Freitag, 18. Dezember 2015

4211-4220

ein ander zuo der erden nider;
dan unde dar, hin unde wider
begunden si dô wenken
und mit den armen swenken
al umb und umb ein ander.
alsam der salamander
sich brennet in der glüete,
alsô bran ir gemüete
in zorne bî der wîle.
si giengen dâ ze bîle,

nieder auf die Erde stürzen.
Vor und zurück – und hin und her
begannen sie da zu wanken
und mit den Armen zu rudern
ganz eng und engumschlungen.
So wie der Salamander
im Feuer brennt (und nicht verbrennt),
ganz so brannte ihr Wille
zu dieser Zeit im Zorn.
Da stürzten sie sich in den Kampf, 

[Das dürfte das erste Mal sein, dass ich eine Erläuterung hinzufüge, da der Text ansonsten missverständlich wäre – schließlich (ver)brennt der Salamander (laut Augustinus) nicht, sondern kann im Feuer überleben.]

4201-4210

zer erden möhte bringen.
alsus begund er ringen
mit dem vil hôhen künige wert,
der ouch von im schilt unde swert
warf zuo dem plâne grüene
und als ein ritter küene
sich werte ringende alzehant.
sîn arme wurden ouch gewant
umb sînen kampfgesellen.
si wolten beide vellen

zu Fall zu bringen.
So fing er an, mit dem
angesehenen, hochwürdigen König zu ringen,
der ebenfalls Schild und Schwert
von sich warf auf das grüne Feld
und wie ein kühner Ritter
sich sogleich ringend wehrte.
Seine Arme wurden ebenfalls
um seinen Kampfpartner geschlungen.
Sie wollten beide einander

Mittwoch, 16. Dezember 2015

4191-4200

und wart ûf springen niht ze laz.
ern tete weder wirs noch baz,
wan daz er spranc ze Pêleô.
daz swert daz underlief er dô
dem jungelinge wîte erkant
und umbegreif in alzehant
mit armen und mit henden.
er wolte dar zuo wenden
herz unde kraft die beide,
daz er in ûf der heide

und zögerte nicht beim Aufspringen.
Er konnte nichts Besseres oder Schlechteres tun,
als zu Peleus zu springen.
Dem Schwertschlag des weithin bekannten
jungen Mannes entkam er damit
und er umschloss ihn sogleich
mit Armen und mit Händen.
Er wollte beides, Herz
und Kraft, darauf verwenden,
ihn auf der Heide

[Vers 4192 verstehe ich nicht so recht – die Übersetzung scheint mir inhaltlich am sinnvollsten zu sein.]

Dienstag, 15. Dezember 2015

4181-4190

wâfene unde geste:
dâ von ein wille veste
wart gegeben Hectorî.
dô sîn ouge im nâhe bî
sach werde vrouwen sitzen,
seht, dô begunde erhitzen
sîn herze schiere ûf den gedanc,
daz er vermezzenlîche ûf spranc.
Und er kam ze muote wider,
swert unde schilt warf er dâ nider,

bewaffne und sie sich zum Freund mache.
Hierdurch erhielt Hector
einen starken Willen:
Als sein Blick nahe bei ihm
angesehene Damen sitzen sah,
seht, da begann sein Herz
sich sogleich für den Gedanken zu erhitzen,
kühn aufzuspringen –
und er schöpfte wieder Mut;
Schwert und Schild warf er da zu Boden

Montag, 14. Dezember 2015

4171-4180

ûf einen sigerîchen muot.
ze strîte wart nie niht sô guot,
sô daz man schœne vrouwen sehe
und mit des herzen ougen spehe
ir triuwe und ir bescheidenheit.
ez ist ein rîlich wâpencleit
vür zegelich gemüete,
daz man der wîbe güete
leg an des herzen sinne
und man sich mit ir minne

um siegesgewiss gestimmt zu sein.
Es gab im Kampf nie etwas Besseres,
als schöne Damen zu sehen,
und mit den Augen des Herzens
ihre Treue und ihre Urteilsfähigkeit zu schauen.
Eine herrliche Rüstung ist es, dass man,
wenn man verzagt gestimmt ist,
die Vortrefflichkeit der Frauen
der Gesinnung des Herzens zugeselle
und man sich mit ihrer Minne

Freitag, 11. Dezember 2015

4161-4170

sach die schœnen vrouwen an,
dar umb er niuwe kraft gewan
und einen ellentrîchen muot.
ir bilde lûter unde guot
gap im dô veste sinne,
wan er begunde ir minne
betrahten und ir süezen lîp.
swer noch beginnet reiniu wîp
bedenken unde merken,
der wil sîn herze sterken

sah die schönen Damen an und
deshalb schöpfte er neue Kraft
und geriet in eine unerschrockene Stimmung.
Ihre reine und gute Erscheinung
gab ihm da eine feste Haltung,
denn er fing an, ihre Minne
zu betrachten und ihre süße Gestalt.
Jeder, der einmal anfängt, seine Gedanken
auf reine Frauen zu richten und sie zu beachten,
der will sein Herz stärken

Donnerstag, 10. Dezember 2015

4151-4160

aber schiere ûf einen slac.
daz swert daz bürter unde wac
mit beiden henden ûf als ê.
swie sich der jungelinc iht mê
gesûmet hæte langer,
sô müeste er ûf dem anger
tôt gelegen sîn bî namen.
dô begunde er sich des schamen,
daz er gestrûchet hæte.
der edele und der stæte

auf einen Schwertschlag vorbereitet.
Das Schwert, das hielt er immer noch
mit beiden Händen hoch und in Bewegung.
Wenn der junge Mann kein bisschen
länger gezögert hätte,
dann hätte er wahrlich tot
auf dem Rasen liegen müssen.
Da fing er an, sich darüber zu schämen,
dass er zu Fall gekommen war.
Der Edle und Anständige

[Gehört die Proklise »bürter« zu »bürden«?]

Mittwoch, 9. Dezember 2015

4141-4150

mit jâmer si dâ wunden.
in fluzzen bî den stunden
die trehene ûz den ougen;
wan si des âne lougen
heten beide wol gesworn,
er müeste hân den lîp verlorn.
Ouch dûhte an sînem valle
die werden ritter alle,
er wære sigelôs geleit,
wan Pêleus der wart bereit

wanden sie sogleich schmerzerfüllt.
Ihnen flossen in diesem Moment
die Tränen aus den Augen,
hätten sie beide doch sicherlich
ohne zu lügen geschworen,
dass er sein Leben hätte verlieren müssen.
Auch hatten die angesehenen Ritter alle
angesichts seines Falls den Eindruck,
dass er verloren habe,
immerhin war Peleus sogleich wieder

[Um das »winden« der Hände als Klagegestus kommt man in der Übersetzung wohl kaum herum. Oder sollte man »krümmen« o.ä. übersetzen?]

Dienstag, 8. Dezember 2015

4131-4140

daz Hector was gestrûchet hin;
wan si gedâhten under in,
er wære sigelôs erkant:
dâ von ir herze wart gemant
ûf ein hôchgemüete alsus.
dâ wider trûrte Vênus
und sîn muoter Ekubâ.
die sâzen jæmerlichen dâ,
wan si von leide wâren bleich.
ir hende lûter unde weich

dass Hector hingesunken war;
denn sie waren übereinstimmend der Meinung,
dass er zum Verlierer bestimmt würde:
angesichts dessen wurde ihr Herz derart
in einen Zustand der Freude versetzt.
Demgegenüber zeigte Venus Trauer –
wie auch seine Mutter Ekuba.
Die saßen dort schmerzerfüllt –
waren sie doch vor Leid ganz bleich.
Ihre reinen und weichen Hände

[Das »alsus« bereitet mir Kopfzerbrechen und ist nicht gut übersetzt, befürchte ich.]

