Freitag, 29. Oktober 2021

15500-15509

si truoc im unde erscheinte

der triuwen und der minne vil,

diu z’einer frouwen ir gespil

sol in geselleschefte hân.

seht, alsô was dô niht getân

diu minne, der Achilles pflac.

swaz liebe in sînem muote lac,

diu schein geliutert als ein golt.

er was ir in der mâze holt

mit herzen und mit lîbe,


sie hatte und zeigte ihm gegenüber

Treue und viel von der Liebe,

die eine Freundin zu einer Dame zu haben hat,

wenn sie miteinander zu tun haben.

Mit der Liebe Achills

verhielt es sich allerdings anders.

All die Zuneigung, die er empfand,

die glänzte klar und edel wie Gold.

Er war ihr mit Herz, Haut und Haaren

so ergeben,

Donnerstag, 28. Oktober 2021

15490-15499

daz selbe tet der guote

mit liuterlichen triuwen ir.

sus truogen holdes herzen gir

z’ein ander disiu beide.

doch was ein underscheide

ir zweiger minne dô gegeben.

ir liebe diu wart underweben

mit ungelîchem willen.

Dêîdamîe Achillen

einvalteclîche meinte,


das gleiche tat der Gute

ihr gegenüber, mit reiner Treue. 

So fühlten also diese beiden Zuneigung, 

mit einander zugewandten Herzen.

Dennoch gab es in der Liebe der beiden

einen Unterschied.

Ihre Zuneigung war von

einem ungleichen Willen durchwoben.

Deidamie mochte Achill

auf arglose Weise,

Mittwoch, 27. Oktober 2021

15480-15489

daz was der küniginne

vil gar ein wildez mære.

si wânde, daz er wære

ein einvaltigiu tohter.

von dirre sache mohter

deste baz ir wonen bî,

wan si wart sîn ungerne vrî

den âbent und den morgen vruo.

si trat im unde sleich im zuo

mit willeclichem muote;


davon wusste die Königin

überhaupt nichts.  

Sie dachte, er sei einfach

eine zutrauliche Tochter.

Dadurch konnte er

umso einfacher bei ihr sein,

denn sie verzichtete

von morgens bis abends nur ungern auf ihn.

Sie trat zu ihm und ging zu ihm

ganz bereitwillig; 

Dienstag, 26. Oktober 2021

15470-15479

daz er si kunde tougen

erværen unde liute bar.

ouch nam diu minneclîche war

mit triuwen sînes lîbes.

sît daz er eines wîbes

und einer frouwen bilde truoc,

sô was ir daz gemæze gnuoc,

daz si geselleschaft im büte.

daz sîn gemüete in leide süte

nâch ir und nâch ir minne,


um sie heimlich

und ohne andere Leute anzutreffen.

Zudem zeigte sich die Liebenswerte

auch ihm zugewandt. 

Da er das Aussehen einer Frau 

und einer Dame hatte,

war es für sie völlig in Ordnung,

ihm Gesellschaft zu leisten.

Dass sein Denken und Wollen 

wegen ihr und ihrer Liebe leidvoll brannte, 

Montag, 25. Oktober 2021

15460-15469

und hete nâch im krieges vil,

dar ûf enahte er niht ein hâr.

er leite dar ûf sînen vâr

und alles sînes herzen ger,

daz Dêîdamîe und er

besunder sament wæren

und er die wunnebæren

vünd alters eine dicke.

er leite ir sîne stricke

mit herzen und mit ougen,


und alle waren bereit, sich heftig um ihn zu bemühen,

was ihm aber völlig egal war.

Sein Bemühen

und sein Begehren waren darauf gerichtet,

dafür zu sorgen, dass Deidamia und er

zu zweit zusammen seien

und er die Liebenswerte

möglichst oft ganz allein antreffe.

Er warf für sie sein Netz aus

mit seinem Herzen und seinen Augen,

Freitag, 22. Oktober 2021

15450-15459

gern unde willeclichen bî.

An ir lac sînes lîbes trôst.

in twanc dar ûf der minne rôst,

daz er ûz der frouwen schar

nam dekeiner megde war,

wan eht ir aleine.

mit herzeclicher meine

wart ir sîn lîp gevære.

ir iegelîchiu wære

vil gerne worden sîn gespil


bei der Schönen, Makellosen.

