Mittwoch, 30. April 2025

22770-22779

sô tuont genâde uns allen.‹

Pârîs der rede antwürte bôt.

er sprach: ›der bitterlîche tôt

mîn jungez leben veige,

swenn iu mîn craft erzeige

dekeiner slahte swære.‹

sus nam der hovebære

Helênen bî der hende wîz.

er leite dar ûf sînen flîz,

daz er si bræhte dannen.


beweist uns allen, dass ihr uns gnädig seid.‹

Paris antwortete darauf. 

Er sagte: ›Der bittere Tod

möge mein junges Leben ergreifen,

wenn euch meine Macht irgendein

Leid zufügen würde.‹

Auf diese Weise nahm er, der höfisch war,

Helena bei den weißen Händen.

Er wollte sie

wegbringen.  

Dienstag, 29. April 2025

22760-22769

in sîne clâwen hât behaft

und an im sînen willen tuot.

ir mügent übel oder guot

an uns erzeigen, wellent ir.

swaz iuwer herze und iuwer gir

gebieten wil, daz muoz geschehen:

des lânt uns iuwer tugende sehen

und öugent an uns iuwer zuht.

sît unser heil ist mit genuht

in iuwer hant gevallen,


mit seinen Klauen gepackt hat,

um mit ihm zu tun, was er will. 

Ihr könnt, ganz wir ihr wollt,

uns gut oder schlecht behandeln.

Was auch immer euer Herz will und was auch immer

ihr begehrt, das wird passieren.

Lasst uns nun also eure Tugendhaftigkeit sehen

und beweist an uns euren Anstand.

Da unser Heil nun eindeutig

in euren Händen liegt, 

Montag, 28. April 2025

22750-22759

nû lâze sich erbarmen

und uns genædeclichen tuo.

seht, herre, dâ gedenkent zuo,

sît unser heil ist iu gegeben.

al unser êre und unser leben

hât beslozzen iuwer pfliht.

gewaltic sîn wir unser niht,

noch mügen selbe niht getuon.

wir sîn daz blœde rephuon,

daz ein sperwer mit sîner craft


über uns arme Frauen 

und sich uns gnädig erweist.

Herr, denkt daran,

da unser Heil in euren Händen liegt.

Unser ganzes Ansehen und unser Leben

ist eurer Fürsorge unterworfen.

Wir selbst haben über uns keine Gewalt

und können selbst nicht handeln. 

Wir sind das dumme Rebhuhn,

das ein Sperber mit seiner Kraft

Freitag, 25. April 2025

22740-22749

wan swaz si wellent, daz geschiht

und muoz erfüllet werden.

swer sîne gnâde ûf erden

dar über an uns wendet,

der tuot wol unde sendet

ze gote sîn almuosen.

die gêren und die buosen

sint uns verlüste worden vol,

dâ von bedürfen wir des wol,

daz eteswer uns armen


denn alles, was sie wollen, das geschieht

und wird in Erfüllung gehen.

Jeder, der hier auf Erden nun 

uns noch gnädig ist,

der handelt gut und schickt

Almosen zu Gott.

Die Schöße und Busen

sind voll geworden durch all den Verlust, den wir erlitten haben –

und so haben wir es nun wahrlich nötig,

dass sich irgendwer nun erbarmt 


[gêr, gêre: »der […] verzierte, besetzte teil des kleides, schoss, saum« (Lexer)]

Donnerstag, 24. April 2025

22730-22739

Helêne diu sprach über lanc

erbermeclichen aber dô:

›jô stêt ez umbe uns leider sô,

daz wir genâde dürftic sîn.

der göte wille ist worden schîn

an uns mit frevelicher kraft.

als ez gebôt ir meisterschaft,

als ist ez umbe uns nû gevarn.

wir selbe möhten uns bewarn

vor disem ungelücke niht,


Helena aber sagte nach einiger Zeit –

und es war herzzerreißend, wie sie es sagte:

›So weit also sind wir leider gekommen,

dass wir auf Gnade hoffen müssen.

Der Wille der Götter hat sich gezeigt,

an uns gezeigt, mit erbarmungsloser Macht.

So wie es ihr überlegener Wille befahl,

so ist es uns nun geschehen.

Wir selbst können uns 

vor diesem Unglück nicht schützen,

Mittwoch, 23. April 2025

22720-22729

ze Troie in mînem rîche.‹

Nû daz die frouwen disen trôst

vernâmen, dô wart in erlôst

von sorgen ir gemüete.

si twanc ir wîplich güete,

daz si dâ vielen alle

mit einem snellen valle

Pârîse für die füeze.

der guoten rede süeze

seitens’ im gnâd unde danc.


in Troja bleiben, im meinem Reich.‹

Als nun die Damen diese tröstende Nachricht

hörten, da wurden ihnen 

ihre Sorgen genommen.

