Donnerstag, 30. November 2017

8111-8120

mit strîte wil erwerben,
der muoz dar umbe sterben
und ein ende kiesen.‹
›mac er den lîp verliesen,
swer daz golt bejagen sol?‹
›jâ, herre, des geloubent wol,
er muoz bî namen tôt geligen,
swer an dem schæper wil gesigen.‹
Der rede nam dô wunder
den werden gast besunder,

gewaltsam erobern will,
der muss deshalb sterben
und sein Leben beenden.‹
›Kann er sein Leben verlieren,
der vorhat, das Gold zu erobern?‹ 
›Ja, Herr, da könnt ihr sicher sein,
er muss wahrlich sterben,
wer das Vlies gewinnen will.‹
Das Gesagte überraschte ihn,
den angesehenen Gast,

Mittwoch, 29. November 2017

8101-8110

an der wollen, vrouwe guot?‹
›jâ, herre tugentrîchgemuot,
der schæper kan iu werden niht,
des lâzent alle zuoversiht
ûf die wollen guldîn.‹
›wie füeget sich daz, vrouwe mîn,
daz ich ir niht gewinnen kan?‹
›dâ lît vil manic hôher man
durch si jæmerlichen tôt.
wan swer daz golt fîn unde rôt

dass ich an der Wolle scheitere?‹
›Ja, mutig-tapfrer Herr, 
das Vlies kann nicht euer werden,
lasst deshalb, was die goldene Wolle angeht,
alle Hoffnung fahren.‹
›Meine Dame, wie kann das sein,
dass ich sie nicht bekommen kann?‹
›Dort ist so mancher angesehene Mann
um ihretwegen jämerlich gestorben,
weil jeder, der das schöne, rote Gold 

Dienstag, 28. November 2017

8091-8100

diu wære iu liep gewunnen.‹
›jâ, frouwe wol versunnen,
ich wolte gerne si bejagen.‹
›vriunt herre, sô wil ich iu sagen,
daz ir hie niht gewinnent die.‹
›war umb enkan ich ir niht hie
bejagen noch erwerben?‹
›dâ müezent ir verderben,
ob ir nâch ir went ringen.‹
›und mac mir misselingen

die würdet ihr euch gerne verschaffen.‹
›Ihr habt recht, scharfsinnige Dame,
die würde ich gerne erjagen.‹
›Lieber Herr, dann will ich euch sagen,
dass ihr die hier nicht bekommen werdet.‹
›Warum kann ich sie hier
weder erjagen noch bekommen?‹
›Ihr müsstet dort sterben,
wenn ihr euch um sie bemühen wollt.‹
›Ist es möglich, edle Dame,   

Montag, 27. November 2017

8081-8090

mit zühten aber unde sprach:
›swie selten iuch mîn ouge sach,
doch hôrte ich von iu wunder sagen.
ich hân dâ her in mînen tagen
manheite gnuoc von iu vernomen:
dâ von weiz ich, daz ir sint komen
durch âventiure in disen creiz.
ir wellent aber, gotweiz,
hie strîten umbe werdekeit.
diu wolle, die der wider treit,

hinwiederum mit Anstand und sagte:
›Wenn auch meine Augen euch nie gesehen haben,
so wurde mir doch Erstaunliches von euch erzählt.
Ich habe bisher, in meinem Leben,
eine Menge von eurer Tapferkeit gehört.
Deshalb weiß ich, dass ihr 
für gefahrvolle Unternehmungen an diesen Hof gekommen seid. 
Ihr wollt, weiß Gott!, ein weiters Mal
um großes Ansehen kämpfen.
Die Wolle, die der Widder trägt, 

Dienstag, 21. November 2017

8071-8080

wan ir hânt schœnheit unde zuht.
swaz ich von iu, vil werdiu fruht,
mit rede selten hân vernomen,
der bin ich hie z’eim ende komen
mit werken tûsentvaltic.
daz iuwer lîp gewaltic
ist êren unde manger tugent,
daz öuget an mir iuwer jugent
und iuwer minneclich gebâr.‹
des antwurt im diu vrouwe clâr

denn ihr seid schön und wohlerzogen.
Für all die Worte von euch – herrlichstes Geschöpf –
von denen ich bisher wenige vernommen habe,
dafür bin ich hier entschädigt worden
mit tausendfachen Taten.
Dass ihr mächtig seid
an Ansehen und vielerlei Fähigkeiten,
das kann ich ersehen anhand eurer Jugend
und eurem liebevollen Benehmen.‹
Darauf antwortete ihm die schöne Dame