Montag, 7. Dezember 2015

4121-4130

sô krefteclîche ûf sînen helm,
daz im des rôten fiures melm
kam in die lüfte drûz geflogen
und der künic wol gezogen
strûchte nider ûf diu knie.
der slac im alsô nâhe gie,
daz er vil nâch verdorben was.
des vröute sich vrô Pallas
und ir gespil, vrô Jûne.
si dûhte ein sælic lûne,

so kräftig auf seinen Helm,
dass Funken roten Feuers
daraus in die Luft geflogen kamen
und der wohlerzogene König
auf die Knie niedersank.
Der Schlag traf ihn so unmittelbar,
dass er beinahe umbekommen wäre.
Darüber freute sich frau Pallas
und ihre Genossin, Frau Juno.
Es schien ihr ein günstiger Glücksfall zu sein, 

Freitag, 4. Dezember 2015

4111-4120

noch balder, denne ein snellez wilt.
ze rücke schielt er sînen schilt
und kam vermezzenlichen wider
ûf in geloufen aber sider
mit eime gæhen sprunge.
der hôchgeborne junge
begunde an in genenden.
er gap ze beiden henden
daz edele und daz guote swert
und sluoc den hôhen künic wert

geschwinder noch als ein schnelles, wildes Tier.
Auf den Rücken stieß er seinen Schild
und dann lief er ihn danach wieder  
wagemutig an
mit einem ungestümen Sprung.
der junge, hochgeborne,
fing an, Mut zu fassen gegen ihn.  
Er nahm in beide Hände
das edle, das gute Schwert
und schlug den hohen, angesehenen König

Donnerstag, 3. Dezember 2015

4101-4110

dô man sô grimmeclichen drasch
ûf den rîlichen harnasch,
der sam ein spiegel was gevar.
si sluogen dar und aber dar
ûf die gezierten schilte,
biz Hector der milte
kam ze grimmer swære;
wan Pêleus der mære
sîn ze leide niht vergaz.
er spranc von im her dane baz

als man so wütend eindrosch
auf den kostbaren Harnisch,
der farblich einem Spiegel glich.
Sie schlugen zu und wieder zu
auf die geschmückten Schilde,
bis Hector, der Freigiebige,
in furchtbare Bedrängnis geriet,
weil Peleus, der Berühmte,
nicht vergessen hatte, ihm zu schaden.
Er sprang von ihm weit weg,

Mittwoch, 2. Dezember 2015

4091-4100

als ich dâ vorne hân geseit,
daz kein wâfen si versneit,
noch verschrôten kunde.
dâ von si bî der stunde
vil deste langer vâhten.
si sluogen unde brâhten
mit den scharpfen clingen
niht anders ûz den ringen,
wan des wilden fiures heiz.
des lûhte dâ vil unde gleiz,

wie ich oben gesagt habe,
dass sie keine Waffe zerschneiden
oder zerhauen konnte.
So kam es, dass sie damals
umso viel länger kämpften.
Sie schlugen und brachten
mit den scharfen Klingen
nichts anderes aus den Ringen heraus
als wildes, heißes Feuer.
Viel davon leuchtete dort und glühte,

Dienstag, 1. Dezember 2015

4081-4090

enpfiengen und begriffen.
diu swert vil wol gesliffen
schrieten spæne vil dervon;
wand in mit slegen tet gedon
ir vil scherpfiu snîde.
iedoch wart daz gesmîde
niht verschrôten, noch entwert.
swie vil getengelt und gebert
ûf die stahelringe wart,
sô wâren si doch von der art,

empfiengen und davontrugen.
Die sehr gut geschliffenen Schwerter
schlugen daraus viele Späne –
denn ihnen bereiteten die Schläge ihrer
sehr scharfen Klingen Mühe.
Allerdings wurde das Metall
nicht zerhauen oder unbrauchbar gemacht.
Ganz egal wie viel auch auf die Stahlringe
gehämmert und geschlagen wurde,
sie hatten die Eigenschaft,

Montag, 30. November 2015

4071-4080

der schœnste, den man ie gesach.
si truogen bitter ungemach;
wan in von kampfe wart sô heiz,
daz in der angestbære sweiz
dur die stahelringe flôz.
reht als ûf einen anebôz
getengelt wirt von eime smide,
sus wart von in zwein âne vride
geslagen ûf die schilte glanz,
die von ir henden manigen schranz

den schönsten, den man jemals gesehen hat.
Sie hatten bittere Unannehmlichkeiten zu schultern,
denn ihnen wurde vom Kämpfen so heiß,
dass ihnen der angesterfüllte Schweiß
durch die Stahlringe floss.
Ganz so wie auf einem Amboss
von einem Schmied gehämmert wird,
so wurde von ihnen beiden ohne Waffenruhe
auf die glänzenden Schilde geschlagen,
die von ihren Händen so manche Scharte

Freitag, 20. November 2015

4061-4070

dô wart sîn herze des ermant,
daz er sich warf dar abe zehant
und ûf den plân ze fuoze kam.
daz ors vrech unde lobesam
liez er belîben under wegen
und îlte ûf Pêleum, den degen,
der gegen im spranc unde schreit.
si wâren ûf dem plâne breit
beide von den orsen komen:
des wart ze fuoze ein strît vernomen,

da spornte ihn sein Herz dazu an,
dass er sogleich hinab sprang
und zu Fuß auf den Kampfplatz kam.
Das tapfere und lobenswerte Pferd
ließ er stehen
und stürmte zu Peleus, den Kämpfer,
der auf ihn zu sprang und beharrlich näher kam.
Beide waren sie auf dem breiten Kampfplatz
von ihren Pferden heruntergekommen,
deshalb hat man einen Kampf zu Fuß gehört,

[Mit »schrîten« dürfte hier vor allem die Beharrlichkeit und Gleichmäßigkeit das Vorwärtsgehens betont werden. Der letzte Vers ist mir nicht ganz klar; wird hier in eine Beobachterperspektive gewechselt?]

Donnerstag, 19. November 2015

4051-4060

dâ von ez hinder sich entweich,
dô man im alsô manigen streich
an drüzzel und an ougen sluoc.
ungerne ez in dô fürbaz truoc
an Pêleum den werden,
der ûf des plânes erden
sich werte vrevelichen dô.
nû daz Hector sus noch sô
mohte ûf in daz ors gejagen
und ez niht wolte in zuo im tragen,

deshalb wich es zurück,
als man ihm so manchen Schwertstreich
an Schnauze und Augen schlug.
Es trug ihn ungern vorwärts
gegen Peleus, den Angesehenen,
der sich da auf der Erde des Kampfplatzes
tapfer wehrte.
Als es nun Hector mit keinen Mitteln
mehr gelang, das Pferd auf ihn zu jagen
und es ihn nicht zu ihm tragen wollte,

[»sus noch sô« lässt sich bestimmt besser übersetzen…]

Mittwoch, 18. November 2015

4041-4050

sô müeste er sîn gelegen tôt.
daz swert er ie dem orse bôt
engegen, swenne ez ûf in dranc
und tet im alsô manigen swanc
zen ougen und sô manigen stich,
daz ez begunde hinder sich
entwîchen unde dringen
und ez für sich getwingen
Hector niht mohte, als ich ez las.
daz ors ein wênic schiuhe was,

so hätte er tot zu Boden gehen müssen.
Das Schwert reckte er stets dem Pferd
entgegen, wann immer es ihn anritt
und er versetzte ihm so manchen Schlag
gegen die Augen und gar manchen Stich,
so dass es begann, zurückzudrängen
und zurückzuweichen –
und Hector war, wie ich gelesen habe,
nicht in der Lage, ihm seinen Willen aufzuzwingen.
Das Pferd war ein wenig scheu,

Dienstag, 17. November 2015

4031-4040

ûf die wîte dort hin dan;
dô reit in Hector aber an
und wolt in slahen mit gewalt,
des werte sich der kempfe balt.
Swaz er des schiltes dennoch truoc,
daz hielt er für sich unde sluoc
dem kampfgenôzen sîn engegen,
der ûf in dâ mit swertes slegen
wolte gerne hân gebert.
het er sich balde niht gewert,

in den freien, offenen Raum entwischt –
da ritt ihn Hector erneut an
und wollte ihn mit aller Kraft treffen;
dagegen wehrte sich der mutige Kämpfer.
Alles, was er zu diesem Zeitpunkt noch an Schild hatte,
das hielt er vor sich und schlug
nach seinem Kampfgenossen,
der dort gerne mit Schwüngen des Schwertes
auf ihn einschlagen wollte.
Hätte er sich nicht sogleich gewehrt,

Montag, 16. November 2015

4021-4030

vür sîn ougen im dâ wiel.
er strûchte für sich unde viel
zuo der plânîe tôt dernider.
Hector daz swert vil kûme wider
ûz dem kopfe dâ gezôch.
waz tet dô Pêleus? er flôch
ab dem tôten orse enwec.
der kempfe biderbe unde quec
warf sich ûz dem satelbogen
und hete schiere sich gezogen

vor seine Augen.
Es strauchelte, sank hinab und fiel
auf den Kampflatz tot zu Boden.
Hector hatte da das Schwert mit Mühe wieder
aus dem Kopf gezogen.
Was tat dann Peleus? Er flüchtete,
weg von dem toten Pferd.
Der mutige und tüchtige Kämpfer 
warf sich aus dem Sattel
und wäre sogleich

[Müsste man »satelbogen« mit einem Spezialbegriff übersetzen?]

