Donnerstag, 16. Mai 2024

19910-19919

als ez gespunnen wære

ûz golde von Ârâbiâ.

sich heten umbe ir ôren dâ

geringelt zwêne löcke reit,

die glizzen âne kunterfeit

reht alse goldes dræte.

ir stirne wandels hæte

niht sô tiure als umbe ein ei.

si truoc der schœnsten ougen zwei,

der ie kein frouwe mê gepflac,


als ob es aus arabischem

Gold gesponnen worden wäre. 

Dort, um ihre Ohren,

hatten sich zwei Locken geringelt,

die so wie echtes Gold

schimmerten.

Ihre Stirn hatte auch nicht

den kleinsten Makel.

Sie hatte zwei wunderschöne Augen,

wie sie noch keine Frau gehabt hat, 

Mittwoch, 15. Mai 2024

19900-19909

Pârîs wart von ir minne

sîn selbes dô beroubet.

ir wunneclichez houbet

daz truoc si zühteclîche enbor

und lie daz von der strâze tor

niht wenken eines hâres breit.

si wolte in schamender bliucheit

dâ kêren in daz betehûs.

ir hâr was crispel unde krûs

und schein sô liehtebære,


Paris wurde durch die Liebe zu ihr

seiner selbst beraubt.

Ihren schönen Kopf

trug sie mit Anstand hoch erhoben

und ließ ihn, als sie von der Straße hereinkam, 

auch nicht um eine Haaresbreite schwanken. 

Schamhaft-schüchtern wollte sie

in den Tempel gehen.

Ihr Haar war gekräuselt und gelockt

und strahlte so glänzend,

Dienstag, 14. Mai 2024

19890-19899

si kêrte vür daz frône

tempel unde wolte drîn.

Pârîs und die gesellen sîn

die stuonden vor den kræmen,

dur daz si war genæmen

ir wunneclichen lîbes.

mit ougen wart nie wîbes

sô rehte vil gewartet;

ouch wart ir gnuoc gezartet

mit herzen und mit sinne.


Sie ging zum heiligen Tempel

und wollte hinein.

Paris und seine Begleiter

standen vor den Markständen,

um sie und ihre Schönheit

anschauen zu können.

Noch nie war eine Frau

mit Augen so viel betrachtet worden;

auch wurde sie mit Herz und Sinnen

sehr liebkost.

Montag, 13. Mai 2024

19880-19889

si kam reht als diu sunne

dort her durliuhteclichen schine

und mit ir in daz tempel hine

wolt alle sterne wîsen.

des dûhte dô Pârîsen,

daz er nie wîp gesæhe

sô lûter noch sô wæhe,

sô diu vil wol getâne.

man sach si zuo dem plâne

erbeizen harte schône.


sie kam als würde die Sonne

dort her mit hellen Strahlen

und mit ihr in den Tempel hinein

alle Sterne geleiten wollen.

Paris hatte den Eindruck, 

noch nie eine Frau gesehen zu haben,

die so rein und so schön war,

wie sie mit ihrer Schönheit.

Man sah, wie sie auf freiem Platz

anmutig vom Pferd abstieg.


[Auch in dieser Woche wieder mit Hilfe meiner Freiburger Studierenden!]

Freitag, 10. Mai 2024

19870-19879

ein wunder z’eime wîbe

und ein erwünschet bilde.

si zierte daz gevilde,

dar über si des mâles reit;

ir schîn den hete si zerspreit

hin unde her, dan unde dar.

ir frouwen minneclichgevar

die wâren schœne und wol gesite;

si fuoren ir des mâles mite

schôn und in spilnder wunne.


ein Wunderwerk einer Frau

und ein Anblick, wie man ihn sich nur wünschen kann.

Sie zierte das Gelände,

über das sie in diesem Moment ritt;

ihren Glanz breitete sie aus,

hin und her, kreuz und quer.

Ihre liebenswert anzusehenden Begleiterinnen

waren schön und charmant;

sie begleiteten sie zu dieser Zeit

auf schön Weise und in vergnügter Freude.

