Freitag, 29. November 2024

22010-22019

und lâ besunder alle wege

dir bevolhen sîn den gast!

leg ûf in hôhes flîzes last

und pflic sîn wol mit stæte!‹

der rede ich gerne hæte

gesmieret bî der stunde.

vor spotte ich mit dem munde

enthielt mit grôzer nœte mich.

ez dûhte mich sô gemellich,

daz er mich iuwer pflegen hiez,


und kümmere dich insbesondere stets

um den Gast!

Scheue keine Anstrengungen

und bemühe dich beständig um ihn!«

Bei diesen Worte hätte ich damals

gerne gegrinst –

und nur mit Mühe und Not konnte 

ich meinen Mund in Zaum halten.

Mir schien das so amüsant zu sein,

dass er mich bat, mich um euch zu kümmern,

Donnerstag, 28. November 2024

22000-22009

in dûhte ein vröudenrîchez heil,

daz ich in bat sô schiere komen.

gedrücket wart ich und genomen

getriuwelîche an sîne brust

und ze lône dâ gekust

von sînem munde dicke.

er sprach zuo mir: ›nû schicke

des hoves dinc ze rehte!

mîn hûs und dîne knehte

bewache wol mit dîner pflege


Dass ich ihn gebeten habe, bald wieder zurückzukommen,

schien ihm eine große Freude und ein großes Glück zu sein.

Ich wurde in den Arm genommen,

wurde innig an seine Brust gedrückt

und zum Lohn 

oft von ihm geküsst.

Er sagte zu mir: »Schau du nun

am Hof nach dem Rechten!

Achte gut mit deiner Fürsorge

auf mein Haus und deine Diener

Mittwoch, 27. November 2024

21990-21999

in twanc dar ûf urliuges nôt,

daz er den wec niht mohte sparn.

er zwîvelt, ob er wolte varn,

dâ von ich dô gefrâget wart,

ob er solte ûf sîne vart

mit mînem willen kêren hin.

seht, dô begunde ich wider in

sprechen minneclichen dâ:

›var unde kum her wider sâ!‹

Der rede wart sîn herze geil.


Er wurde durch einen Krieg dazu gezwungen

und musste sich auf den Weg machen.

Er hat daran gezweifelt, ob er fahren sollte,

und deshalb wurde ich gefragt,

ob ich dafür sei,

dass er sich auf den Weg macht.

Schaut, da habe ich 

liebevoll zu ihm gesagt:

»Fahr und komm bald wieder!«

Diese Worte haben ihn glücklich gemacht. 

Montag, 25. November 2024

21980-21989

sô sulent ir gebâren,

als ob iu niht dar umbe sî.

belîbent ungebærde frî

und werbent heinlîch iuwer spil!

wir hân zer minne state vil,

dar umbe ensint doch niht ze balt!

ir sult des mundes hân gewalt

und redent in der mâze!

der wirt ist sîne strâze,

als im diu rehte schult gebôt.


dann müsst ihr dennoch so tun,

als ob dem nicht so wäre. 

Haltet euch von unzüchtigem Benehmen fern

und verfolgt eure Liebesziele heimlich!

Wir haben viele günstige Gelegenheiten zur Liebe,

seid also nicht zu kühn und zu schnell!

Ihr müsst euer Mundwerk unter Kontrolle halten

und euch mit Worten mäßigen!

Der Gastgeber ist unterwegs,

weil er dazu gezwungen war. 

Freitag, 22. November 2024

21970-21979

Ethrâ, mîn liebez kamerwîp,

hât nû vil lange mir geseit,

dem volke dem sî vür geleit

unser gewerp und unser dinc.

des lâzent, werder jungelinc,

al iuwer hôhe bete stân,

und mügent ir sîn niht verlân,

sô sult ir doch gelîchsen.

well an iuch minne rîchsen

und iuwer langer vâren,


Ethra, meine gute Dienerin,

sagt mir nun schon seit langem,

dass das Volk 

unser Treiben und Tun beobachte.

Lasst deshalb, edler junger Mann,

all eure stolzen Bitten sein –

und wenn ihr sie nicht sein lassen könnt,

dann müsst ihr dennoch so tun als ob.

Wenn die Liebe euch regieren will

und euch dauerhaft nachstellt,

Donnerstag, 21. November 2024

21960-21969

daz wæne ich al die liute

die sæhen uns mit ougen

und denken, daz wir tougen

zer minne tragen stæte pfliht.

ouch lît mîn wân unrehte niht,

wan ez ist âne zwîvel wâr,

daz man stille und offenbâr

von uns murmelt unde redet:

dâ von diu starke vorhte ledet

swær unde sorge ûf mînen lîp.


dass würden, scheint mir, alle Leute, 

die uns mit eigenen Augen sehen könnten,

zum Anlass nehmen, zu denken, dass wir heimlich

etwas miteinander haben. 