Donnerstag, 12. November 2015

4011-4020

ab sînem schilte nider spranc
und daz swert dem orse dranc
in sînen schedel hin zetal.
durch tehtier und durch hirneschal
vil tiefen ganc ez dâ begreif;
wan ez sô vaste nider sleif,
dô der schilt den slac enphienc,
daz sîn vil scharpfiu snîde gienc
dem orse guot durch sînen gebel.
dâ von des heizen bluotes nebel

von seinem Schild zu Boden splitterte
und das Schwert gen Erdboden
in den Schädel des Pferdes stieß.  
Durch den Kopfschutz des Pferdes und durch
die Hirnschale nahm es da seinen gar tiefen Weg –
denn es glitt so weit hinab,
als der Schild den Schlag empfieng,
dass seine überaus scharfe Schneide
dem Pferd glatt durch seinen Schädel ging.
Deshalb strömte da der Nebel des heißen Blutes

Mittwoch, 11. November 2015

4001-4010

gehouwen daz cleinœte wart.
die künige junc von hôher art
nû daz si lange alsus gestriten
und doch ir verhes niht versniten,
dô kam ez von geschiht alsô,
daz Hector, der küene, dô
nâch hôhem prîse tiefe gruop.
daz swert er mit der hende ûf huop
und sluoc ez dar ûf Pêleum
sô vaste, daz ein michel drum

wurden die Kostbarkeiten abgeschlagen.
Die Könige – jung, aus vornehmen Geschlecht –;
als sie lange derart gekämpft hatten
und sich dennoch nicht verletzt hatten,
da passierte es unwillkürlich,
dass plötzlich Hector, der mutige, 
für hohes Ansehen tief schürfte:
Hoch hob er das Schwert mit der Hand
und schlug es hinab auf Peleus –
so kräftig, dass ein großes Stück

Dienstag, 10. November 2015

3991-4000

an der bluomen stat gesât,
daz ab der küniclichen wât
geschrôten wart mit nîde.
der purper und diu sîde
wurden sêre engenzet.
ir wâpencleit zerschrenzet
wart von swertes orten.
die wol gesteinten borten
dâ vielen zuo dem melme;
von ir zweiger helme

an die Stelle der Blumen gesät;
das wurde von der königlichen Kleidung
mit Hass abgehauen.
Der Purpur und die Seide
wurden ungemein verwüstet.
Ihre Wappenkleider wurden von
Schwertspitzen zerrissen.
Die schön mit Edelsteinen besetzten
Kanten der Stoffe fielen dort in den Staub;
von ihren beiden Helmen

Montag, 9. November 2015

3981-3990

daz nie gevâhten zwêne man
sô strîteclîche ein ander an,
sam si dô tâten beide.
si mahten ûf der heide
gras in dem ringe tiure.
swaz Meige ûf die plâniure
bluomen hete dô gezetet,
die wurden von in zwein vertretet
und von ir snellen orsen vrech.
doch wart von golde manic blech

dass niemals zwei Männer
so streiteifrig aufeinander losgingen
wie es dort die beiden taten.
Sie sorgten dafür, dass in dem Kreis
auf der Heide das Gras Seltenheitswert hatte.
Was auch immer der Mai auf die Aue
an Blumen ausgestreut hatte,
die wurden von ihnen beiden zertreten
und von ihren schnellen, kühnen Pferden.
Allerdings wurde manches goldene Blech

Dienstag, 3. November 2015

3971-3980

wan in wart vil heiz getân.
ab den schilten manic spân
wart geströuwet ûf die wisen,
dar ûz erwelte steine risen
und edel golt durliuhtic rôt.
si tâten beide ein ander nôt
mit scharpfen swerten liehtgevar,
des nâmen die götinne war
mit vlîzeclichen ougen.
diu rede ist âne lougen,

denn sie wurden zu großer Hitze angetrieben.
Von den Schilden wurde mancher Holzspan
auf die Wiese verstreut,
daraus fielen erlesene Edelsteine
und edles, ganz rotglänzendes Gold.
Sie brachten sich beide in Nöten
mit scharfen, hellstrahlenden Schwertern.
Das nahmen die Göttinnen
mit aufmerksamen Augen wahr.
Es ist keine Lüge, zu sagen,

Montag, 2. November 2015

3961-3970

ûz dem gesmîde sprungen.
ir slege lûte erklungen
ûf berge und in die lüfte.
nâch hôher sigenüfte
stuont ir wille und ir gedanc.
Hector nâch liehtem prîse ranc,
daz selbe tet ouch Pêleus.
nû dar, nû dan, nû sô, nû sus
kêrten si des strîtes kampf.
von den orsen rouch ein tampf,

aus dem Metall sprangen.
Ihre Schläge erschallten laut
gen den Bergen und in die Lüfte.
Auf einen großen Triumph
waren ihr Wille und ihre Gedanken gerichtet.
Hector bemühte sich um einen strahlenden Sieg
und genau das tat auch Peleus.
Jetzt hin, jetzt her, jetzt dies, jetzt das –
so führten sie das Zweikampf-Aufeinandertreffen.
Von den Pferden dampfte Rauch auf,

Freitag, 30. Oktober 2015

3951-3960

mit herzen und mit handen,
dur daz in manigen landen
ir lop ze liehte würde brâht.
si wâren sêre ûf strît verdâht
und ûf werde ritterschaft;
wan si mohten heldes kraft
beide wol geleisten.
si sluogen, daz die gneisten
des wilden fiures dicke,
alsam die donreblicke,

mit Herz und Händen,
so dass in vielen Ländern
ihr Lob ans Licht gebracht würde.
Sie waren gedanklich voll auf den Kampf fixiert
und auf ehrenvolle Ritterschaft,
denn beide konnten sie gewiss
Heldenkräfte aufbringen.
Sie schlugen, dass die Funken
des wilden Feuers oft
wie die Blitzstrahlen

Donnerstag, 29. Oktober 2015

3941-3950

erhuoben sunder twâle.
si twungen zuo dem mâle
vür sich die schilte beide
und vâhten ûf der heide
mit ein ander sêre.
nâch edels herzen lêre
sluogen si dâ manigen slac,
der nâhe zuo dem lîbe wac
und ûf den grunt der sinne.
si wurben nâch gewinne

zu beginnen ohne zu zögern.
Sie hielten dann fest
vor sich beide Schilde
und kämpften auf der Heide
heftig miteinander.
So wie es ein edles Herz lehrt,
schlugen sie dort manchen Schlag,
der nahe an den Körper reichte
und bis zum Fundament der Lebenskraft.  
Sie wollten den Sieg erringen,

[Meint »lîp« hier »Leben« oder »Körper« oder beides? Ich übersetze »sin« hier mit »Lebenskraft«, weil mir »Bewusstsein« oder »Geist« zu mehrdeutig sind.]

Mittwoch, 28. Oktober 2015

3931-3940

sô vaste mit den scheften,
daz von ir stiches kreften
die lanzen beide sich ercluben
und in diu wolken ûfe stuben
die schivern und die sprîzen.
dar nach begunden vlîzen
sich die kempfen hôchgeborn,
daz si diu swert vil ûz erkorn
zuhten ab den sîten
und dâ mite ein strîten

so fest mit den Lanzenstangen,
das von der Kraft ihrer Stöße
beide Lanzen sich spalteten
und in die Wolken hinaufwirbelten,
die Holzstücke und die Lanzensplitter.
Danach begannen die 
hochgebornen Kämpfer sich darum zu bemühen,
die ganz ausgezeichneten Schwerter
an ihrer Hüfte zu ziehen
und damit einen Kampf

Dienstag, 27. Oktober 2015

3921-3930

Ir wille stuont ûf kampfes bîl.
si kâmen snurrend als ein pfîl,
der snellet ûz der nüzze.
man seit, daz nie geschüzze
sô balde ein tracke wilde,
sô drâte ir zweiger bilde
kam ûf den orsen dar geflogen.
dâ von diu sper enzwei gebogen
wurden ûf dem wâfen.
ein ander si dâ trâfen

Auf das Kämpfen war ihr Wollen gerichtet.
So wie ein Pfeil surrt, der aus der Armbrust
schnellt – so kamen sie.
Man sagt, dass ein wilder Drache
niemals so schnell geschossen hat,
so schnell wie ihre beiden Gestalten
auf den Pferden dorthin geflogen kamen.
Deshalb wurden die Lanzen auf
den Rüstungen entzweigebogen.
Sie trafen dort einander

[Im BMZ heißt es zu »Nuz«: »der einschnitt in der armbrust, in den beim spannen die sehne gelegt wird.« Ich bin mir nicht sicher, ob »surren« hier dem Geräusch entspricht.]

