Mittwoch, 28. März 2018

8861-8870

tet si vil mangen umbekreiz.
wîlent kalt und wîlent heiz
wart ir von süezer minne gir.
vil nâhe gie ze herzen ir,
daz Jâson sô lange was
enmitten in ir palas.
diu wunneclîche dô gestuont,
si tet alsam die vrouwen tuont,
die von liebe ertœret sint.
si was ertumbet als ein kint,

sie drehte so manche Runde. 
Mal war ihr kalt, mal war ihr heiß,
alles wegen dem süßen Begehren der Liebe.
Es traf sie ins Herz,
dass Jason so lange
mitten in ihrem Palast war.
Die Herrliche stand dann still;
sie verhielt sich wie die edlen Frauen,
die vor Freude erstarren.
Sie war, so wie es Kindern ergeht, ganz betäubt

Dienstag, 27. März 2018

8851-8860

daz si begunde sprechen,
wie gar si müeste brechen
ir vater sîne lêre
und krenken im sîn êre,
si wolte mit Jâsône doch
kêren heim ze lande noch
und an sîne gnâde ergeben
ir minne und ir getriuwez leben.
Sus gie si kôsende allez dô.
nû dar, nû dan, nû sus, nû sô

dass sie sich sagte,
dass sie dem Willen ihres Vaters
zuwiderhandeln
und seinem Ansehen schaden müsse,
denn sie wollte mit Jason
nun doch in dessen Heimat ziehen
und ihre Liebe und ihre Treue
seiner Gnade anheimstellen. 
Auf diese Weise ging sie, alles durchdenkend, dort umher.
Erst hin, dann her, erst so, dann anders;

Montag, 26. März 2018

8841-8850

den ritter edel von geburt.
er wart gesehen und gespurt
von ir durch ein vensterlîn.
vil manger liehter kerzen schîn
geschuof, daz in diu werde kôs,
dâ von si den gedanc verlôs,
der von im hete si gewent.
si wart eht aber dô versent
sô sêre und alsô vaste
nâch dem erwelten gaste,

Ritter in ihr Herz schloss. 
Durch ein Fensterchen hatte sie 
ihn erblickt und konnte sie ihn sehen.
Das helle Licht vieler Kerzen
sorgte dafür, dass ihn die Edle erkannte
und dadurch gingen ihr die Gedanken verloren,
mit denen er ihr zuvor fremd geworden war. 
Jetzt nun sehnte sie sich wieder
so heftig und innig
nach dem vortrefflichen Gast,

Freitag, 23. März 2018

8831-8840

und mit im selbe sterben,
ê si den helt erwerben
lieze ir minneclichen trôst.
si jach, daz er niht würde erlôst
durch ir helferîchen list.
doch werte an ir unlange vrist
der selbe sin und der gedanc,
wan si dar ûf diu minne twanc,
daz si des willen widerkam
und aber in ir herzen nam

und selbst mit ihm sterben,
statt dass sie den Helden
in den Genuss ihres liebevollen Schutzes kommen ließe.  
Sie sagte sich, dass er durch ihre
hilfreiche Kunst nicht gerettet würde.
Doch hielten diese Einstellung
und dieser Gedanke bei ihr nicht lange an,
weil nämlich die Liebe sie dazu brachte,
dass ihr anderes Begehren wieder zu Kräften kam
und dass sie erneut den edel geborenen 

Donnerstag, 22. März 2018

8821-8830

ir herze und ir gemüete.
bliuclicher schame güete
die sigenuft an ir gewan.
si treip von ir die minne dan
und allen willen zwîvelich.
wan si gedâhte wider sich,
daz si weder sus noch sô
den ritter wolte lœsen dô
von kumberlichen nœten.
si wolte in lâzen tœten

begannen, sich zu erheben.
Die Vollkommenheit schamhafter Sittsamkeit
trug über sie den Sieg davon. 
Sie vertrieb von sich die Liebe
und alles zweifelnde Begehren. 
Denn sie sagte sich,
dass sie keinesfalls
den Ritter 
aus beschwerlicher Not erretten wolle.
Sie wollte ihn in den Tod gehen lassen

