Donnerstag, 31. März 2022

16160-16169

harnasch und îsen füeren an.‹

Mit selhen worten unde alsô

wart von in getriben dô

diu zît und ouch diu stunde hin.

si beidiu pflâgen under in

geselleschefte ein wunder

und hal iedoch dar under

daz leben sîn Achilles,

sô daz er nie gedâhte des,

daz er truoc mannes orden.


Rüstung und Waffen tragen könntest.«

Mit solchen Worten und auf diese Weise

haben sie sich die Zeit

und die Stunden vertrieben.

Die beiden verbrachten 

erstaunlich viel Zeit miteinander

und dennoch gelang es Achill dabei,

sein Geschlecht zu verbergen,

so dass er nie auch nur daran dachte,

dass er ein Mann war.

Mittwoch, 30. März 2022

16150-16159

und wærest niender als ein wîp

gestellet noch gebildet.

swie vaste dir entwildet

sî menlicher orden,

doch bist dû sêre worden

eim ûz erwelten man gelîch.

alsam ein ritter ellentrîch

bist dû gar wît zen brüsten.

dich möhte wol gelüsten,

daz dû soltest als ein man


und du nicht wie eine Frau 

gebaut und gemacht seist. 

Zwar ist deine Natur

von der Männlichkeit weit entfernt,

doch hast du dich dennoch so entwickelt, 

dass du einem hervorragenden Mann ähnelst.

So wie ein tapferer Ritter

bis du an den Brüsten breit.

Dir würde es sicher gefallen,

wenn du wie ein Mann 


[Es ist immer etwas schwierig, den Natur-Begriff in die Übersetzung zu nehmen, weil man neuzeitliche und moderne Vorstellungen heraufbeschwört.]

Dienstag, 29. März 2022

16140-16149

sô gunde ich dir sîn verre baz,

denn ich ez selbe trüege.

mich dûhte an dir gefüege,

daz dû soltest sîn ein man.

dir stüende ritters orden an

vil baz, denn ez mir tæte.

swer dich in mannes wæte

solte schouwen unde sehen,

der müeste ân allen zwîvel jehen,

dû trüegest einen vrechen lîp


dann würde ich das dir weit mehr gönnen

als mir selbst. 

Mir scheint, dass es dir stehen würde,

wenn du ein Mann wärst.

Du wärst für das Rittertum

viel besser geeignet als ich.

Jeder, der dich in Männerkleidung

sehen und beobachten könnte,

der müsste zweifellos zugeben,

dass dein Körper Tapferkeit ausstrahlt 

Montag, 28. März 2022

16130-16139

des wart diu liebe schamerôt,

als ez gebôt ir kiuscher sin.

bliuclichen sprach si wider in:

›dû redest, daz mir grûset.

ein tumber sin gehûset

hât bî dir, gespile mîn.

möht aber des kein rât gesîn,

diz wunder müeste an uns ergân,

daz unser einiu solte hân

menlichez bilde ân allen haz,


worüber die Liebenswerte vor Scham ganz rot wurde

(wozu ihr Schamgefühl sie zwang).

Schüchtern sagte sie zu ihm:

»Es graust mir vor dem, was du sagst!

Unvernünftige Gedanken haben sich 

bei dir, meine Freundin, eingenistet.

Wenn es aber nicht anders sein könnte

und sich ein solches Wunder an uns zeigen würde,

dass eine von uns beiden, freiwillig und bereitwillig, 

männliche Gestalt haben sollte, 

Freitag, 25. März 2022

16120-16129

daz unser einiu von uns zwein

würd ein liutsælic jungelinc,

sô möhten wir der minne dinc

nâch wunsche wol getrîben.

an herzen unde an lîben

würd uns ein wunneclichez leben

von lieben dingen hie gegeben.‹

Alsô getâne tegedinc

der hovelîche jungelinc

gap der getriuwen unde bôt:


dass eine von uns beiden

ein schöner Junge werden würde,

dann könnten wir die Liebessachen

nach Lust und Laune treiben.

