10881-10890

mit ganzer stæte ân underbint,

biz si gewan von im zwei kint

und man diu werdeclîche erzôch.

den grâven und den fürsten hôch

was Mêdêâ willekomen.

nû hete si daz wol vernomen

und was ir dicke vor geseit,

wie Pêleus der künic neit

Jâsônen sînes bruoder barn

und er in hiez dar umbe varn

dauerhaft, ohne Unterbrechung,

bis sie von ihm zwei Kinder bekam

und man diese würdig und angemessen erzog.  

Die Grafen und die hohen Fürsten

waren Medea freundlich gesonnen.

Nun war es so, dass sie sehr wohl mitbekommen hatte

– und es ihr oft gesagt worden war –,

dass Peleus, der König, auf Jason,

den Sohn seines Bruders, neidisch war

und er ihn deshalb 

10871-10880

si mohte in machen wol gesunt,

sît daz si gar biz ûf den grunt

was aller kunst ein meisterîn.

waz krûtes edel mohte sîn,

daz was ir ougen wol erkant.

si wart in allem Kriechenlant

geprîset dur ir wîsheit.

man bôt ir ganzer werdekeit

und êrte si gar schône.

si wonte bî Jâsône

Sie konnte ihn ganz gesund machen,

schließlich war sie eine in jeder Hinsicht 

vollkommene Meisterin alles Wissens und aller Gelehrsamkeit. 

Sie kannte und erkannte alle Kräuter, die

möglicherweise mächtig und zweckmäßig waren.

In ganz Griechenland wurde sie

wegen ihrer Weisheit gerühmt.

Man würdigte sie uneingeschränkt

und ehrte sie eindrucksvoll.

Sie lebte bei Jason

10861-10870

der drîer tugent meisterschaft

hât als endelôse kraft,

daz man niht mac durgründen

mit herzen und mit münden,

waz von in wunders mac geschehen.

dar umbe darf nieman des jehen,

diz mære daz ensî niht wâr,

daz diu küniginne clâr

von altem ungeverte

ir swæher sus generte.

Die große Kraft, die in diesen dreien steckt,

ist so riesig und unfassbar,

dass man mit Herz und Mund

nicht vollständig ergründen kann,

welche Wunder durch sie geschehen können.

Deshalb darf niemand behaupten,

die Geschichte sei nicht wahr,

dass die strahlende Königin 

ihren Schwiegervater auf diese Weise

vom Leid des Alters erlöste. 

10851-10860

die tugent heten unde maht.

man vindet kriuter maniger slaht,

dâ man unbilde briuwet mite.

ir eteslichez hât den site

und ist an kreften alsô rîch,

daz von im ein tôtiu lîch

erquicket möhte werden.

kein dinc hât ûf der erden

an kreften alsô rîchen hort,

sô steine, kriuter unde wort.

die wirksam und mächtig waren.

Man findet vielerlei Kräuter,

mit denen man Ungeheurliches brauen kann.

So manches Kraut hat Eigenschaften

und hat derartige Kräfte,

dass von ihm ein toter Körper

wieder zum Leben erweckt werden könnte.

Kein Ding auf Erden

hat einen solchen Schatz an Kräften

wie Steine, Kräuter und Worte. 

10841-10850

liut unde lant gemeine.

daz opfer was niht cleine,

daz den göten wart gegeben.

man treip dâ wunneclichez leben

und fröude manger hande

ze Kriechen in dem lande.

Diz wunder daz endunke iuch niht

ein gar unmügelich geschiht,

wan ez möhte wol geschehen.

man hât der würzen vil gesehen,

die Menschen und das ganze Land.

Die Opfer, die man den Göttern leistete,

waren alles andere als gering!

Man lebte dort ein angenehmes Leben

mit vielerlei Freuden

im Land der Griechen.

Dieses Wunder, das sollt ihr nicht

für eine völlig unmögliche Sache halten,

denn tatsächlich könnte es geschehen.

Man hat schon viele Kräuter gesehen,

10841-10850

liut unde lant gemeine.

daz opfer was niht cleine,

daz den göten wart gegeben.

man treip dâ wunneclichez leben

und fröude manger hande

ze Kriechen in dem lande.

Diz wunder daz endunke iuch niht

ein gar unmügelich geschiht,

wan ez möhte wol geschehen.

man hât der würzen vil gesehen,

die Menschen und das ganze Land.