Ihre Weiblichkeit zwang sie allesamt dazu,

augenblicklich

Paris 

zu Füßen zu fallen.

Für die guten, süßen Worte und für sein Wohlwollen

dankten sie ihm. 

Dienstag, 22. April 2025

22710-22719

ist aber, daz si wellent man

zer stæte nemen und zer ê,

die gît man in, waz sol des mê,

nâch volleclicher werdekeit.

êr unde guot daz wirt bereit

in allen umbe ir minne.

si werden herzoginne

und landes frouwen ûz erkorn,

ob si belîbent âne zorn

gemeine und algelîche


Sollte es aber so sein, dass sie sich

mit Männern zur Ehe verbinden möchten,

dann – und das versteht sich ja von selbst – bekommen sie Ehemänner

so wie es ihrer Würde angemessen ist.

Ansehen und Besitz 

erhalten sie alle als Lohn für ihre Liebe.

Man wird sie zu Herzoginnnen machen

und zu edlen Landesherrinnen,

wenn sie alle zusammen

ohne Hass und Zorn

Donnerstag, 17. April 2025

22700-22709

ouch trœstent iuwer frouwen

und iuwer megede beide!

ze schaden noch ze leide

wirt in ze Troie niht getân.

ist, daz ir muot beginnet stân

ze Kriechen wider in ir lant,

si werden von mir hein gesant

mit fröuden und mit êren.

mîn vater lât si kêren

gern unde willeclîche dan.


Tröstet auch eure Damen

und ebenso eure Dienerinnen!

Es wird ihnen in Troja

kein Schaden und kein Leid geschehen. 

Wenn es so sein sollte, dass sie irgendwann

nach Griechenland wollen, in ihr Land,

dann werden sie von mir 

freudvoll und ehrenvoll nach Hause geschickt.

Mein Vater wird sie 

gerne ziehen lassen. 

Mittwoch, 16. April 2025

22690-22699

ir werdet dâ, vil sælic wîp,

mit liebe ergetzet harte

der wunne, diu ze Sparte

iu wart erboten aldâ her.

ich wil erfüllen iuwer ger

mit lîbe und mit dem guote,

des lânt iu wol ze muote

dur iuwer tugende werden!

kein jâmer sol ûf erden

iuch sêren noch verhouwen.


Ihr werdet dort, glückselige Frau,

mit Freuden völlig für das

Vergnügen entschädigt, das 

euch in Sparta stets geboten wurde.

Ich werde euren Willen erfüllen,

persönlich und durch meinen Besitz;

denkt also an eure Würde und

beruhigt euch!

Kein Leid auf Erden 

darf euch schmerzen oder verletzen.  

Dienstag, 15. April 2025

22680-22689

ich swer iu des vil mangen eit,
daz iu vil êren wirt bekant.
ir kument in ein bezzer lant,
dann iuwer künicrîche sî:
dâ tuot man iuch beswærde vrî
mit fröuden und mit wirde.
swar nâch sich iuwer girde
und iuwer edel herze sent,
des wirt nâch wunsche dâ gewent
mit êren iuwer süezer lîp.

Ich schwöre euch jeden Eid,
dass ihr großes Ansehen haben werdet. 
Ihr kommt in ein Land, 
das besser ist als euer Königreich.
Dort wird man mit Freuden und würdevoll
alles Leid von euch nehmen.
Alles, was ihr begehrt
und was euer edles Herz ersehnt,
damit werdet ihr, süße Frau,
umsorgt, ganz so wie ihr es wünscht.

Montag, 14. April 2025

22670-22679

lânt iuwer hôhez trûren sîn

und iuwer inneclichez clagen!

wer möhte erlîden und vertragen

daz jâmer, daz ir üebent?

mit sorgen ir betrüebent

mich unde mîne ritter.

diu clage ist gar ze bitter,

die man iuch, frouwe, trîben siht.

gehabent iuch sô übel niht

dur iuwer hôhen sælikeit!


lasst euer ehrbares Trauern sein

und euer hingebungsvolles Klagen!

Wer könnte den Jammer, den ihr treibt,

aushalten und ertragen?

Mit Sorgen und Traurigkeit

belastet ihr mich und meine Ritter.

Viel zu streng ist die Klage,

die man euch, edle Dame, vollführen sieht.

Gedenkt eures Adels und eurer Vollkommenheit

und gebärdet euch nicht so miserabel!