Montag, 20. November 2017

8061-8070

daz man sich heimlich machet im.
ich merke daz wol und vernim,
daz ir bescheiden sint von art
und nie sô reines niht enwart
als iuwer lîp und iuwer leben.
daz ir mir kurzewîle geben
geruochet hie mit worten,
daz wil ich z’allen orten
umb iuch verschulden mîniu jâr.
mir ist von iu gesaget wâr,

indem man sich mit ihm vertraut und heimisch macht.
Ich habe das gewissenhaft wahrgenommen und habe gehört,
dass ihr von Natur aus klug und verständig seid
und nie etwas so Reines entstanden ist
wie ihr und euer Lebenswandel. 
Dass ihr mir hier die Zeit mit Worten 
angenehm vertreiben wollt,
dafür will ich allerorten 
mein Lebtag lang in eurer Schuld stehen.
Es stimmt, was mir von euch erzählt wurde,

Freitag, 17. November 2017

8051-8060

an fremder stat verslihten
und ûf daz dinc verrihten,
dar nâch si werben danne.
ez gît dem vremden manne
trôst unde rât, daz man im sich
mit worten machet heimelich.‹
›Vrouwe, ir habent wâr geseit,‹
sprach der ritter ungemeit,
›ez kan ellendem gaste
sîn trûren ringen vaste,

mit einem fremden Ort anfreunden
und auf die Sache vorbereiten,
um die sie sich danach bemühen. 
Dem fremden Mann ist es 
Trost und Rat, dass man ihn
sich mit Worten vertraut und heimisch macht.‹
›Herrin, es stimmt, was ihr sagt‹,
antwortete der traurige Ritter,
›dem landfremden Gast kann
seine Trauer deutlich gemindert werden, 

Donnerstag, 16. November 2017

8041-8050

vür ein dörperîe daz,
ob ich mit iu red etewaz,
dâ von iu kurz diu stunde wirt.
friuntlichez kôsen fröude birt,
swâ man beginnet trûric sein:
des lânt iuch niht der worte mîn
bedriezen und betrâgen.
man sol die geste frâgen
und mit in reden etewaz,
sô kunnent si sich deste baz

für bäurisch,
wenn ich irgendwas mit euch rede,
womit euch die Stunde kürzer wird.
Freundliches Plaudern bringt Freude hervor,
wo auch immer man anfängt, traurig zu sein.
Lasst euch deshalb meine Worte nicht
lästig werden und verdrießen. 
Man muss den Gästen Fragen stellen
und mit ihnen irgendetwas reden;
sie können sich dann umso besser

Mittwoch, 15. November 2017

8031-8040

daz si mit im ze rede kam
vil kûme, wan si twanc diu scham
und ir senelîchiu nôt,
daz si bleich wart unde rôt,
ê si gespræche ein wörtelîn.
diu junge süeze künigîn
sich kêrte zuo dem gaste hin.
blûclîche sprach si wider in:
›trût herre, tugentrîcher helt,
lânt mir niht werden hie gezelt

wie sie mit ihm eine Unterhaltung anfangen sollte,
nur sehr bedingt, denn sie wurde aus Scham
und durch ihr sehnsuchtsvolles Elend
bleich und rot,
noch ehe sie auch nur ein Wörtchen gesagt hatte.
Die junge, entzückende Königin
wandte sich dem Gast zu.
Schüchtern sagte sie zu ihm:
›Lieber Herr, gewaltiger Kämpfer,
haltet das jetzt nicht 

Dienstag, 14. November 2017

8021-8030

und wart der lieben rede geil.
si dûhte ein wunneclichez heil
und ein sældenrîchez leben,
daz ir daz urloup wart gegeben,
daz si mit im solte
dô reden, swaz si wolte.
Si gienc dar bî den zîten
und saz im an die sîten,
daz er mit senftem muote leit.
si lêrte daz ir blûcheit,

und war über die Worte gelücklich.
Das schien ihr ein angenehmer, glücklicher Zufall zu sein
und ein von göttlichem Heil erfülltes Leben,
dass ihr die herrscherliche Erlaubnis gegeben worden war,
mit ihm da über all das zu reden,
worüber sie reden wollte. 
Sie ging gleich dorthin
und setzte sich neben ihn,
was er gutwillig ertrug. 
Durch ihre Schüchternheit wusste sie,