Montag, 26. Oktober 2015

3911-3920

und îlte Pêleus dort her.
gesenket heten si diu sper
ein wênic vorne hin ze tal,
si zwêne wâren über al
gar ûzer mâzen ellentrîch
und beide ein ander sô gelîch
an hôher mannes crefte,
daz in der ritterschefte
gezwîvelt wart, wer under in
die sigenuft dâ fuorte hin.

und Peleus eilte von dort herbei.
Sie hatten die Lanzen
vorne ein wenig zu Boden gesenkt.
Die beiden waren durch und durch und
über alle Maßen tapfer;
und beide waren einander so ähnlich
an großer Manneskraft,
dass in der Ritterschaft
Unsicherheit herrschte, wer von ihnen
dort den Sieg davontragen werde.

Freitag, 23. Oktober 2015

3901-3910

balder, dan si kæmen fluges;
wan in wart des widerzuges
an ir loufe gar verzigen.
ich wæne, daz si niht enswigen;
si schrîten unde grâzeten.
die kempfen ebene mâzeten,
daz si durch daz gewæfen
ein ander beide træfen
und sich versêrten under in.
Hector der kom griuschet hin

mehr als dass sie beständig gelaufen wären –
denn sie wurden in ihrem Laufen
nicht durch gezogene Zügel gehemmt.
Mir scheint – und das soll nicht verschwiegen sein:
sie schrien und tobten.
Die Kämpfer konnten klar damit rechnen,
dass sie beide mit den Waffen
einander treffen
und sich gegenseitig verletzen würden.
Hector, der kam dorthin gerauscht

[»fluges« entspricht wohl nhd. »flugs«, wofür das Grimm’sche Wörterbuch u.a. »statim« als lat. Äquivalent angibt; das wiederum lässt sich auch mit »beständig, regelmäßig« übersetzen; und diese Übersetzung scheint mir sinnvoll und verständlich zu sein.

Ich war kurz davor, »grâzen« mit »grasen« zu übersetzen. Ein Blick in den Lexer belehrt: »leidenschaftliche erregung durch laute oder gebärden ausdrücken, schreien, aufschreien, wüten, sich übermütig od. anmasslich gebärden (von pferden u. menschen)«.]

Donnerstag, 22. Oktober 2015

3891-3900

den heten si verhenget.
si wurden beide ersprenget
mit grimmen und mit scharpfen sporn.
die zwêne kempfen hôchgeborn
verhiewen si zen sîten
sô vaste bî den zîten,
daz beide bluot, schûm und sweiz
ab in dâ nider in den creiz
flôz und begunde triefen.
si sprungen unde liefen

die ließen sie frei laufen.
Sie sorgten dafür, dass beide aufeinander losstürmten
mit wildem Ungestüm und mit scharfen Sporen.
Die beiden hochgeborenen Kämpfer
schlugen sie dann so sehr
an den Seiten wund,
dass sowohl Blut, Schaum und auch Schweiß
von ihnen hinab in den Ring
floss und zu triefen begann.
Sie sprangen und rannten

Mittwoch, 21. Oktober 2015

3881-3890

dar umbe sînen lebetagen
und man ez lieze bî den tagen
belîben sunder allen zorn:
des heten bêdenthalp gesworn
die besten ûf ir eide.
die kampfgesellen beide
ze strîte kêrten alzehant;
si kâmen ûf den plân gerant,
gezieret nâch dem wunsche gar.
den orsen wunneclichgevar

deshalb sein Leben verlöre
und dass man die Sache schnell
auf sich beruhen lasse, ohne jeden Zorn.
Das hatten die Besten auf beiden Seiten
mit ihrem Eid geschworen.
Die beiden Kämpfer
zogen bald zum Waffengang.
Sie kamen auf den Platz gerannt und waren ganz und gar so
geschmückt, wie man es sich nur wünschen kann.
Die Pferde, mit ihren herrlichen Farben,

Dienstag, 20. Oktober 2015

3871-3880

dâ stille an dem gestüele
und ûf dem wîten brüele
die ritter machten einen creiz,
in dem ir zweiger puneiz
und ir vehten solte ergân.
ein sicherheit diu was getân
mit bürgen und mit eiden,
ob einer von in beiden
ein bitterlichez ende küre,
daz nieman anders dâ verlüre

still auf den Stühlen saßen
und auf der weiten Aue
bildeten die Ritter einen Kreis,
in dem ihr Lanzenstechen
und ihr Kämpfen stattfinden sollte.
Eine Verpflichtung ging man ein
mit Bürgen und Eiden:
Wenn einer von ihnen beiden
ein bitteres Ende nähme,
dass niemand sonst dort

Montag, 19. Oktober 2015

3861-3870

den kampf, der solte dô geschehen.
man hete ungerne dâ gesehen
ein cleit swach unde virne.
dâ gleiz als ein gestirne
golt unde lieht gesteine,
daz manic wilde feine
des mâles an ir wæte
und an ir lîbe hæte.
Nû wart zehant geschicket daz,
daz iegelîchiu frouwe saz

der dort stattfinden sollte.
Man hätte da ungern ein
schlechtes und altes Kleidungsstück gesehen.
Dort strahlten wie der Sternenhimmel
Gold und glänzende Steine,
die so manche wilde Fee
damals an ihrer Kleidung
und ihrem Körper hatte.
Nun wurde sogleich dafür Sorge getragen,
dass alle Damen dort

Freitag, 16. Oktober 2015

3851-3860

sîn ors von wunneclicher art.
dekeines nie sô vrevel wart,
noch sô gar unmâzen snel;
sîn hût diu was im und daz vel
ze brûn enweder, noch ze blanc;
ez hete volleclichen ganc
und einen vrechen starken lîp.
dâ sâzen wunneclîchiu wîp
und wol gezierte vrouwen,
die gerne wolten schouwen

sein Pferd und dessen anmutiges Wesen.
Noch nie war eines so unerschrocken
oder so ganz außerordentlich schnell.
Seine Haut und sein Fell
waren weder zu braun noch zu hell.
Es hatte einen vollen Gang
und einen kräftigen, starken Körper.
Es saßen dort bezaubernde Frauen
und schön zurechtgemachte Damen,
die gerne dem Kampf zusehen wollten,

[Was bedeutet es, dass ein Pferd einen »vollen« Gang hat?]

Donnerstag, 15. Oktober 2015

3841-3850

mit dem erwelten glanze sîn.
ez was gar lûter silberîn
und hete sunder lougen
zwei wunneclicher ougen,
danne ie wurden gewunnen.
ûz sîme kopfe brunnen
zwêne karvunkelsteine.
seht, alsô kam der reine
Pêleus ze velde,
mit worten ich iu melde

mit seinem auserwählten Glanz.
Es war ganz aus geläutertem Silber
und hatte – das ist wahr! –
zwei Augen, die herrlicher waren
als alle, die es je gab.
Aus seinem Kopf glühten
zwei Karfunkelsteine.
Schaut, so kam der makellose
Peleus auf den Platz.
Mit Worten kündige ich euch an:

Mittwoch, 14. Oktober 2015

3831-3840

mohte an im der künic rîch.
dem wâpencleide was gelîch
der schilt, den er des mâles truoc.
ein cleinœt edel unde cluoc
daz fuort er bî den stunden.
ûf sînen helm gebunden
was im ein halber adelar,
daz oberteil daz fuort er gar
mit vetechen und mit houpte,
daz manigen leides roupte

mächtige König hohes Ansehen einher.
Dem Wappenkleid entsprach
der Schild, den er damals trug.
Eine Kostbarkeit, zierlich und exquisit,
die trug er zu dieser Zeit:
Auf seinem Helm war ihm ein
halber Adler gebunden,
das Oberteil, das trug er vollständig,
mit Kopf und Fittichen;
damit wurden einiges an Leid geraubt

Dienstag, 13. Oktober 2015

3821-3830

was der junctûre decke,
der underschiet die wecke
mit sînem glanzen schîne.
smâragden und rubîne
gleiz dar ûz ein wunder.
ein adelar besunder
in iegelichem wegge was,
der lûhte sam ein spiegelglas
und was von silber drîn geslagen.
die wât mit hôhen êren tragen

bedeckte die Fuge
und trennte die keilförmigen Stücke
mit seinem strahlenden Glanz.
Unglaubliche Smaragde und Rubine
glänzten von dort her.
Jeweils ein Adler
war in jedem keilförmigen Stück
und er leuchtete wie ein Spiegel
und war aus Silber dort hineingeschmiedet.
Mit der Bekleidung, die er trug, ging für den

[»spiegelglas« meint wohl einen besonders hochwertigen Spiegel. Sollte man versuchen, die Hochwertigkeit des Spiegels zu übersetzen?]