Mittwoch, 21. März 2018

8811-8820

wart ir leides vil getân.
si mohte weder tuon noch lân,
verliesen noch gewinnen,
gehazzen noch geminnen,
belîben noch gewenken,
doch wart si mit gedenken
ze jungest des ze râte,
daz si Jâsône drâte
wolt ir genâde enpflœhen,
wan sich begunde hœhen

musste sie bitter leiden. 
Sie konnte weder handeln noch es bleiben lassen,
weder etwas aufgeben noch etwas dazugewinnen,
konnte weder hassen noch lieben,
weder hier bleiben noch sich davonmachen,
doch kam sie durch ihr Nachdenken
schließlich zum Schluss,
dass sie Jason schnellstens
ihre Gnade entziehen wollte,
denn ihr Herz und all ihre Sinne  

Dienstag, 20. März 2018

8801-8810

si wolte dar, si wolte dan.
nû wolte si den werden man
mit ir helfe lân genesen
und aber danne in lâzen wesen
ân ir genâde stiure.
diu clâre und diu gehiure
vaht mit sorgen unde ranc.
vil manicvalt was ir gedanc,
waz ir daz beste wære.
von zwîvellicher swære

sie wollte dahin, sie wollte dorthin.
Jetzt gerade wollte sie dem herrlichen Mann
mir ihrer Hilfe das Leben erhalten
und ihn danach aber 
den Bedingungen ihrer Gnade unterwerfen.
Die Schöne und Liebenswerte
hatte mit ihren Sorgen zu kämpfen.
Sie machte sich viele Gedanken darum,
was für sie das Beste sei.
Durch diesen Kummer, der aus Zweifeln erwuchs,

Montag, 19. März 2018

8791-8800

und sînes willen vâren
in allen mînen jâren.‹
Die rede treip diu guote.
mit zweiger hande muote
begriffen was ir herze.
si twanc der minne smerze
und schemelîchiu blûcheit.
mit disen beiden si dô streit
und hete zwîvellichen sin.
si wolte her, si wolte hin,

und auf ihn hören,
mein ganzes Leben lang.‹
Diese Worte sagte die Herzensgute.
Zwei unterschiedliche Meinungen
hielten ihr Herz im Griff.
Die Schmerzen der Liebe bedrängten sie
und verschämte Schüchternheit.
Mit diesen beiden hatte sie dort zu kämpfen
und so war sie verzagt und unsicher.
Sie wollte hin, sie wollte her, 

Freitag, 16. März 2018

8781-8790

ob ich in welle vristen
mit helferîchen listen
vor des grimmen tôdes zil.
nein ich, entriuwen, ich enwil,
ich sol mich baz bedenken ê;
wan ob ich mit im über sê
von mînen vriunden kêre,
sô muoz ich triuwe und êre
zebrechen in dem sinne mîn.
ich wil bî mînem vater sîn

ob ich ihn 
mit hilfreichen Künsten
vor dem grimmen Tod bewahren möchte.
Fürwahr, nein, das möchte ich nicht.
Ich muss darüber zuerst genauer nachdenken,
denn wenn ich mit ihm über das Meer
ziehe und mich von Verwandten und Freunden abwende,
dann muss ich Treue und Ansehen
aus all meinem Denken und Wollen herausreißen.   
Ich möchte bei meinem Vater sein

Donnerstag, 15. März 2018

8771-8780

mit mîner helfe tuon erlôst,
sît daz er âne mînen trôst
niht mac des tôdes sich erwern.
wil ich in danne alsus genern,
jâ, zwâre ich sol bewachen
sîn leben vor dem trachen
und vor den pfarren engestlich.
Jâson, der helt, erbarmet mich,
sît er nie wandels niht gewan,
doch hân ich zwîvel noch dar an,

mit meiner Hilfe Erlösung bringen,
da er ohne meine Unterstützung
sich vor dem Tod nicht wird bewahren können. 
Wenn ich ihm also sein Leben erhalten will,
ja, wahrlich, dann muss ich 
ihn vor dem Drachen schützen
und vor den schrecklichen Ochsen.
Jason, der Held, der erweckt mein Mitleid,
schließlich hat er doch nie etwas Unrechtes getan.
Doch ich bin mir noch immer nicht sicher, 