Mittwoch, 8. Mai 2024

19860-19869

erfüllet si mîns herzen gir

an ir vil reinen minne clâr,

sô dunket ez mich allez wâr,

swaz mir von ir liutsælikeit

und von ir tugenden ist geseit.‹

Alsus gedâhte Pârîs,

dô man die küniginne wîs

gezieret sach dort komen her.

si was nâch edels herzen ger

an êren unde an lîbe


Wenn sie mein innerstes Begehren

durch ihre reine, strahlende Liebe erfüllt,

dann scheint mir alles wahr zu sein, was

mir von ihrer Anmutigkeit 

und von ihren Tugenden gesagt wurde.‹

So dachte Paris,

als man die besonnene Königin 

geschmückt dort herkommen sah.

Sie war an Körper und Ansehen 

wie edle Herzen es sich wünschen

Dienstag, 7. Mai 2024

19850-19859

und solte er bilden iemer

geschephen wunneclicher fruht.

an ir lît alliu diu genuht,

die man von êren ie gesach.

Helêne ist aller wunne dach

und aller fröuden klûse,

dar în sich hât ze hûse

heil unde sælden vil gezogen.

Vênus enhât mir niht gelogen,

diu von ir clârheit seite mir.


sich auch nur zu überlegen,

ein schöneres Kind zu schaffen. 

In ihr liegt die Fülle,

allen Ansehens.

Helena ist die höchste Wonne

und eine Rückzugsort aller Freuden, 

wo göttliches Heil und Glück

ihr Zuhause haben. 

Venus hat mich nicht angelogen

die mir von ihrer strahlenden Schönheit erzählt hat.

Montag, 6. Mai 2024

19840-19849

Helêne ist ein erweltez kint

an herzen unde an lîbe,

wan ez enwart von wîbe

nie sô reines niht geborn;

und hete sîn der Wunsch gesworn,

er wolte bilden schœner wîp

und schephen alsô clâren lîp,

als Helenâ mîn frouwe treit;

er müeste brechen sînen eit,

wan er enkünde niemer


Helena ist – innerlich und äußerlich – 

eine unübertreffliche Schönheit,

weil noch nie

eine so vollkommene Frau geboren wurde;

und wenn jemand den Wunsch gehabt hätte zu versprechen,

dass er eine schönere Frau schaffen werde

mit einem so umwerfenden Körper 

wie Helena, meine Dame, ihn hat,

er müsste sein Versprechen brechen,

weil er das nie schaffen würde,

Freitag, 3. Mai 2024

19830-19839

wer mac den glanz geschouwen,

der ûz ir varwe schînet?

geliutert und gefînet

vor wandel ist ir reiner lîp.

nû gênt eht slâfen alliu wîp

und tuon sich under an ir lobe.

Helêne vert in allen obe

an êren unde an werdekeit;

Helêne ir aller spiegel treit,

diu vrouwen heizent unde sint;


Die Schönheit, die sie ausstrahlt,

überfordert jeden!

Frei von Fehlern

und jedem Makel ist ihr reiner Körper.

Den Vergleich mit ihr

kann keine Frauen gewinnen.

Helena übertrifft sie alle

an Ehre und an Würde.

Helena ist das Vorbild für alle, 

die sich als Frauen identifizieren.

Donnerstag, 2. Mai 2024

19820-19829

daz allez ist ein kunterfeit

biz an den wunderlichen flîz,

den er ân allen itewîz

an ir figûren hât gewant.

ein wildez wunder hât sîn hant

mit vlîze an ir gebildet;

ir schœnheit überwildet

und überwundert allen schîn,

der von clârheite mac gesîn

an wîben unde an frouwen.


die sind ein bloßes Trugbild

angesichts der unbegreiflichen Mühe

die er für sie – und an ihr – aufgewandt hat,

ganz ohne Fehler oder Makel.  

Eine noch nie gesehene Wundertat 

hat seine Hand mit großem Aufwand an ihr vollbracht.

Ihre Schönheit übertrifft

und überwältigt allen Glanz,

der von herrlichen 

Frauen und Damen ausgeht.