Montag, 12. Oktober 2015

3811-3820

swenn er ze strîte ruorte.
waz wâpencleit er fuorte,
daz enmac ich niht verheln.
von zobele wârens' und ûz keln
gesniten weggeht under ein,
sô daz dâ swarz bî rôtem schein
an dem rîlichen cleide.
doch was ein underscheide
zwischen den weggen und der nât.
ûz golde ein bendel wol gedrât

immer wenn er zum Kampf sich in Bewegung setzte.
Was für ein Wappenkleit er trug,
das will ich nicht verheimlichen.
Aus Zobel war es und aus dem Kehlstück
keilförmig ineinander geschnitten,
so dass da das Schwarz beim Rot glänzte
an dem kostbaren Gewand.
Doch gab es einen Abstand
zwischen den keilförmigen Stücken und der Naht.
Ein sorgfältig gedrehtes Bändchen aus Gold

[Bei der »keln« handelt es sich laut Lexer um das (rotfarbige) Kehlstück am Pelz.]

Freitag, 9. Oktober 2015

3801-3810

lieht unde wunneclich getân,
die worhte ein smit, hiez Volkân,
der was ein meister aller smide.
in eines tracken unslide
gemischet mit der gallen
und ob der glüete erwallen
gehertet daz gesmîde was.
stæt als ein vester adamas
wâren im die ringe sîn,
die gâben liehtebæren schîn,

hell und herrlich gefertigt,
die hat ein Schmied gemacht, namens Volkan,
der war ein Meister aller Schmiede.
Im Schleim eines Drachen,
mit der Galle vermischt,
und über der Glut aufgekocht,
so war das Metall gehärtet worden.
Fest wie ein harter Edelstein
waren seine Ringe,
die spenden leuchtenden Glanz,

Donnerstag, 8. Oktober 2015

3791-3800

daz was unmâzen snel erkant;
ez schein noch swerzer, denne ein brant
und gienc in sprunge sam ein tier.
ouch kam der ander betschelier,
der Pêleus geheizen was,
geriten ûf daz grüene gras,
als eime künige wol gezam.
wie der vil hôchgeborne kam,
des mügent ir ouch gerne losen:
er fuorte halsberc unde hosen

um dessen außerordentliche Schnelligkeit man wusste;
es leuchtete noch schwärzer als die Reste nach einem Feuer
und es lieft in Sprüngen wie ein wildes Tier.
Und auch der andere Jungritter,
der Peleus genannt wurde,
kam auf das grüne Gras geritten,
so wie es sich für einen König gehörte.
Wie der überaus edel Geborene ankam,
auch dem könnt ihr gerne lauschen:
Er trug einen Ringkragen und Beinbekleidung,

[»Ringkragen« wird in der Wikipedia als deutsche Entsprechung für »Halsberge« angegeben. Anschaulich ist der Begriff allemal.]

Mittwoch, 7. Oktober 2015

3781-3790

ûf der grüenen heide breit,
ouch clanc daz hâr von golde reit,
sô der helm gerüeret wart,
nâch maniger süezen schellen art,
diu vil schône ist worden lût.
ûf bluomen und ûf grüenez crût
kam Hector sus gestapfet.
ez wart ûf in gekapfet
mit liehten ougen spiegelvar.
er îlte ûf einem orse dar,

auf die breite, grüne Heide geworfen;
auch erklang das lockige, goldene Haar,
wenn der Helm sich bewegte,
so wie manche lieblich klingende Schelle,
die schon oft zum Tönen gebracht worden war.
So schritt Hector über Blumen
und über grüne Kräuter.
Man gaffte ihn an, mit Augen,
die leuchteten und blank wie ein Spiegel waren.
Er eilte auf einem Pferd dorthin,

Dienstag, 6. Oktober 2015

3771-3780

und gestellet über al,
wan daz ein wunder âne zal
gesteines was dar în geworht.
er mohte in füeren unrevorht
in der plânîe melme.
er hete ûf sînem helme
daz houbet der Syrênen clâr,
daz truoc von golde reidez hâr
und ein antlitze silberîn,
die beide gâben liehten schîn

und in allen Teilen gestaltet,
nur dass eine unglaubliche und unzählbare
Menge an Edelsteinen dort eingearbeitet worden war.
Er konnte ihn auf der sandigen Ebene
unerschrocken mit sich führen.
Auf seinem Helm hatte er
den Kopf der schönen Syrene,
die lockiges, aus Gold bestehendes Haar hatte
und ein silbernes Gesicht. 
Aus beidem wurde heller Glanz

[»unrevorht« dürfte ein Druckfehler sein; »unervorht« wäre die naheliegende und in den Wörterbüchern verzeichnete Form.]

Montag, 5. Oktober 2015

3761-3770

gefüeret in des landes rinc.
ouch wizzent, daz der jungelinc
fuort einen kostbærlichen schilt.
daz selbe wunderlîche wilt,
von dem ich alrêrst hân geseit,
daz was dar ûf mit rîcheit
erhaben wunneclîche enbor.
als ich daz wâpencleit hie vor
entworfen und geverwet hân,
alsô was ouch der schilt getân

in den Bereich des Landes gebracht worden.
Auch sollt ihr wissen, dass der junge Mann
einen kostbaren Schild mit sich führte.
Jenes sonderbare, wilde Geschöpf,
von dem ich zuallererst erzählt habe,
das war darauf als Relief –
prächtig, anmutig in die Höhe ragend.
So wie ich das Wappenkleit zuvor
entworfen und gefärbt habe,
genau so war auch der Schild gemacht

Freitag, 2. Oktober 2015

3751-3760

schein dâ beid ob und under.
daz fremde, wilde wunder
het oben eines menschen lîch
und was von grüener varwe rîch
dâ niden allenthalben.
der samît ûz den alben
was komen, dâ die megde sint:
er möhte ein lûter ouge blint
mit sînem glanze hân gemaht.
nie pfeller wart alsô geslaht

war dort sowohl oben wie unten zu sehen.
Das fremdartige, ungezähmte Wunderwerk
hatte oben einen Menschenkörper
und war dort unten überall
aus kräftiger, grüner Farbe.
Der Samt kam aus hohen, bewalteten Bergen,
wo die Jungfrauen sind;
Mit seinem Glanz hätte er
ein klares Auge trüb machen können.
Nie waren derartige Stoffe

[Ich hoffe, ich verstehe die »alben« richtig, nämlich so, wie der BMZ: »nach dem jetzigen schweizerischen sprachgebrauche, ein hoher, als weide benutzter berg«.]

Donnerstag, 1. Oktober 2015

3741-3750

mit ir gedœnes bilde.
daz selbe wunder wilde
schein dâ maget unde visch,
als ez lebende unde vrisch
dâ bære wunneclichen schîn.
daz oberteil der forme sîn
was gestellet als ein wîp,
und was ein visch der under lîp
an schuopen und an hiute gar.
daz bilde zweiger hande var

mit dem Werk ihrer Klänge.
Dieses fremde Wunderding
war dort als Frau und Fisch zu sehen,
als wenn es lebendig und muter
dort anmutigen Glanz hervorbringe.
Der obere Teil seiner Gestalt
war wie eine Frau geformt
und der untere Körper war an Haut
und Schuppen voll und ganz ein Fisch.
Das zweifarbige Bild

Mittwoch, 30. September 2015

3731-3740

dâ niht wan megede inne lebent
und die besten pheller webent,
die man ûf erden ie gewan.
der samît als ein rôse bran
in einem rôten glaste,
dar ûz dem hôhen gaste
was sîn wâpencleit gesniten.
ein wunder was dar în gebriten,
daz diu Syrêne heizet
und kiele ûf schaden reizet

in dem ausschließlich Frauen leben
und die besten Stoffe weben,
die man jemals auf Erden bekommen konnte.
Der Samt lodert wie eine Rose
in rotem Glanz.
Das Wappenkleid des hohen Gastes
war daraus geschnitten.
Ein Wunderding war dort hinein gewebt,
das Syrene heißt
und das Bug und Kiel anlockt – zu deren Verderben –

[Ich übersetze die »Kiele« mit »Bug und Kiel«, weil mir die Übersetzung »Kiele« zu ausgefallen zu sein scheint.]

