11321-11330

mit eiterbæren dingen.

dâ von die flammen dringen

begunden ûz im alzehant.

ez wart sô tobelîche enbrant,

daz man daz wunder nie gesach.

sîn wildez fiur sluoc in daz dach

und allenthalben in daz hûs.

dâ wart von hitze jâmers grûs

und ein sô rehte michel rôst,

daz für daz fiur dekeinen trôst

durchsetzt.

Deshalb begannen die Flammen sogleich

aufzulodern.

Es ging derartig heftig in Flammen auf –

so etwas hat man noch nie gesehen!

Das ungestüme Feuer flammte hoch zum Dach

und überall in das Gebäude.

Grauenhafter Jammer entstand durch die Hitze

und ein so richtig großer Scheiterhaufen,

so dass die liebenswerte Frau 

11311-11320

daz rîlîch und daz schœne cleit

het an ir blanken hût geleit

als ein unbetrehtic wîp,

dô muoste ir wunneclicher lîp

vil schadehaft gesitzen.

wan dô diu gift erhitzen

der minneclichen briute

begunde an wîzer hiute,

dô wart daz cleit enzündet.

ez was vil gar durchgründet

das kostbare und schöne Kleid

über ihre nackte Haut gestreift hatte,

ohne weiter darüber nachzudenken,

da nahm ihr schöner Körper

großen Schaden.

Als nämlich das Gift

an der weißen Haut der begehrenswerten Geliebten

heiß zu werden begann,

da fing das Kleid Feuer. 

Es war völlig von giftigen Dingen

11301-11310

der wart ze pulver alzehant

vil gar versmelzet und verbrant.

Diz cleit vil wunneclich gevar

daz sante si Jâsône dar

und sîner friundinne.

ze krâme und z’einer minne

solt ez sîn âmîe hân.

ez wart engegen Thêbân

gefüeret ûf ir schaden dâ,

wan dô diu frouwe Grêûsâ

der zerschmolz sogleich ganz zu Asche

und verbrannte. 

Dieses wunderschön aussehende Kleid

ließ sie Jason und

seiner Freundin bringen.

Als gekauftes Geschenk und als Aufmerksamkeit

sollte es seine Geliebte bekommen. 

Man hat es hin nach Theben

gebracht, ihr zum Schaden,

denn als Frau Greusa

11291-11300

mit ir henden ein gewant,

daz nie sô rîchez wart bekant

von golde und ouch von gimmen.

iedoch wart ez mit grimmen

sachen underspicket.

ein gift wart drîn verstricket

mit zouber und mit listen,

vor der nieman gefristen

mohte sînen lebetagen.

wan swer daz cleit begunde tragen,

ein Gewand zu weben,

so prächtig, wie es nie zuvor eines gegeben hat,

aus Gold und zudem mit Edelsteinen.

Allerdings wurde es mit schrecklichen

Dingen unterfüttert:

Ein Gift wurde dort hineingeflochten

mit Zauber und mit Kunstfertigkeit;

ein Gift, das niemanden

am Leben ließ,

denn jeder, der das Kleid anzog,  

11281-11290

ein kleit mit mîner hende,

dâ von si beide ein ende

enpfâhent und gewinnent

und einen tôt beginnent,

der bitter ist und angestlich.

sît Jâson hât verkepset mich

und ich nie stæte an im gebrach,

sô wirt an im sîn triuwe swach

gerochen unde sol ich leben.[‹]

alsus begunde si dâ weben

ein Kleid nähen und weben,

durch das sie beide 

zugrunde gehen

und zu einem Lebensende kommen,

das bitter ist und furchtbar.

Da mich Jason für eine Andere verlassen hat

und ich ihm aber nie untreu geworden bin,

deshalb wird an ihm seine Treulosigkeit

gerächt – und wenn es das letzte ist, was ich tue.‹

So begann sie dann mit ihren Händen

11271-11280

getriuwen keinem manne mê,

sît Jâson wider mich sîn ê

gevelschet hât sô sêre.

er hât an mir sîn êre

gebrochen und entstricket,

des wirt von mir geschicket,

daz sîn âmîe sâ zehant

enphâhet mînen prîsant,

wan ich mîn cleinœte ir gibe.

weizgot, ich næje ir unde wibe

einem Mann vertrauen,

da Jason mir gegenüber sein

Eheversprechen derart entwürdigt hat. 

Durch sein Verhalten gegenüber mir hat er

sein Ansehen zerrissen und zerrupft.

Deshalb werde ich dafür sorgen,

dass seine Freudin möglichst bald

mein Präsent erhält,

denn ich werde ihr meine Kostbarkeit geben.

Wahrlich, ich werde ihr mit eigener Hand 

11261-11270

vil swachen solt ze lône.

diz wart ouch an Jâsône

bewæret und erzeiget:

sîn leben wart geveiget

mit einem ende freissam.

wan dô Mêdêâ daz vernam,

daz er triuw unde stæte

an ir gebrochen hæte,

dô sprach daz wunneclîche wîp:

›nû sol ouch niemer wîbes lîp

geringen Lohn ausbezahlt bekommen. 