Mittwoch, 14. März 2018

8761-8770

ûf dem mer tief unde wît,
dâ wildez wunder inne lît
den kielen z’einer lâge?
dâ wil ich ûf dem wâge
mich zuo Jâsône smücken,
swenn ich beginne drücken
mich in sîne linde schôz,
sô wird ich aller vorhte blôz
und aller sorgen eine.
ich sol den künic reine

über das weite, tiefe Meer,
wo sich wilde Wesen verbergen
und den Schiffen auflauern? 
Ich will mich dort auf dem tosenden Meer
eng an Jason schmiegen.
Wenn ich mich erst 
in seinen sanften Schoß dränge,  
dann verlässt mich jede Furcht
und mir verschwinden alle Sorgen.
Ich muss den herrlichen König

Dienstag, 13. März 2018

8751-8760

mich triutet iemer mêre.
ich wil ûf al sîn êre
mit im von hinnen scheiden.
bî triuwen und mit eiden
muoz er mir geloben ê,
daz er mir abe niht engê
die wîle, daz ich leben sol.
mir wirt in sînem lande wol,
swenn ich mit im dar în gevar.
wie sol ich aber komen dar

für immer liebt.
Ich will im Vertrauen auf all all sein Ehrgefühl 
mit ihm von hier weggehen.
Bei seiner Treue und mit Eiden
muss er mir zuvor schwören,
dass er mich nicht verlässt,
solange ich lebe.
Es wird mir in seinem Land gut ergehen,
sobald ich mit ihm dort angekommen bin.
Wie kann ich aber dorthin kommen,

Montag, 12. März 2018

8741-8750

und mir von sage ist worden schîn:
dâ von ich kêren sol dar în
mit dem erwelten gaste,
wan daz ich vürhte vaste,
daz er dâ kebse mînen lîp
und er dâ neme ein ander wîp,
sô flüzze mir grôz jâmer zuo.
doch wæne ich niht, daz er daz tuo;
sîn lîp der ist sô tugenthaft,
daz er mit ganzer stæte kraft

und das habe ich aus Erzählungen gelernt.
So könnte ich denn getrost 
mit dem außergewöhnlichen Gast dorthin,
müsste ich nicht sehr fürchten,
dass er mich dort sitzen lässt
und sich dort eine andere Frau sucht;
großes Leid würde sich dann über mich ergießen. 
Ich glaube aber nicht, dass er das tun würde.
Er ist so ehrenhaft und anständig,
dass er mich mit fester Treue

Freitag, 9. März 2018

8731-8740

und kêre in vremdiu rîche.
swenn ich dar în gestrîche,
sô wirde ich jâmers überladen.
waz mac mir aber daz geschaden,
daz ich ze vremdem lande kume?
ez wirt mir alsô lîhte vrume,
als ez mir schade werde.
ez wart ûf al der erde
sô kürlich rîche nie gesehen,
sô Kriechen, als ich hœre jehen

und gehe in fremde Länder.
Wenn ich dorthin ziehe,
dann werden Leid und Jammer mich erdrücken.
Was aber ist es, das mir schadet,
wenn ich in fremde Länder gehe?
Es kann mir ebenso leicht zugute kommen
wie es mir schaden kann.
Nirgendwo auf der Welt hat man je
ein so ausgezeichnetes Land gesehen 
wie Griechenland, so sagt man mir

Donnerstag, 8. März 2018

8721-8730

Ich volge ir zweiger râte nâch
und ist mir doch dar under gâch
von ir beider lêre.
diu scham, diu wil mîn êre,
diu minne mîne unwerdikeit.
owê minn unde bliucheit,
wie tuont ir mir sô leide!
ist, daz ich hinnen scheide
mit Jâsône sâ zehant,
sô lâze ich mînes vater lant