Dienstag, 29. September 2015

3721-3730

wâren si gemachet.
diu plate niht geswachet
wart von swertes orte.
kein lanze si durchborte
mit ir spitze sinewel,
wan des kocatrillen vel
kein wâfen kan versnîden.
ein wâpencleit von sîden
het er dar über an genomen,
daz was von einem lande komen,

waren sie gemacht.
Der Brustharnisch konnte durch
Schwertstöße nicht beschädigt werden.
Keine Lanze konnte ihn
mir ihrer runden Spitze durchbohren,
weil das Fell des Krokodils
von keiner Waffe zerschnitten werden kann.
Ein siedenes Wappenkleid
hatte er darüber gezogen.
Das kam aus einem Land,

[»ort« meint natürlich eigentlich die Spitze; aber man stößt ja schließlich mit der Spitze…]

Montag, 28. September 2015

3711-3720

fuorte er eine blaten drobe,
diu was gesniten wol ze lobe
ûz eines kocatrillen hût.
diu schein grüen als ein venchelkrût:
alsô was si geverwet
und alsô wol gegerwet,
daz si was linde unde weich;
ir glanzen blech und ir geleich
beliben ungeschertet.
ûz stahele wol gehertet

der in allen Teilen mit großer Sorgfalt gefertigt war.
Geschnitten war er auf hervorragende Weise
aus der Haut eines Krokodils.
Die leuchtete grün wie Fenchelkraut.
Sie war so gefärbt
und so gut gefertigt,
dass sie glatt und weich war.
Ihr schimmernder Panzer und ihre Gelenke
bleiben ohne Schaden.
Aus gut gehärtetem Stahl

[Für »gerwen« geben die Wörterbücher »machen, bereiten, zubereiten« u.ä. an. Für V. 3718 wird im Eintrag »blech« im BZM »ganzen« statt »glanzen« zitiert.]

Freitag, 25. September 2015

3701-3710

bereit nâch wunsche wæren.
man sach die tugentbæren
gezieret rîten ûf den plân.
Hector der hete an sich getân
von stahelringen ein gewant:
daz beste, daz ie wart erkant
über al des landes creiz,
ez was geliutert unde gleiz
alsam ein spiegel niuwevar.
geworht mit hôhem vlîze gar

ideal vorbereitet zu sein.
Man sah die Vortrefflichen
herrlich ausgestattet auf den Platz reiten.
Hector hatte ein Gewand
aus Stahlringen angelegt,
das beste, das je im gesamten
Land gesehen worden war.
Das Metall war rein und es glänzte
wie ein neu-leuchtender Spiegel.
Er trug einen Brustharnisch darüber,

Donnerstag, 24. September 2015

3691-3700

mit im dâ kempfen wolte.
er enbôt im, daz er solte
bereiten sich ze strîte dâ.
daz selbe tete er ouch iesâ.
Alsus wart under diesen zwein
der strît getragen über ein
mit helfelicher boteschaft.
si wurden beide vlîzhaft
dar ûf in kurzer wîle,
daz si ze kampfes bîle

mit ihm hier zu kämpfen.
Er ließ ihm sagen, dass er sich hier
vorberiten sollte zum Kampf–
und er selbst machte sich auch umgehend fertig.
Auf diese Weise wurde von diesen beiden
der Kampf ganz und gar
durch mithelfende Botschaften zustande gebracht.
Beide hatten es eilig,
um – in kurzer Zeit –
zum Kämpfen 

[Ich bin mir sehr unsicher, ob ich den Vers 3696 richtig verstehe. »über ein« meint in der Hauptbedeutung »ganz und gar«. Wie das hier mit dem »tragen« zusammenhängt, ist mir nicht ganz klar. Für »bîle« gibt das neue Mittelhochdeutsche Wörterbuch als dritte Bedeutung (mit Verweis auf unter anderem diese Stelle) an: »Kampf (mit Waffen oder mit Worten)«.]

Mittwoch, 23. September 2015

3681-3690

Pêleus des muotes,
daz er dekeines guotes
dar umbe wolte hân gegert,
daz er der êren wære entwert,
daz er gevohten hæte niht.
sîn herze truoc die zuoversiht,
daz er dâ solte prîs bejagen,
dâ von hiez er hin wider sagen
dem werden Hectorî, daz er
mit willecliches herzen ger

Peleus so gesinnt,
dass er keine Reichtümer dafür
hätte annehmen wollen,
dass ihm, weil er nicht gekämpft hätte,
das Ansehen genommen wäre.
Im Herzen trug er die Hoffnung,
dass er hier und jetzt Ruhm und Ehre erjagen müsse.
Deshalb hieß er dort als Erwiderung
dem hochgeschätzten Hector ausrichten, dass es
ihm ein zwangloser Herzenswunsch sei,

Dienstag, 22. September 2015

3671-3680

her Jûpiter aleine,
dar umbe daz der reine,
der sîner tohter vriedel was,
an sich den willen ie gelas,
daz er ze kampfe wolte komen.
er hete in gerne drabe genomen
mit worten und mit süezer bete,
dur daz er in beschirmet hete
vor schedelicher swære.
dô was der tugentbære

war aufgebracht und betrübt,
weil der Vollkommene,
der der Bräutigam seiner Tochter war,
überhaupt auf die Idee gekommen war,
sich einem Kampf stellen zu wollen.
Er hätte ihn gerne mit Worten
und mit liebenswerten Bitten zurückgehalten,
um ihn vor schädlichem Leid
zu bewahren.
Doch war der edle, kühne

Montag, 21. September 2015

3661-3670

ist worden alsô rehte wert,
daz man durch in hie strîtes gert,
sô wil ich kempfen ouch umb in.
in ziuhet hie mit kampfe hin
Hector eintweder, oder ich.
nû dar! man heize balde mich
bereiten ûf den grüenen plân:
ich wil in kampfes hie bestân.‹
Diu rede in allen wol geviel,
wan daz in ungemüete wiel

einen solchen Wert erlangt hat,
dass man um ihn hier in den Kampf ziehen will,
so will ich denn auch um ihn kämpfen.
Entweder wird Hector ihn hier, nicht ohne
zu kämpfen, mit sich nehmen – oder ich.
Los geht’s! Man möge mich bald beauftragen,
mich auf dem grünen Platz vorzubereiten:
ich will hier gegen ihn im Kampf antreten.‹
Diese Rede gefiel ihnen allen gut,
einzig nur Herr Jupiter

Freitag, 11. September 2015

3651-3660

sol man uns hiute beide
lân strîten ûf der heide,
als ez zwein kempfen wol gezeme.
swer under uns den sic geneme.
und den man hœre prîsen,
der ziehe an sich Pârîsen
und gebe den reinen, wol gesiten
dem herren, durch den er gestriten
alsô vermezzenlichen habe.
sît daz der hôchgeborne knabe

soll man heute uns beide
auf den Wiesen kämpfen lassen
soll man uns beide heute
auf der Heide kämpfen lassen,
wie es sich für zwei Kämpfer gehört.
Wer auch immer von uns beiden gewinnt
und dafür gerühmt wird,
der nehme Paris zu sich
und gebe den makellosen, wohlerzogenen
an den Herrn, für den er
derart unverzagt gekämpft hat.
Weil der hochgeborne junge Mann

Donnerstag, 10. September 2015

3641-3650

noch hiute sol an ritterschaft;
wan ich hân willen unde kraft,
diu beide guot ze strîte sint.
ouch ist er selbe noch ein kint,
der kempfen hie nâch prîse wil:
dâ von ist mir des niht ze vil,
daz ich mit im ze strîte kome.
ez sî mîn schade, ez sî mîn vrome,
ich wil in kampfes hie gewern.
mit scharpfen swerten und mit spern

nicht zum Schaden gereichen,
denn ich habe den Willen und die Kraft –
und beides ist gut für den Kampf.
Auch ist er selbst noch ein Kind,
der hier um Lob und Ansehen kämpfen möchte.
Darum passt das für mich,
dass ich mit ihm kämpfen werde.
Ob ich verlieren, ob ich gewinnen,
ich will hier zum Kampf bereit sein.
Mit scharfen Schwerter und mit Lanzen

Mittwoch, 9. September 2015

3631-3640

Pârîsen welle gerne hân,
sô lâze er mich den hie bestân,
der umb in kempfen welle.
gewinne ich daz gevelle
alsô, daz ich den sic behabe,
sô belîbet uns der knabe,
der beide schœne ist unde zier.
ich bin ein junger betschelier
und hân gevohten selten.
des ich ouch niht engelten

gerne Paris haben möchte,
soll er mich hier gegen den antreten lassen,
der für ihn kämpfen will.
Bewältige ich den Kampf
so, dass ich Sieger bin,
dann bleibt bei uns der junge Mann,
der zugleich schön ist und imposant.
Ich bin ein junger, unerfahrener Ritter
und habe wenige Kämpfe ausgefochten.
Das soll mir hier und heute bei der Ritterschaft

Dienstag, 8. September 2015

3621-3630

komen ist zer hôchgezît,
der enkeiner sol den strît
sô rehte billîch an sich nemen,
als ich, wan ez muoz mir gezemen
von wâren schulden hiute.
man sol mich lân der briute
geniezen und der werdekeit,
daz disiu hôchgezît geleit
wart dur mînen willen her.
sît daz mîn swæher Jûpiter

zur Hochzeit gekommen ist –
keiner von ihnen hat das Recht,
zu dem Zweikampf anzutreten,
außer mir, weil es mir gebührt
und es mir hier und heute fürwahr eine Verpflichtung ist.
Mir muss die Hochzeitsfeier zum Nutzen gereichen
und die Würde muss man mir zugestehen,
wurde doch dieses Fest um meinetwillen
hier ausgerichtet.
Weil mein Schwiegervater, Jupiter,

[Was genau ist mit »wâren schulden« gemeint? Ist das ein Begriff aus der Rechtssprache?]

