Freitag, 31. Mai 2024

19990-19999

was ir daz neckel unde ir kel.

Si truoc zwô linde hende blanc.

dâ stuonden kleine vinger lanc

schôn unde lusteclichen ane.

ir arme glizzen als ein swane

ûz lûterlichem vollen

und wâren ir gewollen

alsam ein kerze sinewel.

weich unde glat was ir daz vel

an vleische und an gebeine.


war ihr der Nacken und die Kehle. 

Sie hatte zwei weiße, zarte Hände.

Die schönen, lieblichen Finger daran 

waren lang und feingliederig.

Ihre Arme strahlten wie ein Schwan,

makellos und prächtig,

und waren gerundet

wie eine kreisrunde Kerze.

Weich und glatt war ihre Haut

an Leib und Gliedern.

Mittwoch, 29. Mai 2024

19980-19989

als ob dâ liljen bluoten

und liehte rôsen ûz erwelt.

si was gefrîet und geschelt

vor wandelbærem meine.

in rehter mâze cleine

lûhte ir kinne dort her dan

und stuont ein kerbelîn dar an,

daz gar liutsæleclîche schein.

glat als ein altez helfenbein

und wîzer denne ein krîdenmel


als wenn dort Lilien blühten

und helle, kostbare Rosen.

Sie war frei und getrennt 

von betrügerischer Bosheit.

Klein, in richtigem Maße,

leuchtete ihr Kinn von dort her

und daran war ein Grübchen,

das begehrenswert strahlte.

Glatt wie altes Elfenbein

und weißer als geschabte Kreide

Dienstag, 28. Mai 2024

19970-19979

smal unde cleine zene blanc

dar ûz vil schône lûhten,

die wîz geverwet dûhten

als ein niuwevallen snê.

si kunden herzelichez wê

wol mit ir schœne swachen.

sô si begunde lachen

güetlîche z’etelicher stunt,

sô glizzen dâ zen unde munt

an der vil hôchgemuoten,


schmale und zierliche weiße Zähne 

leuchteten überaus schön aus ihrem Mund;

sie schienen weiß gefärbt zu sein, 

wie neugefallener Schnee. 

Sie war in der Lage, großes Leid 

mit ihrer Schönheit zu lindern.  

Wenn sie wohlgelaunt immer wieder 

freundlich zu lachen begann, 

dann glänzten 

Zähne und Mund

Montag, 27. Mai 2024

19960-19969

diu keiserlîche frouwe

het einen munt lieht unde heiz,

der bran noch vaster unde gleiz

denn ein rubîn durliuhtic rôt.

er bar den ougen unde bôt

vil schœner aneblicke;

er was eng unde dicke

und lac versigelt drinne

daz fiur der süezen minne

unde ir fröuden honictranc.


die kaiserliche Frau

hatte einen strahlend-glühenden Mund,

der noch stärker brannte und strahlte

als ein rotleuchtender Rubin.

Er zeigte sich den Blicken und bot

einen wundervollen Anblick;

er war klein und voll

und darin lag

das Feuer der süßen Minne versiegelt

und der Honigtrank ihrer Freuden.

Freitag, 24. Mai 2024

19950-19959

bewæren mohte sînen flîz

mit volleclichem schîne.

diu lûter und diu fîne

truoc liehteberndiu wangen,

diu wâren umbevangen

mit rôte an iegelicher stat;

si lûhten als ein rôsenblat,

daz sîne bollen hât zertân

und êrst dar ûz beginnet gân

des morgens in dem touwe.


sich mit ganzer Farbe

durchsetzen konnte. 

Sie, die Reine, Klare,

sie hatte strahlende Wangen,

die überall 

gerötet waren;

sie strahlten wie eine Rose,

die ihre Knospen geöffnet hat

und im Tau des Morgens

zum ersten Mal erblüht. 

Donnerstag, 23. Mai 2024

19940-19949

an ir dekeines dinges brast,

daz einer nasen wol gezimet.

swaz wirde und êre frouwen nimet,

daz het Helêne cleine.

ein glanziu varwe reine

was ir gestrichen under

und was diu z’eime wunder

mit wîze und ouch mit rôte

vermischet sô genôte,

daz dâ weder rôt noch wîz


ihr mangelt es an nichts,

was zu einer Nase gehört.