Sie war all sein Trost.

Das Feuer der Liebe zwang ihn dazu,

dass er angesichts der Schar der Damen

keines der anderen Mädchen wahrnahm,

nur sie allein.

Mit von Herzen kommender Liebe

stellte er ihr nach.

Jede von ihnen 

wäre gerne seine Freundin und Spielgefährtin geworden


Donnerstag, 21. Oktober 2021

15440-15449

und fuor mit ir gesinde

ze lande bî den stunden.

mit senedes herzen wunden

was Achilles dort beliben.

Dêîdamîe wart geschriben

mit ganzer stæte in sînen muot.

er meinte si vür allez guot

und was ir holt von grunde.

er wonte z’aller stunde

der schœnen missewende vrî


und kam mit ihren Leuten

wieder an Land.

Mit einem sehnsüchtigen, verwundeten Herz

war Achill dort geblieben. 

Deiadmia wurde unvergänglich

seinem Denken und Wollen eingeschrieben.

Er liebte sie mehr als alles andere

und war ihr voll und ganz zugetan.

Er war zu jeder Zeit

gerne und aus freiem Willen

Mittwoch, 20. Oktober 2021

15430-15439

gelückes vil ân underbint

zuo sîgen und zuo fliezen

von ir gewalte liezen

und iren sun dar inne

vor allem ungewinne

geruochten vristen unde sparn

und vor den kielen dâ bewarn,

die dar von Kriechen füeren.

heim schiffen unde rüeren

begunde si geswinde


durch ihre Macht

ohne Unterlass großes Glück

zukommen und zufließen ließen

und ihren Sohn dort

vor allem Unglück

schützen, von allem Unglück verschonen

und ihn dort vor den Schiffen bewahren mögen,

die möglicherweise aus Griechenland dorthin gefahren kämen. 

Schnell machte sie sich per Schiff nach 

Hause auf

Dienstag, 19. Oktober 2021

15420-15429

slôz si ze herzen unde las

vür al die welt besunder.

rîlicher sælde ein wunder

und êren manger hande

wart von ir dem lande

gewünschet bî der stunde.

mit herzen und mit munde

die göte si vil tiure bat,

daz si der ûz erwelten stat,

der si bevolhen het ir kint,


hütete sie in ihrem Herzen und prägte es sich ein

als das Wichtigste auf der Welt.

Großes Heil in Hülle und Fülle

und Ansehen in jeder Hinsicht

wünschte sie in diesem Moment

diesem Land.

Mit Herz und Mund

bat sie die Götter inständig, 

dass sie dem auserwählten Ort,

wohin sie ihr Kind gebracht hatte, 

Montag, 18. Oktober 2021

15410-15419

gnâd unde danc die bêde

seit im daz hôchgeborne wîp.

ir wunneclichen sunes lîp,

der Jocundille was genant,

bevalch si tiure sîner hant

und sîner küniclichen wer.

si kêrte balde zuo dem mer

und îlte dannen schiere.

den kreiz und die rifiere,

dar inne ir sun beliben was,


Sie, die Frau von hoher Geburt,

dankte ihm überaus herzlich.

Ihren liebenswerten Sohn,

den man Jocundille nannte,

übergab sie förmlich seiner Hand

und seinem königlichen Schutz.

Sie kehrte dann zurück zum Meer

und brach eilig auf.

Die Landschaft und das Ufer,

wo ihr Sohn nun bleiben sollte, 

Freitag, 1. Oktober 2021

15400-15409

si was im ein luzerne

des herzen und der ougen.

daz hal er doch sô tougen,

daz nieman dâ wart innen,

daz er si wolte minnen.

Nû daz er sus gesellet wart

der megde junc von hôher art

und der vil clâren künigîn,

dô nam Têtis diu muoter sîn

urloup ze Lycomêde.


Sie war eine Laterne, die in 

sein Herz und seine Augen leuchtete.

Das aber verbarg er so sorgsam,

dass niemand dort merkte,

dass er in sie verliebt war.

Als er nun derart dem jungen, hochgebornen

Mädchen – und makellosen Königin –

eng verbunden war,

da verabschiedete sich Thetis, seine Mutter

bei Lyomedes.