Ich folge dem Rat dieser beiden
und dennoch dringen beide
mit ihrer Belehrung ungestüm auf mich ein.
Die Schande, die will mein Ansehen,
die Liebe meine Verachtung.
Oh weh! Liebe und Schüchternheit,
welch Leid fügt ihr mir zu?
Wenn ich von hier fortgehe,
jetzt gleich, mit Jason,
dann verlasse ich das Land meines Vaters

Mittwoch, 7. März 2018

8711-8720

der mich in triuten heizet.
mîn magetuom mich reizet
ûf kiusches herzen sinne,
sô twinget mich diu minne
ûf inneclîche friuntschaft:
sus bin ich worden kumberhaft
von zweiger hande leide.
minn unde scham, die beide
twingent mich spât unde vruo:
dâ von enweiz ich, waz ich tuo.

der mir befiehlt, ihn in die Arme zu schließen.
Meine Jungfräulichkeit drängt mich dazu,
eine keusches Herz zur Maxime meines Handelns zu machen;
zugleich zwingt mich die Liebe 
zu einer innigen Beziehung.
So bin ich denn betrübt und werde
von zweierlei Leid bedrängt.
Liebe und Schande, die beiden
bedrängen mich bei Tag und Nacht,
so dass ich nicht weiß, was ich tun soll.

[Eine vielleicht etwas sehr an Kant orientierte Übersetzung…]

Dienstag, 6. März 2018

8701-8710

ob ich sô gæhes tæte,
des mich ein ritter bæte,
der komen ist alrêrst dâ her.
ob ich in hie zehant gewer,
daz tuot mich hôhes lobes vrî.
nû wol, wie schemelich ez sî,
mîn wille muoz an im ergân.
ich mac niht langer widerstân
bliuclicher schame und ir gebote.
ich volge an im der minne gote,

wenn ich so überstürzt das täte,
worum mich ein Ritter bittet,
der gerade erst hier angekommen ist. 
Wenn ich ihm hier sofort das zugestehe, was er fordert,
dann schadet das meinem hohen Ansehen. 
Nun gut, wieviel Schande es auch bringen mag,
was ihn betrifft, muss mein Wille geschehen.
Ich kann nicht länger gegen das schüchterne Ehrgefühl
und seinen Forderungen ankämpfen.
Ich folge, was ihn betrifft, dem Gott der Liebe,

Montag, 5. März 2018

8691-8700

gæb in des tôdes smerzen.
ich wære an mînem herzen
gelîch den herten vlinsen,
liez ich den helt verzinsen
diz lant mit sîner clâren jugent.
ich wil mich lâzen sîne tugent
erbarmen und daz leben sîn.
tuon aber ich im helfe schîn,
daz krenket mînen kiuschen namen.
ich möhte mich des iemer schamen,

in den schmerzhaften Tod schickte. 
Wie ein harter Kieselstein
wäre mein Herz,
wenn ich den Helden für seine Reise in dieses Land
mit seiner strahlenden Jugend bezahlen ließe.
Ich will Anteil nehmen an seiner Vortrefflichkeit
und mich seines Lebens erbarmen. 
Wenn ich ihm aber Hilfe zukommen lasse,
dann beschädigt das meinen reinen Namen.
Ich würde mich ewig dafür schämen,

Freitag, 2. März 2018

8681-8690

der ûf den gast von grunde senet.
wirt er des tôdes hie gewenet,
daz sî gar âne mînen haz.
war umbe tæt ich aber daz,
daz ich in lieze sterben?
er sol daz heil erwerben,
daz er behabe den lebetagen.
ein tigris hæte mich getragen
und niht ein küniclichez wîp,
ob ich sô reines mannes lîp

das sich aus tiefstem Herzen nach dem Gast sehnt.  
Wenn er sich hier mit dem Tod vertraut machen wird,
dann betrifft mich das nicht.
Warum sollte ich das aber tun,
warum sollte ich ihn sterben lassen?
Er soll in den Genuss des Glückes kommen,
sein Leben zu erhalten.
Ein Tiger wäre mit mir schwanger gewesen 
und keine Königin,
wenn ich einen so herrlichen Mann