Montag, 7. September 2015

3611-3620

Diu rede wart dô kunt getân
den göten allen ûf dem plân
und ouch ir ritterschefte wert.
des wart von gnuogen dâ gegert,
daz man si lieze strîten.
vil maniger bî den zîten
gevohten gerne hæte alsus.
dô sprach der werde Pêleus,
der briutegoum des hoves was:
›swaz ritter ûf daz grüene gras

Was er gesagt hatte, wurde daraufhin
allen Göttern auf dem freien Platz
und auch ihren vortrefflichen Rittern bekannt gemacht.
Nicht wenige von ihnen wollten,
dass man sie kämpfen ließe.
Recht viele hätten damals
gerne ebenso gekämpft.
Da sprach der angesehene Peleus,
der am Hof der Bräutigam war:
›Welcher Ritter auch immer auf das grüne Gras

Freitag, 4. September 2015

3601-3610

des grimmen kampfes wielten
und daz die ritter hielten
ze beiden sîten stille;
ouch wære daz sîn wille,
swer den prîs dar under
züge an sich besunder
und dâ bestüende sigehaft,
daz der und sîn geselleschaft
Pârîsen, den vil süezen knaben,
dâ solte ân allen kriec behaben.

des zornigen Kampfes sich annähmen
und dass die Ritter sich
auf beiden Seiten ruhig verhielten;
auch wollte er, dass,
wer auch immer von beiden
sich den Triumph sicherte
und dort als Sieger vom Platz gehe,
dass der und seine Partei
dann – ohne allen Streit – Paris,
den sehr entzückenden Knaben, haben sollte.

Donnerstag, 3. September 2015

3591-3600

des kampfes wolte frîen.
sus hiez er lûte schrîen
in der werden göte schar,
ob under in wær ieman dar
zuo der hôchgezîte komen
sô kürlich und als ûz genomen,
daz er mit im aleine
vür beide schar gemeine
getörste vehten einen strît,
sô daz si zwêne bî der zît

von dem Kampf nicht Abstand nehmen werde.
So ließ er denn laut ausrufen
in der angesehenen Götterschar,
ob dort unter ihnen jemand
zu dem Fest gekommen sei,
der auserkoren und so hervorragend sei,
dass er sich traue,
mit ihm allein, stellvertretend für beide Lager,
einen Kampf auszutragen,
so dass sie beide alsbald

Mittwoch, 2. September 2015

3581-3590

den sun, daz half in cleine,
wan Hector was sô reine
und alsô rehte küene,
daz ûf dem plâne grüene
was kein ritter im gelîch.
des lîbes und des muotes rîch
was der vil hôchgeborne.
dar umb in sînem zorne
sprach er zuo dem vater dô,
daz er sich weder sus noch sô

den Sohn bedrängte, es half ihm nichts,
denn Hector war so treuherzig
und fürwahr, er war so kühn,
dass kein Ritter auf dem grünen Platz
ihm gleichkam.
Körper und Geist des so Hochgebornen
waren stark.
Deshalb sagte er dann,
seinen Zorn zeigend, zu seinem Vater,
dass er, es komme, was da wolle,

Dienstag, 1. September 2015

3571-3580

und an jâren noch die tugent,
daz er dâ strite in blüender jugent
vür alsô manigen hôhen man.
der rede treip ein wunder an
der edel künic wider in.
er leite muot, herz unde sin
dar ûf in allen enden,
daz er in möhte erwenden
des kampfes an der selben stat.
swie vil der vater dô gebat

Manneskraft und Alter,
um dort in blühender Jugend
für so viele hohe Männer zu kämpfen.
Für diese Vortrag, den er ihm hielt,
legte sich der edle König mächtig ins Zeug.
Er setzte so gut er konnte,
Willen, Herz und Verlangen daran,
ihn davon abzuhalten,
dort zu kämpfen.
Wie sehr ihn der Vater dort auch

[Ist »mächtig ins Zeug legen« eine gute Übersetzung für »ein wunder trîben an«?]

Montag, 31. August 2015

3561-3570

wan er dûht in ze junc dar zuo,
daz er sô schiere und alsô fruo
für manigen solte strîten.
dâ von er bî den zîten
bat sêre und ouch vil tiure
den jungelinc gehiure,
daz er sîn vehten lieze stân.
der strît der müeste für sich gân
von al der ritterschefte.
ern hete niht an krefte

denn er schien ihm dafür zu jung zu sein,
um so bald und so frühzeitig
für viele zu kämpfen.
Deshalb bat er augenblicklich
den anmutigen jungen Mann
eindringlich und auch sehr inständig,
dass er das Kämpfen sein lasse.
Der Kampf müsse von
der gesamten Ritterschaft geführt werden.
Seinen Fähigkeiten fehle es an

Freitag, 28. August 2015

3551-3560

ûf den clê von touwe naz,
diz ist doch wæger, denne daz
vil manic werder ritter
hie næme ein ende bitter.‹
Nû daz Hector gesprach alsus
und dô sîn vater Prîamus
vernam, daz im wart ernest,
dô het er aller gernest
des kampfes in erwendet.
sîn vröude wart verswendet,

auf den blumengezierten, taunassen Rasen,
dann ist dies doch besser als wenn
sehr viele angesehene Ritter
hier ein bitteres Ende nähmen.‹
Als nun Hector das gesagt hatte
und sein Vater Priamus
hörte, dass es ihm ernst war,
da hätte er ihn am liebsten
vom Kampf abgehalten.
Seine Freude war vernichtet,

[Für »clê« bittet der Lexer »mit kleeblumen gezierter rasen« als Übersetzungsmöglichkeit an.]

Donnerstag, 27. August 2015

3541-3550

in der göte ritterschaft,
ob ieman sô gemuothaft
getürre sîn dar under,
daz er mich nû besunder
und alters eine hie bestê.
wan zwâre ich wil, wie mirz ergê,
selb ander kempfen hiute
vür al die werden liute,
die sich ze strîte hânt bereit.
wirt unser einer tôt geleit

in der Ritterschaft der Götter,
ob jemand unter ihnen es wagt,
so mutig zu sein,
dass er mir nun einzeln
und ganz allein hier entgegentritt.
Denn wahrlich, ich will, egal was mir passiert,
mit jemand anderem heute kämpfen
vor all den angesehenen Leuten,
die sich für den Kampf bereitgemacht haben.
Geht einer von uns tot zu Boden

Mittwoch, 26. August 2015

3531-3540

vind einen kampfgeverten,
sô muoz man hie beherten,
wer Pârîsen füere hin.
man lâze beidiu mich und in
hie vehten für iuch alle.
und swer dar under valle,
der stê der sigenüfte vrî
und habe sîn widerteil dâ bî:
Pârîsen und des siges wal.
nû heizent schrîen über al

einen Kampfgefährten finde,
dann muss durch einen Kampf entschieden werden,
wer Paris mit sich nehmen wird.
Man lasse beide, mich und ihn,
hier für euch alle kämpfen.
Und egal wer dabei zu Boden gehe,
der lasse dem Sieger die Freiheit
und sein Gegner soll damit
Paris haben und die Entscheidungsgewalt des Triumphes.
Lasst nun überall ausrufen

Dienstag, 25. August 2015

3521-3530

ze sînem vater Prîamô:
›niht gâhent, herre mîn, alsô!
lânt iu niht sîn ze strîte nôt!
ê daz den bitterlichen tôt
hie manic ritter kiese
und âne schult verliese
daz leben, er enwizze wie,
sô wil ich ê selb ander hie
für beide parte strîten.
ob ich bî disen zîten

zu seinem Vater Priamus:
›Hetzt doch nicht so, mein Herr!
Macht doch den Krieg nicht zur Notwendigkeit!
Bevor sich hier manchen Ritter
den bitteren Tod erwählt
und ohne Schuld das Leben
lässt, ohne recht zu wissen wie,
so will ich lieber hier mit einem andern
für beide Seiten kämpfen.
Wenn ich hier und jetzt

Montag, 24. August 2015

3511-3520

wolten si dâ snîden.
man sach von glanzer sîden
dâ glesten manic wâpencleit,
dar în mit golde was geleit
vil manic wunderlicher stein.
nû daz die schar sich under ein
ze beiden sîten wolten weben
und in der wille wart gegeben,
daz si gesprancten ûf den rinc,
dô rief Hector, der jungelinc,

wollten sie dort abernten.
Viele Waffenkleider aus glänzender Seide
sah man dort leuchten,
worin so mancher sonderbare Stein
in Gold eingelegt war.
Als sich nun die Schar
auf beiden Seiden miteinander verbinden wollte
und sie die Absicht hatten,
in den Ring zu galoppieren,
da rief Hector, der junge Mann,

[Sagt man »in Gold eingelegt«?]