Montag, 13. November 2017

8011-8020

und sprach der minneclichen zuo:
›ich sage dir, tohter, waz du tuo.
ganc zuo Jâsône sitzen!
waz ob von dînen witzen
und von der hôhen künste dîn
wirt sîme herzen fröude schîn,
daz ein teil beswæret ist.
lâ schouwen, ob dû keinen list
erdenkest, der in mache vrô!‹
›vil gerne, vater,‹ sprach si dô

und sagte zu der Liebenswerten:
›Ich sage dir, Tochter, was du jetzt machst.
Geh, setz’ dich zu Jason!
Vielleicht gelingt es deiner Klugheit
und deinen großen Künsten,
mit Freude sein Herz zu erhellen,
das einige Lasten trägt.
Lass sehen, ob dir nicht ein
Trick einfällt, der ihn aufheitert!‹
›Sehr gern, Vater‹, antwortete sie,

Freitag, 10. November 2017

8001-8010

gezieret wol nâch sîner gir,
dô stuont er ûf engegen ir
und umbevienc si bî der stunt.
er kuste ir ougen unde munt
vil dicke dâ ze lône.
daz tet vil wê Jâsône,
wan ez im an sîn herze gie,
daz er niht selbe küssen hie
getorste die vil reine fruht.
der künic, der tet sîne zuht

geschmückt, so wie er es gern hatte,
da stand er auf, ging zu ihr
und umarmte sie.
Er küsste ihr zum Dank immer wieder
die Augen und den Mund.
Das schmerzte Jason sehr,
weil es ihn in sein Herz traf,
dass er dort die überaus makellose Frucht
nicht selbst zu küssen wagte.
Der König, der handelte manierlich und anständig

Donnerstag, 9. November 2017

7991-8000

würde an rehter liebe dô.
nû kam ez eines tages sô,
daz sich der wirt ûf sîme sal
durch wunnebæren hoveschal
zuo den gesten nider liez
und aber sîne tohter hiez
vür sich besenden alzehant.
si wart vil schiere dar besant
ûf den rîlichen palas.
und dô si vür in komen was

ihre Hoffnung auf wahrhafte Freude.
Nun begab es sich eines Tages,
dass sich der Gastherr in seinem Saal
für unbeschwerte Hofplaudereien 
zu den Gästen setzte
und erneut befahl,
sogleich seine Tochter herbeizuholen.
Sie wurde eiligst dorthin,
in den prächtigen Palastbau gebracht.
Und als sie vor ihn getreten war,

Mittwoch, 8. November 2017

7981-7990

Si wâren beide ein ander holt,
ir triuwe sam ein lûter golt
was gereinet under in.
er sente nâch ir allez hin,
sô trûrte si nâch im her dan.
sus lepte maget unde man
in angestbæren sorgen.
den âbent und den morgen
wâren si dar zuo verdâht,
daz ir wille vollebrâht

Beide liebten sie einander.
So wie pures Gold wurde ihre aufrichtige Ergebenheit zueinander
durch Gegenseitigkeit geläutert: 
Er sehnte alles zu ihr hin,
sie wiederum trauerte wegen ihm her.
So lebten der Mann und die junge Frau
in beängstigender Sorge.
Den Abend und den Morgen über
waren sie gedanklich völlig darin vertieft,
dass ihre Hoffnung erfüllt würde,   

Dienstag, 7. November 2017

7971-7980

und âne zwîvel tôt gelegen.
Jâson, der hôchgeborne degen,
lie sich dâ ze hûse nider,
biz er an kreften kœme wider
mit herzen und mit sinne.
in twanc diu süeze minne,
daz er in trûren wart gejagt.
ouch wart diu keiserlîche magt
durch in gebunden alle tage
mit jâmer und mit sender clage.

und zweifellos gestorben.
Jason, der Held aus edler Familie,
nahm dort, in diesem Haus, Quartier,
bis ihm Herz und Sinne
wieder zu Kräften kamen.
Ihn bedrängte die süße Liebe,
so dass er in die Traurigkeit getrieben wurde.
Ebenso war die kaiserliche junge Frau
wegen ihm all die Tage gefesselt,
mit Jammer und mit sehnsuchtsvollem Klagen.

Montag, 6. November 2017

7961-7970

vil sanfte von dem gaste.
er seite im, daz er vaste
wære an hôher wunne swach,
ob er dâ minneclich gemach
niht fünde, er müeste ligen tôt.
diz meint er an die senende nôt,
die sîn tohter im gebar.
het er niht senfte ruowe gar
schier an ir minne erworben,
sô müeste er sîn verdorben

der bereitete dem Gast keine Mühe. 
Er sagte ihm, dass er an seinem
vornehmen Wohlbefinden sehr geschwächt sei,
dass er, wenn er hier kein angenehmes
Quartier fände, sterben müsse.
Er hatte dabei das sehnsuchtsvolle Elend 
im Sinn, das ihm seine Tochter schuf.
Wenn er nicht schnell von ihrer Liebe 
eine rundweg geruhsame Atempause erlangt hätte,
dann wäre er am Ende gewesen