Die Opfer, die man den Göttern leistete,

waren alles andere als gering!

Man lebte dort ein angenehmes Leben

mit vielerlei Freuden

im Land der Griechen.

Dieses Wunder, das sollt ihr nicht

für eine völlig unmögliche Sache halten,

denn tatsächlich könnte es geschehen.

Man hat schon viele Kräuter gesehen,

10831-10840

kam ze ganzer werdikeit.

ûf si wart hôhez lop geleit

und durchliuhticlicher prîs.

sich huop dâ vröude in manic wîs

dur daz wunder zwivalt,

daz Êson der künic alt

alsus gejunget hete sich

und daz der schæper wunneclich

von Jâsône wart bejaget.

in hôhem muote was betaget

stieg auf zu höchstem Ansehen. 

Großes Lob häufte man auf sie

und Anerkennung, die alles überstrahlte.

Freude breitete sich dort in vielfacher Weise aus,

durch das doppelte Wunder,

dass nämlich Eson, der alte König,

sich derart verjüngt hatte

und dass das anmutige Vlies 

von Jason erjagt worden war.

Hocherfreut lebten 

10821-10830

wart ein gesunder jungelinc,

daz dûhte ein alsô wildez dinc,

daz beide arm unde rîche

dar kâmen algelîche

und diz unbilde sâhen.

si sprâchen unde jâhen,

ez würde nie gehœret ê

noch geschæhe ouch niemer mê

kein fremder âventiure.

Mêdêâ diu gehiure

ein gesunder junger Mann geworden war,

das schien eine derart seltsame Sache zu sein,

dass Menschen jeder Couleur 

dorthin kamen,

um diese Unbegreiflichkeit zu sehen.

Sie sagten und bekannten,

dass sie noch nie eine seltsamere Geschichte

gehört hatten

noch jemals so etwas wieder geschehen werde.

Medea, die Bezaubernde,

10811-10820

die wurden herzeclichen vrô,

wan er gienc aleine dô,

der ê von knehten wart getragen.

er was gereinet und getwagen

von allem itewîze.

mit hôher künste flîze

tet man sîn trûren under.

diz wunderlîche wunder

schal über allez Kriechen.

daz von dem alten siechen

waren von Herzen froh,

denn er ging auf einmal allein,

der zuvor von Dienern getragen worden war. 

Er war gereinigt und gesäubert

von allem, was ihn beschähmte.

Mit der Sorgfalt hoher Gelehrsamkeit

hatte man sein Trauern überwunden.

Dieses wunderbare Wunder

verbreitete sich über ganz Griechenland.

Dass aus dem alten Kranken 

10801-10810

Nû daz der künic Êson

ûz sînem alter und dâ von

geslouf mit arzenîe,

dô gienc der wandels frîe

mit fröuden in die stat hin wider.

im wâren alliu sîniu lider

gar lîhte worden unde vrisch.

er wart gesunt reht als ein visch,

der vert in einem wâge.

sîn sun und sîne mâge

Als nun König Eson

mit Hilfe der Arznei 

heraus aus seinem Alter schlüpft,

da ging der Untadelige

freudig wieder zurück in die Stadt.

Alle seine Glieder fühlten sich 

nun leicht an und frisch.

Er war gesund geworden, ganz wie 

ein Fisch, der im Wasser schwimmt.

Sein Sohn und seine Verwandten

10791-10800

daz wart im sam ein sîde gel

und wart sîn runzelehtez vel

gestrecket unde schône glat.

sîn munt alsam ein rôsenblat

begunde blüejen unde roten.

im wart diu snellekeit geboten,

daz er spranc rehte alsam ein hirz.

daz schuof der arzenîe wirz

und daz edele tiure salp,

daz in durchgienc in allenthalp.

das wurde so wie gelbe Seide

und seine ver­schrum­pelte Haut

wurde gespannt und schön glatt.

Sein Mund begann wie ein Rosenblatt

zu erblühen und zu erröten.

Ihm wurde eine solche Beweglichkeit zuteil,

dass er umhersprang wie ein Hirsch.

Das machte die Würze der Arznei

und die edle, wertvolle Salbe,

die ihn ganz und gar durchdrang. 