Und meine Befürchtung ist nicht unbegründet,

weil es zweifellos so ist,

dass man mehr oder weniger heimlich

über uns munkelt und spricht.

Deshalb belastet mich große Furcht mit

Sorgen und Kummer.

Mittwoch, 20. November 2024

21950-21959

ich hân der âkust niht getriben,

der man sich vlîzet ûf ir spil.

beziugen ich mit gote wil,

daz ich ze valsche wênic touc,

wan ich getriuwen man betrouc

nie mit dekeime liste noch,

swie man uns frouwen zîhe doch,

wir triegen unde lôsen.

daz wir hie bêdiu kôsen

mit ein ander hiute,


Den sündhaften Begierden bin ich nicht gefolgt,

mit denen man ihr Spiel spielt.

Bei Gott will ich bezeugen,

dass ich zur Untreue wenig tauge,

weil ich einen treuen Mann

noch nie mit irgendwelchen Intrigen betrogen habe,

auch wenn man uns Damen immer wieder beschuldigt,

dass wir betrügen und heucheln.

Dass wir hier beide heute

miteinander sprechen,

Montag, 18. November 2024

21940-21949

seht, alsô möhte ouch mir geschehen,

leit ich an iuch mîn herze,

mir wüehse niht wan smerze

und schedelîche zuoversiht,

wan ir ensult ze rehte niht

mir fröude bringen unde bern.

dâ von wil ich niht iuwer gern

mit lîbe noch mit sinne.

ouch bin ich zuo der minne

vil gar unkündic noch beliben.


Schaut, so würde es mir ergehen,

wenn ich mein Herz euch zuneigen würde –

mir würde daraus nur Schmerz erwachsen

und die Aussicht auf Schaden,

denn ihr könnt mir, weil es euch nicht zukommt, 

keine Freude bringen und wachsen lassen.

Deshalb will ich euch in keiner Weise 

begehren. 

Auch bin ich in Sachen Liebe

noch immer ganz unwissend.

Freitag, 15. November 2024

21930-21939

daz ich niht mac ze rehte hân,

des sol sich mîn gemüete wern.

mit eime pfluoge wolte ich ern

ûf einem herten griene,

swenn ich ze herzen spiene

daz dinc, daz mir niht werden sol.

ir wizzent, herre, selber wol,

daz man verliuret alzehant,

waz man gesæjet ûf den sant,

wan dâ niht frühte wirt gesehen.


Wenn ich etwas rechtmäßig nicht haben kann,

dann muss ich mich dagegen willentlich wehren.

Mit einem Pflug würde ich

harten Kiessand pflügen,

wenn ich etwas in mein Herz schließen würden,

dass ich nicht bekommen kann. 

Ihr wisst selbst genau, Herr,

dass man das sogleich verliert,

was man auf Sand gesät hat,

weil das keine Frucht bringt.

Donnerstag, 14. November 2024

21920-21929

sô muoz ich sîn gar stehelîn

und herter, denne ein îsen,

wil iuch mîn helfe wîsen

niht von senelicher clage.

swie vaste ich aber iu versage,

doch ist mîn herze stahel niht.

ich hân eht sus die zuoversiht

und den vesteclichen muot,

daz ich der süezen minne guot

wil mit strîte widerstân.


dann müsste ich ganz aus Stahl sein

und härter als Eisen,

wenn ich nicht hilfsbereit versuchen würde, euch

von der sehnsüchtigen Klage abzubringen.  

Auch wenn ihc euch entschieden abweise, 

so ist mein Herz doch nicht aus Stahl. 

Ich habe denn auch die Hoffnung

und den festen Willen,

der süßen, guten Liebe

kämpferisch entgegenzutreten. 

Mittwoch, 13. November 2024

21910-21919

ir sprechent, sælic jungelinc,

ir hânt versmâhet dur mîn leben

die kunst, die Pallas mac gegeben,

und den hort, des Jûne pfliget,

dâ von sô rehte hôhe wiget

iuwer herze mîne jugent:

des bin ich worden iuwer tugent

und iuwer künicrîche wert.

hât iuwer edel muot gegert

vür alsô tiure sache mîn,


Ihr sagt, seliger Jüngling,

dass ihr um meinetwegen

die Weisheit verschmäht habt, die Pallas geben kann,

und den Reichtum, über den Juno verfügt,

weil euer Herz meine Jugend

so überaus hoch schätzt.

So also habe ich derart an Wert gewonnen,

dass dies eurer Vortrefflichkeit und eurem Königreich entspricht.  

Wenn euer edler Sinn mich 

statt so wertvoller Dinge begehrt,