Freitag, 26. April 2024

19790-19799

des wart er als ein regenboge

geverwet von der minne

der glanzen küneginne,

der schœne durch sîn herze brach.

wan dô sîn ouge ir bilde ersach,

dô was zehant diu minne dâ

und tet im kunt, daz Helenâ

dâ kæme bî den stunden.

swie selten er die blunden

gesehen hete in sînen tagen,


Deshalb färbte er sich wie ein Regenbogen

durch die Liebe 

der glänzenden Königin,

deren Schönheit durch sein Herz brach.

Denn als seine Augen ihr Antlitz erblickten,

da war sogleich die Liebe da

und sagte ihm, dass Helena

jetzt zu ihm komme.

Obgleich er die Blonde noch nie 

in seinem Leben gesehen hatte,

Donnerstag, 25. April 2024

19780-19789

doch wâren si der clâren

an liehter schœnheit ungelîch.

Pârîs der junge künic rîch

wart ir zem êrsten innen,

wan si begunde brinnen

und liuhten in sîn ougen

sô verre sunder lougen,

daz er was der êrste man,

der si von ir kastelle dan

sach komen dô mit ir gezoge:


Doch konnte man diese Frauen 

mit ihrem Strahlen nicht vergleichen.

Paris, der junge, mächtige König,

war der erste, der sie erblickte,

denn sie begann zu strahlen

und in seine Augen zu leuchten

von so weit her, das könnt ihr mir glauben,

dass er der erste der Männer war,

der sie mit ihrem Gefolge 

von ihrem Schloss herbeikommen sah.

Mittwoch, 24. April 2024

19770-19779

si zierte sich enwiderstrît

mit manger hande rîcheit

und fuor des endes unde reit,

dâ si die werden geste vant,

die schœnen lîp und rîch gewant

ouch heten unde truogen.

si wolte ir dinges luogen

und ir geverte schouwen.

si kam mit fünfzic vrouwen,

die wol gezieret wâren;


Sie schmückte sich mit vielerlei Schmuck,

einer schöner als der andere.

und zog dorthin, 

wo sie die edlen Gäste fand,

die ebenfalls schön waren,

körperlich und auch durch ihre Kleidung.

Sie wollte schauen, wie sie sich präsentieren

und welchen Eindruck die Gruppe machte.

Sie kam mit fünfzig edlen Frauen,

die schön geschmückt waren;

Dienstag, 23. April 2024

19760-19769

dô wart diu frouwe minnesam

dar ûf bereit geswinde,

daz si mit ir gesinde

dar in daz tempel kæme

und ouch dâ war genæme

der fremden ritterschefte clâr.

dô man ir seite daz vür wâr,

si wæren schœne und ûz erkorn,

dô hete ungerne si verborn

die reise zuo der hôchgezît.


war die liebenswerte Dame

bald dazu bereit,

mit ihrem Gefolge

in den Tempel zu gehen,

um dort die strahlenden, fremden Ritter

zu sehen.  

Da man ihr versicherte, 

dass sie schön und herausragend seien,

wollte sie ungern auf 

die Reise zum Fest verzichtet.


[Auch in dieser Woche wieder mit großartiger Hilfe meiner Freiburger Studierenden.]

Montag, 22. April 2024

19750-19759

was an ir keiserlichen jugent

und an ir werden lîp gewant.

ouch hete si liut unde lant

und was ein küniginne rîch:

nieman ze Kriechen was gelîch

dem künige Menelâô,

der si ze wîbe hete dô

mit liuterlicher stætikeit.

diu künigîn stolz und gemeit,

dô si Troyære kunft vernam,


die sich in ihrer kaiserlichen Jugend

und ihrem edlen Körper verwirklicht hatten. 

Zudem herrschte sie über Land und Leute

und war eine mächtige Königin. 

Niemand in Griechenland 

konnte mit König Menelaos konkurrieren,

der sie treu und fest

zur Ehefrau hatte.

Als die stolze und lebensfrohe Königin

von der Ankunft der Trojaner hörte, 

Freitag, 19. April 2024

19740-19749

er wolte ir leben unde ir lîp

uns allen z’eime urkünde geben,

sô daz er niemer wîbes leben

für si geschepfen wolte baz.

dô sîn gewalt ir bilde maz,

dô leite er an si manic model.

der pfaffen schrift, der jüden rodel,

und aller Sarrazîne brief

diu sagent von dem wunder tief,

daz von êren und von tugent


Wunsch und Vorstellung wollten uns allen 

mit ihrem Leben und ihrem Körper beurkunden,

dass niemals mehr ein weibliches Geschöpf geschaffen werde,

das besser sei als sie.

Als der Wunsch und die Vorstellung mit ihrer Macht 

ihr Bild entwarfen, griffen sie dafür auf viele Formen und Vorbilder zurück.

Die Schrift der Theologen, die Schriftrollen der Juden

und alle Schriften der Muslime,

sie alle berichten von dem großen Wunder

an Ansehen und Veranlagung, 

Donnerstag, 18. April 2024

19730-19739

gelîch dem wilden adelaren,

der sweimet in den wolken.

swaz ie von wîbes molken

ze fleische und ouch ze beine wart,

daz was ein wint an reiner art

biz an daz spilnde wunder,

daz an ir lac besunder

von ûz erwelter clârheit.

der Wunsch der hete an si geleit

mê flîzes denne ûf alliu wîp.


so wie der wilde Adler,

der in die Wolken aufsteigt.

Alles, was ja aus Muttermilch  

zu Fleisch und Gebein geworden ist,

das war, was den reinen Adel anbelangt, nur ein Wind

im Vergleich zum leuchtenden Wunder,

das sie war –

ein Wunder an beispielloser Schönheit.

Mehr als alle anderen Frauen war sie all das,

was man sich wünschen und vorstellen konnte.