Mittwoch, 28. Mai 2025

22940-22949

in beiden ein gewünschet leben

von ganzer fröude widerfuor.

ir herze tougenlîche swuor,

daz nie gelieben würde baz.

diu minne wac in unde maz

gelîche ir wunnebæren solt.

si wurden beide ein ander holt

und âne mâze günstic.

mîn zunge ist niht sô künstic,

daz si betiuten künne


Ihnen beiden wurde ein Leben beschert,

wie man es sich nur wünschen konnte – voll von Freude.

Insgeheim und nur für sich legte ihr Herz den Schwur ab,

dass nie etwas angenehmer sein könnte.

Die Liebe hatte sie ergriffen und verteilte

in gleicher Weise ihren freudebringenden Lohn.

Sie waren nun beide einander ergeben

und grenzenlos einander zugeneigt.

Meine Zunge ist nicht so gelehrt,

dass sie die mannigfaltigen Freuden

Dienstag, 27. Mai 2025

22930-22939

und er die frouwen minnesam

gewan dâ z’einem wîbe.

er wart schier an ir lîbe

und an ir minne sigehaft.

fröud unde lebende trûtschaft

diu vant er an ir unde kôs.

sîn wunne diu wart grundelôs

und daz liep ân endes zil,

daz im von ir minnespil

und von ir lîbe wart gegeben.


und er es schaffte, dass die liebenswerte Dame

zu seiner Frau wurde.

Schnell eroberte er sie

und ihre Liebe.

Freude und lebendige Zuneigung

konnte er bei ihr finden und an ihr erkennen.

Das Glück und die

Freude, die er durch ihr Liebesspiel 

und durch ihren Körper erhielt, 

waren schier unfassbar und grenzenlos. 

Montag, 26. Mai 2025

22920-22929

daz under sînen armen

diu guote nider sleif zehant.

von rehter liebe ir dô geswant

und wart von trûtschefte ir wê.

wes möhte Pârîs langer mê

dô bîten unde warten?

die clâren und die zarten

lieplîche er an sîn herze twanc,

dar nâch sô was vil harte unlanc,

daz si ze krefte wider kam


dass die Gute unter seinen Armen

sogleich hinabglitt. 

Durch wahrhafte Freude verlor sie die Besinnung

und durch die Umarmung wurde sie verletzt.

Worauf hätte Paris nun 

noch länger warten sollen?

Die Zarte, Strahlende,

drückte er freudig an sein Herz

und es dauerte nicht lange,

dass sie wieder zu Kräften kam

Donnerstag, 22. Mai 2025

22910-22919

daz süeze minneclîche wîp

vertruoc daz allez und versweic.

âmehtic si dâ nider seic

von herzeclichen sachen.

hin ûf daz deckelachen

und ûf daz bette si dâ viel.

diu schœne diu bran unde wiel

von minnen gar ze grunde.

sô vaste si begunde

erhitzen unde erwarmen,


Die süße, liebenswerte Frau

ließ sich das alles gefallen und schwieg.

Ohnmächtig sank sie darnieder

wegen all dem, was ihr auf dem Herzen lag.

Da fiel sie hinab auf das Bettlaken 

und das Bett.  

Die Schöne war von Liebe

ganz und gar entzündet. 

So sehr erhitzte 

und erwärmte sie sich, 

Mittwoch, 21. Mai 2025

22900-22909

und aber dô gegerwet

in einen bleichen schîn zehant.

nû daz der hôchgeborne vant

an ir der minne zeichen,

daz si begunde bleichen

und roten von der bete sîn,

dô wart diu glanze künigîn

von im gehelset und gekust.

er twanc si nâhe an sîne brust

und umbevienc ir schœnen lîp.


und nahm dann aber sogleich

eine bleiche Farbe an. 

Als nun der Edle

an ihr die Zeichen der Liebe erkannte,

dass sie nämlich durch sein Bitten

bleich wurde und errötete,

wurde die strahlende Königin 

von ihm umarmt und geküst.

Er zog sie nahe an seine Brust

und umfing ihren schönen Körper.

Dienstag, 20. Mai 2025

22890-22899

und si vertragen hæte wol,

daz ir der ûz erwelte degen

güetlîche wære bî gelegen.

Er sach wol an ir ougen

und an ir varwe tougen,

daz ir herze sente sich.

wan dô der herre wunneclich

die clâren umbe ir minne bat,

dô wart alsam ein rôsenblat

ir bilde rôt geverwet


und sie dazu bereit sei,

dass sich der edle Kämpfer

ohne Widerstand zu ihr lege. 