10781-10790

der tiuren arzenîe saf.

und dô diu salbe in êrst getraf

und im diu lider sîn durchgienc,

dô nam der künic und enpfienc

dar in sîn herze blüende jugent.

er was an kreften und an tugent,

als er vor drîzic jâren was.

geheilet wart er und genas

von aller sîner swære dâ.

sîn hâr, alsam ein tûbe grâ,

den Saft der wertvollen Arznei. 

Und sobald ihn die Salbe berührte

und seine Glieder durchfloss,

da ergriff der König – und empfieng er –

in seinem Herzen blühende Jugend.

Er war an Kraft und Fähigkeiten so, 

wie er vor dreißig Jahren gewesen war.

Er war dort von allen seinen Beschwerden

geheilt und wurde gesund. 

Sein Haar, so grau wie eine Taube,

10771-10780

an fleische noch an beine wart.

er lac von zouberlicher art

noch stiller denne ein quâder.

nû sîner kelen âder

entrennet wart und offen

und ûz im was getroffen

daz alte bluote ganz unde gar,

dô nam diu küniginne dar

den haven bî den stunden

und gôz im in die wunden

mit keiner Faser seines Körpers bemerkte.

Er lag durch Zauberkunst

stiller noch als ein Quaderstein.

Als nun die Pulsader an seiner Kehle

durchtrennt und offen

und aus ihm alles 

alte Blute geflossen war,

da nahm die Königin sogleich

den Topf zur Hand

und goss ihm in die Wunde

10761-10770

daz lie si von im triefen

und sîgen in die tiefen

gruoben, diu dâ was gegraben,

alsô daz er den geist behaben

doch mohte in sînem herzen.

er leit den grimmen smerzen,

daz er sîn nihtes niht enpfant,

wan er entslâfen was zehant

von ir worten alsô gar,

daz er des stiches niht gewar

das ließ sie aus ihm heraustropfen

und in die tiefe Grube laufen,

die dort gegraben worden war,

allerdings so, dass er weiterhin in seinem Herzen

noch Leben hatte.

Er ertrug die heftigen Schmerzen,

weil er rein gar nichts davon spürte,

denn war war sogleich durch ihre

Worte in einen so tiefen Schlaf versunken,

dass er den Stich

10751-10760

von der frouwen in den hert,

dar über wart der künic wert

von ir geneiget und geleit.

ein mezzer, daz vil sêre sneit,

gesetzet wart an sînen kragen

und im gestochen und geslagen

durch ein âder an der keln.

alsus begunde si versteln

im eine wunden, als ich las.

swaz in im altes bluotes was,

von der Frau in die Erde gegraben.

Darüber wurde der angesehene König

von ihr gelegt und geneigt.

Ein überaus scharfes Messer

wurde an seinen Hals gesetzt

und ihm durch eine Pulsader 

an der Kehle gestochen und geschnitten.

Auf diese Weise brachte sie ihm, so habe ich es gelesen,

heimlich eine Wunde bei.

Alles, was an altem Blut in ihm war, 

10741-10750

sanft ûf ein bette linde.

si treip daz ingesinde

von ir allez in die stat.

dem künige siech an kreften mat

bar si dâ blüender tugende hort.

si rûnte im einer slahte wort

dar in sîn ôren beide,

dâ von er zuo der heide

viel in marmels und entslief.

gemachet wart ein gruobe tief

sanft, auf ein weiches Bett. 

Die Dienstleute schickte sie alle

weg von ihr, in die Stadt.

Dem kranken König, dessen Kräfte am Ende waren,

schuf sie dort eine Quelle blühender Kraft.

Sie flüsterte ihm ein bestimmtes Wort

hinein in seine beiden Ohren,

wodurch er betäubt auf die Wiese sank

und einschlief. 

Eine tiefe Grube wurde 

10731-10740

denn alliu wîp besunder.

nû si diz fremde wunder

getempert ûf ein ende

und ez mit blanker hende

ze rehte vollebrâhte,

dô hiez diu wol bedâhte

bringen ir den künic dar,

der von alter was gevar,

alsam ein grîsiu tûbe grâ.

vür si wart er gesetzet dâ

als jede andere Frau. 

Als sie nun dieses seltsame Wunderwerk

fertig zubereitet

und es mit bloßen Händen

wie geplant fertiggestellt hatte,

da befahl sie, die stets vorausschauend war,

ihr dorthin den König zu bringen;

ihn, der durch das Alter grau gefärbt war

wie eine alte Taube.

Man setzte ihn vor sie hin,