, dort unde dâ

ir lîp, ir leben unde ir art,

daz mir der kumber ist gespart,

daz ich hie sage ir hôhen prîs,

dar zuo bin ich niht vollen wîs

an sinne und an vernünste.


es war die makellose Helena,

die Paris versprochen worden war.

Sie ist es, die man mehr als alle Frauen lobt,

in Griechenland und auch an anderen Orten.

Man rühmt hier, dort und überall

ihren Körper, ihr Leben und ihre edle Herkunft –

deshalb kann ich mir den Kummer ersparen,

hier noch einmal ihr Loblied zu singen,

wozu mir sowieso 

Weisheit und Klugheit fehlen.

Mittwoch, 10. April 2024

19670-19679

und leisten einen antheiz

den göten und der Minne.

si was ein küniginne

des landes und des rîches,

und lepte ir niht gelîches

an êren unde an lîbe.

ein bluome glanzer wîbe

schein diu vil wunnebære.

wie si genennet wære,

daz künde ich iu mit rede sâ:


um dort den Göttern und der Liebe

ein Gelübde zu leisten. 

Sie war Königin 

in diesem Land und diesem Reich

und niemand kam ihr

an Ansehen und Schönheit gleich.

Wie eine glänzende Blume der Weiblichkeit

glänzte die überaus Liebenswerte. 

Wie sie hieß,

das sage ich euch sogleich: