Montag, 30. November 2020

Kommentar

Wir nähern uns dem Cross-Dressing des Helden! Den »sin« (V. 13823) würde ich an dieser Stelle vielleicht eher mit »Interesse« übersetzen; und bei den »lîben« im vorherigen Vers könnte man überlegen, ob man das Wort überhaupt übersetzen muss, da mhd. »lîp« auch allgemein die Person meinen kann (und dann kann man oft auf die Übersetzung verzichten).

Das »von in ze lange fuoren« in Vers 13831 düfte meinen, dass die Männer zu lange weggeblieben sind – und das könnte man an der Stelle vielleicht ein bisschen anschaulicher übersetzen. Danach bin ich lange sehr einverstanden. 

Etwas seltsam ist die Formulierung »den kreiz ân angest biuwen« (V. 13851). »biuwen« meint oft einfach »leben«; insofern würde ich dazu neigen »Ich lasse ihn wahrlich in dieser Gegend ohne Bedrängnis leben« zu übersetzen; ganz sicher bin ich mir aber nicht. Die Übersetzung »Gegend« (für »kreiz«) habe ich mir aus der Übersetzung von V. 13855 ausgeborgt – und die Übersetzung muss ich mir merken, die ist wohl besser als meine früheren Übersetzungen dieses Wortes.

Das »an sîner art« dürfte den Charakter, das Wesen des Volkes meinen. Das erwähnte Volk ist also von Grund auf schlecht, von seiner ganzen Wesensart her schlecht und böse. 

Schwierig sind die Verse 13864f. Ich vermute, dass es hier weiterhin um das bösartige Volk geht: »Sogleich verabscheuen sie von Herzen, was sie eben noch gemocht haben«. Es handelt sich eben um ein sehr wankelmütiges Volk.

13820-13869

13820

im kan niht misselingen
bî wunneclichen wîben,
diu zuo der manne lîben
tragent weder sin, noch ger.
vernement aber si, daz er

13825

ist ein juncherre wol getân,
er muoz den lîp verloren hân
und ist ân allen zwîvel tôt.
si brâhten alle ir man ze nôt
hie vor in alter zîte,

13830

durch daz si z’eime strîte
von in ze lange fuoren.
si lopten unde swuoren
des alle sunder lougen,
daz iegelîchiu tougen

13835

ir wirt ze tôde slüege.
den mort vil ungefüege
begiengens' an ir mannen
dar umbe, daz si dannen
ze lange wâren under wegen.

13840

vil manic ellentrîcher degen
wart von in verhouwen.
tet ich zuo disen vrouwen
mîn liebez kint Achillesen,
ez müeste dâ sîn ende wesen,

13845

wan er verdürbe sâ zehant.
Dêlos ein insel ist genant,
dar inne mac er sicher sîn.
ich wæne, daz ich in dar în
verbergen welle tougen.

13850

ich lâze in sunder lougen
den kreiz ân angest biuwen.
nein aber ich, entriuwen,
ich sol in vlœhen anderswar.
von mir enwirt er niemer dar

13855

gefüeret in den selben creiz,
wan ich daz âne zwîvel weiz,
daz nie kein volc an sîner art
sô rehte gar unstæte wart
sô daz lantgesinde.

13860

daz man ez dicke vinde
valsch unde wandelbære,
daz ist von ime ze mære
an gnuogen steten mir geseit.
im wirt zehant von herzen leit,

13865

daz im gewesen ist vil zart,
des wirt mîn sun dâ vor bewart,
daz er dâ hin ze lande iht kome.
der jungelinc vrech unde vrome
wirt sicherlichen anderswâ



13820 

Ihm kann bei den herrlichen Frauen 
kein Missgeschick geschehen, 
da sie weder Verstand noch Begierde für die 
Körper der Männer in sich tragen.
Wenn sie aber herausfinden, dass er
 
13825

ein starker junger Mann ist,
dann müsste er sein Leben lassen
und ohne jeden Zweifel sterben.
Vor langer Zeit
brachten sie alle ihre Männer in Not,
 
13830 

weil sie zu einem Kampf 
von ihnen zu lange fahren mussten. 
Sie gelobten und schworen 
das alle wahrheitsgemäß,
dass jede von ihnen heimlich ihren 

13835

Hausherrn zu Tode schlüge.
Den schrecklichen Mord 
begingen sie an ihren Männern 
aus dem Grund, dass sie zu lange 
auf der Reise waren.

13840 

Sie erschlugen
viele tapfere Kämpfer.
Wenn ich mein liebes Kind Achilles
zu diesen Frauen bringen würde,
wäre es sicher sein Ende,
 
13845 

denn er würde dort sogleich verderben.
Es gibt noch die Insel Delos,
dort könnte er sicher sein.
Ich denke, dass ich ihn dort
heimlich verbergen sollte.
 
13850 

Ich lasse ihn wahrlich den Kreis 
ohne Angst bebauen.
Nein, bei meiner Treue, ich sollte
mit ihm woanders hin fliehen. 
Von mir wird er niemals dorthin 

13855

geführt in diese Gegend,
denn wenn ich eins weiß, dann,
dass kein vergleichbares Volk
so absolut untreu ist
wie diese Einwohner dort.
 
13860 

Dass es sich als überaus 
falsch und wankelmütig erweist, 
das ist mir von 
vielen Stellen erzählt worden.
Da sein Herz sehr weich gewesen ist, 

13865 

wird ihm dort sogleich Herzeleid zuteil. 
Deshalb werde meinen Sohn davor bewahren sollte,
dass er in dieses Land kommt.
Der kühne und tüchtige Junge
sollte besser

Montag, 23. November 2020

Kommentar

Immer wieder schön, auf welche Weise Reflexionen einer Figur in mittelhochdeutschen Erzählungen dargestellt werden (können)! Hier und da hätte ich in der Übersetzung wohl zu anderen Worten gegriffen, aber in fast allen Fällen halte ich die gefundenen Lösungen (nach ein bisschen Nachdenken) für sehr gelungen. 

Mittelhochdeutsch »süeze« ist oft nicht leicht zu übersetzen, zumal das Wort in einer ganzen Bandbreite von Zusammenhängen auftaucht. Hier, in V. 13879, könnte man zu »lieblich« greifen; falls einem das zu altertümlich klingt, vielleicht »hübsch« oder »liebenswert« o.ä. 

Das »von strîte« (V. 13793) ist völlig korrekt übersetzt; aber vielleicht müsste man noch ein wenig deutlicher machen, worum es geht, nämlich darum, dass Achill dort »in irgendeinem Kampf« zu Tode kommen würde. 

Die Übersetzung von V. 13796 macht es sich schwieriger als notwendig wäre. Mittelhochdeutsch »muot« meint in der Regel (wenn auch nicht immer) »Gemüt« oder »Sinn«: »Sie hatten stets Kämpfe im Sinn« (wobei ich nun die negative Aussage in eine positive umgewandelt habe, um mir das Übersetzer-Leben ein wenig leichter zu machen). 

Das »geflœhet« in V. 13815 ist ein wenig irritierend, finde ich. Im Prinzip würde es ja heißen, dass er »nicht in ihr Land geflieht« werde – und so kann man das natürlich nicht formulieren. Im Lexer gibt es  einen Eintrag zu »vlœhenen«, das ist: »flüchten, durch flucht entfernen, in sicherheit bringen« – damit dürfte die Übersetzung gut funktionieren. 

13770-13819

13770

des vlôch er von dem bette hin,
dar ûf sîn muoter, als ich las,
geleit vil senfteclîche was.
Sanft unde wol was si geleit,
iedoch kund ir die senftekeit
 
13775

des bettes niht dar zuo gefromen,
daz si ze slâfe möhte komen,
wan si wart in gedenke brâht.
diu frouwe in sorgen lac verdâht,
wâ si verbürge ir lieben sun.

13780

si dâhte alsô: verbirgest dun
lîs unde tougenlîche niht,
dîn ouge schiere an im gesiht,
dâ von dîn lîp muoz jâmer doln.
dû solt in füeren unde holn

13785

verre in ein vremdez lant.
ein rîche ist Trâciâ genant
und ist unmâzen wilde,
dar în verbirc sîn bilde
und sînen clâren süezen lîp!

13790

waz rede ab ich vil tumbez wîp?
kæm er dâ hin, er wære tôt,
wan er des grimmen tôdes nôt
von strîte dâ ze jungest lite.
ez wart nie volc, daz gerner strite,

13795

denn ouch diu selbe lantdiet.
ir muot von kampfe nie geschiet
noch ir herze, noch ir sin.
ich füere in z' einem lande hin,
daz heizet Mâcedôniâ.

13800

birg ich den ellentrîchen dâ,
daz ist mir nû daz beste dinc,
wan daz des selben landes rinc
hât ungetriuwer liute vil.
in valsche brinnet âne zil

13805

ir herze und ir gemüete
als in des fiures glüete
ein wilder salamander.
der künic Alexander
von ir lande was geborn.

13810

ze herren hetens' in erkorn
und brâchen doch ir triuwe an im.
dur daz sô kêre ich unde nim
von ir kreize mînen muot.
mîn sun liutsælic unde guot

13815

wirt niht geflœhet in ir lant.
Lemnos ein insel ist genant,
dâ niht wan frouwen inne sint,
dar în sol ich mîn liebez kint
nû füeren unde bringen.



13770

Deshalb floh er aus dem Bett, 
auf dem seine Mutter, wie ich gelesen habe, 
so angenehm lag.
Sanft und gut war sie gebettet, 
doch die Annehmlichkeiten

13775 

des Bettes führten nicht dazu,
dass sie in den Schlaf fand, 
denn sie machte sich viele Gedanken.
Sie sorgte sich sehr und dachte darüber nach, 
wo sie ihren geliebten Sohn verbergen könnte.

13780 

Sie dachte sich: „Wenn du ihn nicht unauffällig 
und heimlich verbirgst, 
dann muss dein Auge plötzlich an ihm Dinge sehen, 
von denen du Jammer erdulden musst.
Du sollst ihn führen und weit wegbringen 

13785

in ein fremdes Land.
Ein Reich wird als Trakien bezeichnet 
und es ist wahrlich unbekannt.
Dort will ich seinen unversehrten Körper 
und seinen Anblick verbergen.
 
13790 

Was rede ich törichte Frau nur?
Würde er dorthin gehen, würde er sterben, 
denn er litte dort am Ende 
vom Kampf die Drangsal des grimmen Todes. 
Es gab nie ein Volk, welches lieber kämpfte 

13795 

als die dortige Bevölkerung.
Ihr Mut wurde nie durch Kampf geschwächt 
und auch nicht ihr Herz oder ihr Sinn. 
Ich führe ihn in ein Land,
das Makedonien heißt.
 
13800 

Es scheint mir das Beste, 
wenn ich den Tapferen dort verberge,
nur dass leider in demselben
Land viele treulose Menschen leben.
Ihr Herz und ihr Gemüt 

13805

brennen ziellos in Untreue
wie ein wilder Salamander 
in einer Feuerglut.
In ihrem Land wurde der 
König Alexander geboren.
 
13810 

Sie hatten ihn zu ihrem Anführer gewählt
und dann doch ihre Treue zu ihm gebrochen. 
Dadurch lasse ich davon ab und 
wende meine Gedanken von ihrem Gebiet ab. 
Mein gutgläubiger und guter Sohn 

13815 

wird nicht in ihr Land fliehen. 
Eine Insel wird Limnos genannt.
Da dort niemand außer Frauen lebt,
werde ich mein liebes Kind dorthin
führen und dorthin bringen. 

Dienstag, 17. November 2020

Kommentar

Die Passage ist nicht ganz leicht zu übersetzen, wie mir scheint, und man muss sich wohl hier und da bei der Übertragung ein paar Freiheiten nehmen. Ich konzentriere mich im Folgenden auf Stellen, über die ich gestolpert bin.

Statt »gesotten« (V. 13724) würde ich eher »gekocht« übersetzen, das scheint mir heutzutage verständlicher zu sein. »des mâles« in V. 13725 meint wohl »damals«, wenn ich recht sehe. Statt »sorgfältig« (V. 13726) könnte man vielleicht auch »bereitwillig« übersetzen, weil an dieser Stelle Freiwilligkeit und Bereitwilligkeit sehr betont werden. Das »spil« (V. 13729) ließe sich vielleicht als »Unterhaltung« übertragen (und in der Folge wird ja auch klar, dass einiges an Unterhaltungsprogramm geboten wird). Zur Unterhaltung scheinen Schaukämpfe zu gehören – so würde ich das »schirmen« (V. 13738) verstehen: Gemeint ist (lt. Lexer) fechten, oder auch: mit dem Schild einen Hieb abfangen.

Das »kôsen« in V. 13757 würde ich konkreter mit »liebkosen« o.ä. übersetzen. Und entsprechend ist Achill vielleicht mehr als »wunderbar« (V. 13759), sondern sogar bezaubernd oder liebenswürdig. 

Und dann habe ich noch ein wenig über das »vil harte« nachgedacht (V. 13765). Ist gemeint, dass die beiden »tief und fest« um die Wette schliefen?

13720-13769

13720

daz was ir ein beswærde
und gar ein michel herzesêr.
waz touc hie lange rede mêr?
ez wart ir minneclîche erboten.
wiltpræt gebrâten und gesoten

13725

truoc man ir des mâles für.
mit willecliches herzen kür
wart si gehandelt schône
des nahtes von Schyrône.
Swaz wunne heizet unde spil,

13730

des treip er vor der guoten vil
und lie si gnuoc beschouwen des.
Patroclus unde Achilles
die muosten ir die stunde
mit handen und mit munde

13735

dâ kürzen und vertrîben.
ir und ir kamerwîben
wart dô vil gesungen,
geschirmet und gesprungen,
geharpfet und gelîret.

13740

daz niht ir sun gevîret
hete bî Schyrône,
daz wart bewæret schône
mit der behendekeite sîn.
er lie die werden künigîn

13745

und ir kamervrouwen
dô wunders vil beschouwen,
daz er gelernet hæte.
nû daz diu götîn stæte
der kurzewîle gnuoc gesach,

13750

dô leite sich an ir gemach
daz schœne wîp, daz hœre ich jehen.
vil gerne hæte si gesehen
und âne spot verhenget des,
daz sich ir sun Achilles

13755

slâfen hæte z' ir geleit,
wan si wolt in ir tougenheit
mit im gekôset gerne hân:
des wart ir state niht getân
von dem juncherren wunneclich.

13760

zuo sînem meister leite er sich
ûf einen flins hert unde breit,
der stach zen orten unde sneit
alsam ein scharpfez wâfen.
si wâren beide entslâfen

13765

vil harte schiere enwette.
pfülw unde linder bette
was Achilles niht gewent.
ein edel marteraz gedent
wart ê vil selten under in,



13720

Das bereitet ihr Kummer
und sogar großes Herzeleid.
Was nützt hier eine lange Rede?  
Es wurde ihr Gastfreundschaft erwiesen.
Gebratenes und gesottenes Wildbret
 
13725

trug man für das Mahl auf.
Mit sorgfältiger Herzlichkeit
wurde sie freundlich von Cheiron 
in dieser Nacht behandelt.
Was auch immer Freude heißt und bereiten soll,
 
13730

das zeigte er der guten Frau
und ließ sie es bestaunen.
Patroklos und Achilles
mussten ihr die Stunden mit 
Taten und Gesprächen

13735

kürzen und vertreiben.
Für sie und ihre Kammerfrauen
wurde viel gesungen und behütet, 
es wurde getanzt und
Harfe und Leier gespielt.

13740

Dass ihr Sohn 
bei Cheiron nicht müßig gewesen war, 
wurde auf schöne Weise durch 
seine Geschicklichkeit deutlich.
Er zeigte der edlen Königin
 
13745 

und ihren Kammerfrauen
viele wundersame Dinge,
die er gelernt hatte.
Nun, da die standhafte Göttin
genug Kurzweil erfahren hatte,
 
13750

legte die schöne Frau sich in ihr Gemach, 
wie mir versichert wurde.
Lieber jedoch hätte sie gesehen 
und ohne Spott veranlasst,
dass sich ihr Sohn Achilles 
 
13755 

zu ihr schlafen gelegt hätte,
denn sie hätte sich in aller Verschwiegenheit, 
gerne mit ihm besprochen.
Diese Gelegenheit ergab sich mit dem 
wunderbaren Jungen leider nicht.

13760 

Er legte sich zu seinem Meister
auf einen harten und breiten Stein.
Dieser hatte Spitzen und Kanten
als wäre er eine scharfe Klinge.
Bald schliefen sie 
 
13765

um die Wette.
Weichere und bequemere Betten
war Achilles nicht gewohnt.
Auf einer kostbare Matratze
lag er nur selten.

Montag, 9. November 2020

Kommentar

Bei Vers 13675 könnte man bei der Übersetzung von »geniezen« vielleicht etwas näher am mhd. Verständnis bleiben (z.B. »woran sie dort Freude hatte«); und drei Verse später könnte man überlegen, ob man das »endelîche« mitübersetzen kann (vielleicht: »Ihr könnt mir wirklich glauben«). Die Übersetzung »Augenstern« (V. 13680) finde ich sehr gelungen!

Die Beschreibung von Achill scheint – ganz klassisch – vom Kopf aus nach unten zu verlaufen (»auch war unterhalb davon seine Kleidung völlig von Blut befleckt«). Das Wort »dinsen« (V. 13690) ist eher selten und auch wenn im Lexer »gewaltsam ziehen« als erste Bedeutung angegeben wird, würde ich hier (weil es »ûf dem« und nicht »ûf den« heißt) eher »schleppen« übersetzen. Wie man das »verhouwen« (V. 13692) zu übersetzen hat, das ist mir unklar: Kennt sich jemand mit dem Umgang mit erlegten Tieren aus? Kann es sein, dass »zerlegen« gemeint ist? Gibt es dafür Fachbegriffe der Jägersprache? Ich kenne mit in diesem Bereich leider kaum aus...

Das mhd. Wort »suochen« (V. 13703) hat oft kriegerische, feindselige Konnotationen (vgl. »jmdn. heimsuchen«). Es geht also, glaube ich, nicht einfach nur um das Suchen, sondern um Angriffe oder vielleicht auch darum, dass Achill in Auseinandersetzungen verwickelt würde. Die übrigen Verse gefallen mir sehr gut – dazu habe ich keine Verbesserungsvorschläge!

13670-13719

13670

swaz man eht haben solte
von ûz erwelter spîse,
daz hiez der meister wîse
dâ sieden unde brâten.
sîn hol stuont wol berâten,

13675

des Thêtis von im dâ genôz.
nû der âbent zuo geflôz,
dô kam ir sun Achilles.
geloubent endelîche des,
daz in diu frouwe gerne sach.

13680

er was ir ougen ein gemach
und ir herzen wunnespil.
geloufen hete er alsô vil
nâch den tieren allen tac,
daz under sînen ougen lac

13685

stoup unde sweizes wunder.
ouch was sîn cleit dar under
mit bluote gar betroufet,
ûz sîner hût gesloufet
het er ein jungez löuwelîn,

13690

daz dans er ûf dem rücke sîn
und brâht ez bî den stunden.
verhouwen und beschunden
truoc ez der jungelinc derhein
und warf ez nider in den stein.

13695

Dâ von erschrac sîn muoter dô,
daz er beschunden unde rô
ze hûse ûf im den löuwen truoc.
daz gap ir herze vorhte gnuoc,
wan si gedâhte sâ zehant,

13700

erschülle in aller Kriechen lant,
daz der vil werde jungelinc
tet alsô vrevelîchiu dinc,
sô würde man in suochende;
dâ von wart si geruochende,

13705

daz er von dannen möhte komen.
ouch hete er schiere dô vernomen,
daz si was diu muoter sîn.
des wart von im diu künigîn
enpfangen wol mit gruoze.

13710

lieplichen unde suoze
hæte si den jungen
vil gerne z' ir betwungen.
dô trat er allez hinder sich,
al sîn gebâr was ûzerlich

13715

und wider si gar wilde.
nâch lieber kinde bilde
wolte er lützel arten.
er liez im wênic zarten
mit rede und mit gebærde.



13670

Was man auch an 
auserlesenen Speisen verlangte,
das ließ der weise Herr
kochen und braten lassen.
Seine Höhle konnte alles aufbringen,
 
13675

was Thetis sich wünschte.
Als nun der Abend kam,
kehrte Achilles zurück.
Ihr könnt mir glauben,
dass die Herrin ihn freudig sah.
 
13680

Er war ihr Augenstern
und die Freude ihres Herzens.
Er war den ganzen Tag so viel 
auf der Jagd nach Tieren gelaufen, 
dass sein Gesicht außerordentlich 

13685

verschwitzt und staubig war. 
Auch seine Kleidung
war blutbefleckt; 
er hatte einen 
jungen Löwen gehäutet, 

13690

den er auf seinem Rücken zog,
und brachte ihn zu dieser Zeit mit.
Verwundet und gehäutet
trug ihn der Jüngling hinein
und warf ihn in die Höhle.

13695

Davon erschrak seine Mutter,
dass er gehäutet und roh 
den Löwen auf ihm nach Hause trug.
Das bescherte ihrem Herzen große Furcht, 
denn sie dachte da sogleich Folgendes: 

13700

„Wenn in ganz Griechenland bekannt würde, 
dass der tapfere Jüngling 
solche unerschrockenen Dinge täte, 
so würde man ihn immerzu suchen.“; 
dadurch begehrte sie sogleich, 

13705

dass er mit ihr gehen sollte.
Auch erkannte er sofort,
dass sie seine Mutter war. 
Deshalb wurde die Königin von ihm 
mit freundlichem Gruß empfangen. 

13710

Sie hätte den Jungen 
gerne zärtlich und liebevoll 
umarmt, 
doch er trat zurück
und sein Verhalten war ungebührend 

13715

und ihr gegenüber sehr wild.
Er war so ganz und gar nicht 
wie liebe Kinder geartet. 
Er war wenig zärtlich
mit Worten und Verhalten.

Montag, 2. November 2020

Kommentar

Warum wird eigentlich in V. 13622 zwischen »lîp« und »herze« unterschieden? Doppelformeln gibt es Konrad von Würzburg ja wie Sand am Meer (und ich bin mir bis heute unsicher, ob man die Doppelformeln als Doppelformeln übersetzen sollte) – aber ist hier mit den beiden Worten das gleiche gemeint oder handelt es sich um eine wichtige Differenz? Im Lexer steht im Eintrag zu »herze«: »herz als sitz der seele, des gemütes, mutes, verstandes, der vernunft, überlegung allgem.« Sollte man vielleicht so etwas übersetzen wie: »Niemand wird ihn verletzen können, nicht seinen Körper, nicht seinen Geist.«?

Ich bin dann über ein langes Stück hinweg sehr einverstanden; einzig bei »rîlich« (V. 13639) würde ich eher zu »herrlich« oder »kostbar« greifen und nicht zu »reichlich«. Und das »aber« (V. 13653) würde ich in der Übertragung nicht auslassen wollen. 

Beim »nider legen« (V. 13657) bin ich mir nicht so ganz sicher, was genau gemeint ist. Ist das wieder eine Doppelformel? Dann wäre einfach nur gemeint, dass das Gespräch beendet wird. Oder ist dasjenige gemeint, was die beiden vorgetragen hatten? Dann vielleicht: »Damit beendeten sie das Gespräch, das sie geführt hatten.«

V. 13660 verstehe ich etwas anders: Ich glaube, dass mit »wilde« »Wild(tiere)« gemeint sind, d.h., Cheiron lässt ein Mahl auftischen, bestehend aus zahlreichem Wild. Das würde ja auch ganz gut zum Vorherigen (Achill räumt den Wald leer) und zum Folgenden (die Klause grenzt an Wald und Meer) passen.

13620-13669

13620

ich hân den list befunden,
der touc für strîtes smerzen.
an lîbe noch an herzen
mac nieman in versêren,
wil er von hinnen kêren

13625

und volgen mînem râte.
dâ von sô lâz in drâte
mit mir strîchen unde varn.
ich sol sîn edel verch bewarn
vor slegen und vor stichen.

13630

schôn unde listeclichen
hân ich funden im ein bat.
ein brunne stêt an einer stat,
zuo dem ich in nû füeren sol.
ich weiz ân allen zwîvel wol,

13635

ob er dar inne wirt gebadet,
daz im kein wâfen denne schadet.
Schyron der rede antwürte bôt.
frouwe, sprach er, im ist nôt
rîlicher arzenîe.

13640

swaz in an wunden vrîe,
daz öugent an im alzehant,
sît daz sîn herze sî gewant
ze nihte wan ze strîte.
daz er bî dirre zîte

13645

mit iuch von hinnen kêre,
daz râte ich unde lêre,
wan ez ist wol der wille mîn.
doch lânt in niht ze lange sîn
ûz mîner meisterschefte,

13650

swenn er an sîner krefte
hât von listen zuo genomen,
sô heizent in her wider komen,
daz ich in aber müeze sehen.
vil sælic friunt, daz sol geschehen,

13655

sprach wider in diu künigîn.
sus liezen si die rede sîn,
die si dô nider leiten.
Schyron der hiez bereiten
des mâles ein unbilde

13660

von manger hande wilde,
dar ûz ein wirtschaft werden mac.
der walt bî sînem steine lac
und stiez an sîne clûse,
dô stuont vor sînem hûse

13665

daz mer gar michel unde grôz,
die beide er alsô vaste nôz,
daz er von ir geræte
vleisch unde vische hæte,
swie rehte dicke er wolte.



13620

Ich kenne einen Zauber,
der vor Kampfes-Schmerzen schützt.
Niemand wird ihn verletzen können, 
weder den Körper noch das Herz,
wenn er von hier weggeht
 
13625

und meinen Rat befolgt.
Also lass ihn zeitig
mit mir fortgehen.
Ich werde seinen herrlichen Leib 
vor Schlägen und Stichen bewahren.
 
13630

Mit Sorgfalt und Umsicht 
habe ich für ihn einen Badeplatz gefunden.
Es gibt eine Stelle mit einem Brunnen.
Dorthin werde ich ihn führen.
Ich weiß ohne jeden Zweifel,
 
13635

dass ihm keine Waffe mehr schaden kann,
wenn er dort ein Bad nimmt.“
Cheiron antwortete ihr:
„Edle Dame, er braucht wahrlich
reichliche Arzneien.
 
13640

Was auch immer ihn frei von Wunden macht, 
das zeigt an ihm sogleich, 
denn sein Herz ist 
zu nichts als Kampf aufgelegt. 
Dass er sogleich
 
13645

mit euch fortgeht,
das will ich euch raten und lehren
und es ist auch mein Wille.
Doch lasst ihn nicht zu lange
meiner Ausbildung fernbleiben,
 
13650

wenn er durch Zauber noch
mehr Kräfte erlangt hat,
so befehlt ihm zurückzukehren,
damit ich ihn sehen kann.“. 
„Seliger Freund, so soll es geschehen“,

13655

sprach die Königin.
So beendeten sie ihr Gespräch
und legten es nieder.
Cheiron ließ 
nun ein unvorstellbares Mahl 

13660

durch viele wunderbare Hände zubereiten,
woraus ein Gastmahl wurde. 
Der Wald grenzte direkt an seine Höhle 
und seine Zuflucht, 
und vor seinem Haus
 
13665

lag das große weite Meer.
Beide, Wald und Meer, machte er sich so sehr zu nutze,
dass er von ihren Vorräten
Fleisch und Fisch hatte,
soviel er wollte.