Dies bewahrheitete und zeigte sich

auch an Jason:

Sein Leben ging zugrunde

und nahm ein schreckliches Ende.

Denn als Medea erfahren hatte,

dass er wortbrüchig und ihr untreu

geworden war,

da sagte die wunderbare Frau:

›Von nun an wird nie mehr eine Frau

11251-11260

dâ wirt daz ende dicke sûr.

ez wart nie bezzer nâchgebûr,

denn ein bewærtiu friuntschaft.

sô niuwez trût an sîner kraft

erblîchet als ein bluome glanz,

sô mac ein altiu liebe ganz

belîben an ir glaste.

swer an der minne vaste

kan wenken unde strûchen,

der wil ze jungest brûchen

da führt das oft zu einem bösen Ende. 

Es gab nie eine bessere Nachbarschaft

als eine beständige Liebe.

Während die Frische einer neuen Liebschaft

verdorrt, wie der Glanz einer Blume,

vermag das Strahlen bestehende Freude 

ganz zu bleiben. 

Wer auch immer an seiner Liebe

gewaltig wankt und strauchelt,

der wird zuletzt 

11241-11250

sîn liep vil ofte mischet,

der alte minne ervrischet

und si durch sîne unstætikeit

an guoten friunden nider leit.

Swem alte liebe wonet bî,

daz der belîbe der niuwen frî,

daz wære ein wunneclichez dinc.

swâ man den êrsten ursprinc

verwehselt an der minne

mit niuwes herzen sinne,

häufig mit leidvollem Jammer,

der bestehende Liebe belebt

und sie dann aber, aufgrund seiner Unbeständigkeit,

denjenigen entzieht, die doch gute Partner waren. 

Dass all diejenigen, die über bestehende Freude verfügen,

frei bleiben von neuen Freuden,

das wäre eine herrliche Sache.

Wo auch immer man das erstmalige Auftreten

der Liebe 

durch neues Herzensbegehren austauscht, 

[Ich übersetze etwas freier, damit man den Gedankengang auch nachvollziehen kann.]

11231-11240

in endelôsen smerzen.

si wirt vil manigem herzen

ein valscher leitesterne.

minn ist sô niuwegerne,

daz ir vertâner vürwiz

durch ganze liebe manigen sliz

kan zerren unde brechen.

si solte niht versprechen

daz virne dur daz niuwe.

wan er mit leides riuwe

endlose Not.  

Sie wird für viele Herzen

ein schlechter Leitstern werden.

Liebe ist so begierig auf Neues,

dass ihre verfluchte Neugierde in der Lage ist,

für vollkommenes Glück so manchen Riss

aufzureißen und aufzubrechen.

Sie sollte nicht zugunsten von etwas Neuem

eine Missetat rechtfertigen,

denn derjenige vermengt seine Freuden

11221-11230

von sînem valschen muote.

im was von ir ze guote

geschehen maniger hande dinc:

daz übersach der jungelinc

und der ungetriuwe man,

dâ von er schaden vil gewan

und in kumber wart geleit.

daz schuof der minne unstætekeit,

die gnuoge wenken lêret

und si dar under kêret

jegliche Spur. 

Seinetwegen hatte sie

viele Dinge zum Guten gewendet;

das ignorierte der junge,

untreue Mann.

Deshalb wurde er in großes Unglück

und Leid gestürzt.

Dafür sorgte die Unbeständigkeit der Liebe,

die viele wankelmütig macht

und sie damit hinein treibt in

11211-11220

daz er dur si wart triuwelôs

und er sîn êlich wîp verkôs.

Er hete gar vergezzen,

daz er von ir gesezzen

was in wirde manicvalt

und daz er wart von ir gewalt

an der wollen sigehaft.

daz von ir hôhen meisterschaft

sîn vater was in jugent brâht,

des wart vil kleine dô gedâht

dass er um ihretwillen untreu wurde

und seine Ehefrau verließ.

Er hatte völlig vergessen,

dass er durch sie 

großes Ansehen gewonnen hatte

und dass er durch ihre Macht

die Wolle errungen hatte.  

Dass durch ihre große Kunstfertigkeit

sein Vater verjüngt worden war,

davon fehlte in seinen treulosen Gedanken

11201-11210

wolt in vil kurzen stunden,

dô wart sîn muot gebunden

mit niuwer liebe minne,

wan er dô sîne sinne

leit ûf ein ander wîp zehant.

Grêûsâ sô was si genant

und lûhte schône und ûz erkorn.

von Thêbân was si geborn

und hete mit ir friuntschaft

Jâsônes herze alsô behaft,

demnächst zurückzukehren, 

wurde bald sein Sinnen und Trachten

von neuer, freudiger Liebe umschlungen,

weil er dann nämlich sein Verlangen

sogleich auf eine andere Frau richtete.

Greusa, so hieß sie,

und ihre Erscheinung war schön und vorzüglich.

Sie stammte aus Theben

und hatte sich mit ihrer Zuneigung

an Jasons Herz derart festgesetzt,