Was auch immer Frauen etwas an Zierde und Ansehen nimmt,

davon hatte Helena nichts. 

Eine glänzende, reine Hautfarbe  

war ihr gegeben 

und die war – mit weiß und rot – 

zu einem Wunderwerk

so sehr vermischt,

dass dort weder rot noch weiß

Mittwoch, 22. Mai 2024

19930-19939

ein lützel stuonden si gebogen

der welte z’eime wunder

und schein sô lieht dar under

der ougen spiegel, hœre ich jehen,

daz man sich drinne mohte ersehen

alsam in eime werden glase.

daz wol geprîset werde ir nase,

dar zuo bin ich vil gar ze tump;

niht hoverehte noch ze krump

geschepfet was ir forme glast;


Zum Staunen aller Welt 

waren sie ein wenig gebogen

und darunter strahlte der Spiegel der Augen

so hell, wie man mir versichert hat,

dass man sich darin erblicken konnte

wie in einem guten Glas.

Um ihre Nase ausreichend zu loben,

dazu bin ich viel zu stümperhaft.

Weder zu bucklig noch zu krumm

war ihre glänzende Form;

Dienstag, 21. Mai 2024

19920-19929

dar ûz der ôsterlîche tac

mit lebender wunne spilte.

got was gezierde milte,

der si beide schuof nâch lobe.

zwô brâwen heten sich dar obe

gewelbet und gekrümbet wol,

die wâren swarz reht als ein kol

und glizzen alsô kleine,

als ob ein vaden reine

von sîden wære dar gezogen.


aus denen der Festtag

mit lebhafter Freude leuchtete. 

Gott, der die beiden bewunderungswürdig geschaffen hat,

war freigiebig mit Schmuck und Pracht. 

Zwei Brauen hatten sich darüber

schön gewölbt und gekrümmt,

die waren schwarz wie Kohle

und leuchteten so fein,

als ob man dorthin einen reinen 

Seidenfaden gehängt hätte.

Donnerstag, 16. Mai 2024

19910-19919

als ez gespunnen wære

ûz golde von Ârâbiâ.

sich heten umbe ir ôren dâ

geringelt zwêne löcke reit,

die glizzen âne kunterfeit

reht alse goldes dræte.

ir stirne wandels hæte

niht sô tiure als umbe ein ei.

si truoc der schœnsten ougen zwei,

der ie kein frouwe mê gepflac,


als ob es aus arabischem

Gold gesponnen worden wäre. 

Dort, um ihre Ohren,

hatten sich zwei Locken geringelt,

die so wie echtes Gold

schimmerten.

Ihre Stirn hatte auch nicht

den kleinsten Makel.

Sie hatte zwei wunderschöne Augen,

wie sie noch keine Frau gehabt hat, 

Mittwoch, 15. Mai 2024

19900-19909

Pârîs wart von ir minne

sîn selbes dô beroubet.

ir wunneclichez houbet

daz truoc si zühteclîche enbor

und lie daz von der strâze tor

niht wenken eines hâres breit.

si wolte in schamender bliucheit

dâ kêren in daz betehûs.

ir hâr was crispel unde krûs

und schein sô liehtebære,


Paris wurde durch die Liebe zu ihr

seiner selbst beraubt.

Ihren schönen Kopf

trug sie mit Anstand hoch erhoben

und ließ ihn, als sie von der Straße hereinkam, 

auch nicht um eine Haaresbreite schwanken. 

Schamhaft-schüchtern wollte sie

in den Tempel gehen.

Ihr Haar war gekräuselt und gelockt

und strahlte so glänzend,

Dienstag, 14. Mai 2024

19890-19899

si kêrte vür daz frône

tempel unde wolte drîn.

Pârîs und die gesellen sîn

die stuonden vor den kræmen,

dur daz si war genæmen

ir wunneclichen lîbes.

mit ougen wart nie wîbes

sô rehte vil gewartet;

ouch wart ir gnuoc gezartet

mit herzen und mit sinne.


Sie ging zum heiligen Tempel

und wollte hinein.

Paris und seine Begleiter

standen vor den Markständen,

um sie und ihre Schönheit

anschauen zu können.

Noch nie war eine Frau

mit Augen so viel betrachtet worden;

auch wurde sie mit Herz und Sinnen

sehr liebkost.