Er erkannte anhand ihrer Augen

und bei genauem Hinsehen auch an ihrer Hautfarbe,

dass ihr Herz sehnsüchtig war.

Denn als der schöne Herr

die Makellose um ihre Liebe gebeten hat,

da färbte sich ihr Antlitz 

rot wie ein Rosenblatt

Montag, 19. Mai 2025

22880-22889

si saz eht allez unde beit

des heiles und der stunde,

daz ir der minnewunde

friuntlîche bî gelæge

und mit ir liebe pflæge

lieplicher kurzewîle.

nû was mit sneller île

Pârîs ouch worden innen

daz si von sînen minnen

was enbrennet als ein kol


Sie saß nun da und wartete

auf den heilvollen Moment,

wenn der Liebeskranke

sich zuneigungsvoll zu ihr legen 

und sie lieben 

und mit ihr angenehm die Zeit verbringen würde.

Nun war Paris auch 

schleunigst klargeworden,

dass sie durch seine Liebe

wie ein Stück Kohle entzündet worden war

Freitag, 16. Mai 2025

22870-22879

si viel ân underscheide

in leides unde in liebes stric,

doch nam daz liep an ir den sic,

wan si des leides gar vergaz.

ir tet dis êre verre baz,

daz ir Pârîs dâ gerte z’ê,

denn ir daz laster tete wê,

daz si verlôs ir werden man

und swaz si geltes ie gewan

von küniclicher rîcheit.


Und auch wenn sie gleichermaßen

in die Fesseln der Freude und des Leids geraten war,

errang die Freude an ihr den Sieg,

weil Helena das Leid ganz vergaß. 

Das Ansehen, das sie dadurch erlangte, dass Paris sie

zur Ehefrau nehmen wollte, war ihr viel angenehmer,

als das Leid durch die Schande,

dass sie ihren angesehenen Mann verloren hatte

und damit königliche Macht

und königlichen Reichtum. 

Donnerstag, 15. Mai 2025

22860-22869

wê von dem herzeleide,

daz si verlôs êr unde man;

wol unde liebes vil dar an,

daz ir Pârîs ze friunde wart.

diu frouwe rîch von hôher art

fröud unde trûren sament leit.

si was betrüebet und gemeit

mit ein ander bî der zît.

in ir gemüete wart ein strît

von liebe und ouch von leide.


Leidvoll durch das tiefe Leid,

weil sie Ansehen und Ehemann verloren hatte;

freudvoll und angenenehm deshalb,

weil Paris ihr zum Freund geworden war.

Die vornehme, hochgeborene Dame

hatte Freude und Trauer zugleich zu ertragen.

Betrübt war sie zu dieser Zeit,

zugleich aber auch fröhlich.

Ihr Gemütszustand war geprägt durch einen Kampf

von Freude und von Leid.

Mittwoch, 14. Mai 2025

22850-22859

ir hânt mich brâht in iuwer lant

und ist gewalt an mir getân,

dâ von möht ich iu widerstân

kûm unde gar lancseime.

wær aber ich dâ heime,

sô wizzent, daz niht iuwer craft

möht an mir werden sigehaft.‹

Diu wort diu minneclîche sprach.

geloubent, daz ir dâ geschach

wol unde wê die beide:


Ihr habt mich in euer Land gebracht

und an mir wurde gezeigt, wozu Macht fähig ist,

sodass mein Widerstand 

nur schwach und mühsam sein kann. 

Wäre ich aber zuhause,

dann könntet ihr sicher sein, dass eure

Gewalt an mir nicht siegreich sein würde.‹

Diese Worte sagte die Liebenswerte

und ihr könnt glauben, dass für sie das, was ihr dort geschah,

freudvoll und leidvoll war:

Dienstag, 13. Mai 2025

22840-22849

und wellen, des ich niht enwil

mit lîbe noch mit sinne.

owê, daz ich der minne

muoz werden hie gehôrsam.

mir ist gelücke worden gram,

daz kiuse ich unde merke wol:

dâ von sô wil ich unde sol,

swie leide mir dar an geschiht,

erfüllen iuwer zuoversiht

und iuwer girde nû zehant.


und muss wollen, was ich nicht will,

wozu weder Geist noch Fleisch willig sind.

Oh weh, dass ich hier 

der Liebe gehorchen muss.

Das Schicksal hat sich gegen mich verschworen,

das merke ich genau.

Deshalb will ich nun – und muss –,

wie viel Leid mir auch dadurch zuteil werden wird,

eure Hoffnung erfüllen

und euer Begehren.