Wir hätten ein wundervolles Leben

und wären fröhlich beschäftigt

mit unseren Herzen und unseren Körpern.‹

Solche Plädoyers 

hielt der in höfischen Dingen erfahrene Junge

gegenüber dem treuen Mädchen,

Donnerstag, 24. März 2022

16110-16119

old aber dû niht bist getân

als ein juncherre, trûtgespil,

dur daz wir hôher wunne vil

mit ein ander solten haben.

wær ich gebildet z’eime knaben

old aber dû, vil reiniu fruht,

daz würde uns ein vil grôz genuht

an fröuderîchen sachen.

hey, kunde ich daz gemachen

und wol gebringen über ein,


oder halt, dass du, Freundin,

kein junger Herr bist,

so dass wir Lust in großer Menge

miteinander haben könnten.

Wäre ich als ein Junge gemacht worden,

oder aber du, süßes Kind,

dann wären wir mit freudigen Angelegenheiten beschäftigt,

und das in Hülle und Fülle.

Schau!, wenn ich das bewerkstelligen könnte

und dafür sorgen könnte,


[Möglicherweise ist die Übersetzung »Lust« für mhd. »wunne« ein wenig zu offensiv.] 

Mittwoch, 23. März 2022

16100-16109

wan dû mich kundest lêren

der fröuden und der sælden hort.

dîn lîp, dîn werc und dîniu wort

gezieret sint mit reiner tugent

sô wol, daz keiserlîchiu jugent

nie baz mit êren wart becleit.

der Wunsch der ist an dich geleit

und alles heiles übermez,

dâ von sô muoz mich riuwen ez,

daz ich niht mannes bilde hân,


denn du wärst in der Lage,

mir Freude zu zeigen und den Schatz göttlichen Heils. 

Du selbst, deine Taten und deine Worte

sind mit makelloser Vortrefflichkeit

so schön geschmückt – selbst das Kind eines Kaisers

war nie mit größerem Ansehen ausgestattet.

Du hast alles, was man sich wünschen kann,

und Glück im Übermaß –

und deshalb bedauere ich es,

dass ich kein Mann bin,

Dienstag, 22. März 2022

16090-16099

sô wol tet im daz tougen

sîn kumberlichez ungemach.

er lie vil siufzen unde sprach

der minneclichen denne zuo:

›ichn weiz, waz ich dar umbe tuo,

daz ich dir bin sô rehte holt.

vür wâr dû mir gelouben solt,

wær ich ein man, des ich niht bin,

ich wolte lîp, herz unde sin

an dich mit stæte kêren,


so gut tat ihm das heimliche Spiel

gegen seine sorgenvolle Betrübnis. 

Er ließ das viele Seufzen sein und sagte

dann zu der Liebenswerten:

›Ich weiß gar nicht, was ich damit anfangen soll,

dass ich so in dich vernarrt bin –

und du kannst mir wirklich glauben:

Wenn ich ein Mann wäre (was ich nicht bin),

würde ich mein Leben, mein Herz und mein Denken

dauerhaft auf dich ausrichten, 

Montag, 21. März 2022

16080-16089

und wart dar under niht sîn wîp,

noch sîn âmîe denne:

des wolte im eteswenne

zerspalten sîn daz herze

und was iedoch sîn smerze

gemischet mit der süezikeit,

daz er die nôt vil sanfte leit,

die sîn gemüete danne enpfienc.

sîn lieht erlasch im und zergienc

vor liebe in sînen ougen:


und wurde dabei nicht seine Frau

und auch nicht seine Geliebte –

was ihm wiederum schier 

sein Herz zerrissen hätte,

wobei aber sein Schmerz

mit der Süße vermischt wurde,

so dass er die Pein, die sein Herz und 

Gemüt erfasste, leicht ertrug.

Vor Freude erlosch und verblasste

sein Feuer seiner Augen –