Freitag, 21. August 2015

3501-3510

huoben si dô krieges vuoc.
Discordiâ niht wolte gnuoc
mit der vîentschefte hân,
die si geworfen und getân
het under die gotinne,
si wolte ouch grôz unminne
sæjen underz ander her,
dâ von si beidenthalp ze we
schier unde balde kâmen.
der missehelle sâmen

begannen sie dort, sich zum Kampf vorzubereiten.
Discordia wollte sich nicht mit
der Feindschaft begnügen,
die sie unter die Göttinnen
geworfen und unter ihnen geschaffen hatte,
sie wollte auch großen Hass
säen unter das weitere Volk;
deshalb waren sie auf beiden Seiten schnell
kampfbereit und kamen bald daher.
Den Samen der Zwietracht

[»krieges vuoc« ist schwer zu übersetzen; es meint hier wohl, dass der Anlass (Paris) und der drohende Kampf ineinandergreifen und effektiv werden.]

Donnerstag, 20. August 2015

3491-3500

diu sich dâ heben wolte.
die hôchgezît er solte
vor unzühten wol bewarn;
des reit er dô mit sînen scharn
gewâpent sêre unz ûf die zene
und wolte dâ dis und jene
mit liebe hân verslihtet.
dô was ir muot gerihtet
ze vaste ûf grimmeclichen zorn.
umb den juncherren hôchgeborn

der dort im Begriff war, loszubrechen.
Er schickte sich an, das Fest
vor Sittenlosigkeit rundum zu schützen,
deshalb ritt er da mit seinen Truppen
die bis zu den Zähnen massiv bewaffnet waren,
und wollte dort beide Seiten
freundlich und liebenswürdig miteinander versöhnen.
Doch waren sie zu sehr
von erbitterter Wut ergriffen.
Wegen des hochgebornen jungen Herrn

Mittwoch, 19. August 2015

3481-3490

vil schiere sîne ritterschaft.
swaz hôher künige dô mit kraft
zuo der hôchgezîte was,
die nam er an sich unde las
und wart bereit ze strîte.
sich hete bî der zîte
zehant ein grôz gestœze erhaben
umb den vil wunneclichen knaben,
wan daz her Mars enzwischen reit,
dem was diu grôz unfuoge leit,

seine Ritter alarmiert.
Ganz egal, welche hohen Könige dort mit
Heeresmacht bei dem Fest waren,
die wählte er aus und nam sie zu sich
und wurde zum Kampf bereit.
Zu dieser Zeit hatte sogleich
ein großes Handgemenge wegen
des anmutigen jungen Mannes begonnen,
bis dass Herr Mars dazwischen ritt,
dem der große Irrsinn leid war,

Dienstag, 18. August 2015

3471-3480

Nû disiu rede alsus geschach,
daz her Jûpiter gesprach
diu wort ûz sînem munde,
dô wart in kurzer stunde
bereit sîn ingesinde gar.
gewâpent sêre und îsenvar
wart geste vil durch sîn gebot.
swer dâ geheizen was ein got,
der kam ze helfe im alzehant.
ouch hete Prîamus gemant

Als diese Erklärung sich so begab,
und Herr Jupiter aus seinem Mund
diese Worte gesprochen hatte,
da hatten sich binnen kurzer Frist
all seine Diener und Gefolgsleute bereit gemacht.
Beträchtlich gerüstet und eisenfarben
wurden auf seinen Befehl hin viele Festgäste.
Jeder, der dort ein Gott genannt wurde,
der kam ihm sogleich zur Hilfe.
Obendrein hatte Priamus in großer Eile

[Es will mir nicht so recht gelingen, die Konstruktion der Verse 3472f. adäquat nachzubilden: Der Vers 3472 ist im Prinzip vollständig und seine Unvollständigkeit erweist sich erst, als der Vers 3473 beginnt. Dieser Vers wiederum betont den konkreten Sprechakt und die Schnelligkeit des Geschehens, denn alles passiert direkt im Anschluss an die gesprochenen Worte.]

Montag, 17. August 2015

3461-3470

und der hôchgezîte wirt,
›ir müezent werden hie verirt
des jungelinges hiute.
wâ sint nû mîne liute
und al mîn hôhez künne!
swer mir der êren günne,
daz ich behalte mînen prîs,
der helfe mir, daz Pârîs
ûf mînes lobes ungewin
niht werde alsus gefüeret hin!‹

und Gastgeber des Festes:
›ihr müsst hier und heute
den jungen Mann verlieren.
Wo sind nun meine Leute
und all meine hohen Verwandten!?
Jeder, der mir das Ansehen gönnt,
dass ich weiterhin anerkannt und bewundert werde,
der helfe mir, dass Paris
nicht einfach so zum Nachteil meines Ansehens
hinweg geführt wird!‹

[Der BMZ gibt mit Verweis auf diese Stelle »verlieren« für »verirren« an.]

3451-3460

Pârîsen lân in mîner pfliht.‹
›entriuwen, daz entuon ich niht!‹
sprach der künic wider in.
›den jungelinc den füer ich hin,
ob mir sîn gan diu frouwe sîn.
er muoz in dem gewalte mîn
frœlîche sîne tage verzern.
wer mir den gast getürre wern,
daz wirt versuochet âne spot.‹
›daz tuon ich,‹ sprach der werde got

Paris in meiner Obhut lassen.‹
›Glaubt mir, das werde ich nicht tun!‹
entgegnete ihm der König:
›der junge Mann, der kommt mit mir,
wenn seine Herrin ihn mir zugesteht.
Er muss unter meiner Herrschaft
fröhlich seine Tage verbringen.
Wer es wagt, mir den Gast zu verwehren,
der stellt mich auf die Probe – und zwar nicht im Scherz‹.
›Das tue ich‹, sprach der angesehene Gott

Donnerstag, 13. August 2015

3441-3450

sol ich dâ schicken sîniu dinc,
wan mir geviel kein jungelinc
sô wol in mînem muote nie.‹
›dêswâr, sô wær ich übel hie,‹
sprach aber dô her Jûpiter,
›swenn ir von Troye füerent her
und mir hie næment einen gast,
ûf den ich mîner fröuden last
mit hôhem vlîze hân geleit.
it sult durch iuwer hübescheit

werde ich dort seine Angelegenheit regeln,
denn noch nie hat ein junger Mann
bei mir einen so starken Eindruck hinterlassen.‹
›Wahrlich, so würde es mir schlecht ergehen‹,
sagte darauf aber Herr Jupiter,
›wenn ihr von Troja hierher kommt
und mir einen Gast nehmen würdet,
auf den ich die Fülle meiner Freude
mit großem Eifer ausgegossen habe.
Ihr sollt aufgrund eurer Höfischkeit 

[Bei Vers 3443 übersetze ich recht frei, um das, was hier mit »muot« markiert wird, im Neuhochdeutschen zumindest anzudeuten. Statt »last legen« übersetze ich »Fülle ausgießen«.]

Mittwoch, 12. August 2015

3431-3440

von sîner frouwen stiure.
Vênus, diu vil gehiure,
diu sîn gewaltic worden ist,
diu sol ir zuht bî dirre vrist
an mir bewæren und ir tugent.
sît über sîne clâre jugent
stêt ir gewalt breit unde wît,
sô lâze in von der hôchgezît
mit mir ze lande kêren.
nâch küniclichen êren

als Gabe seiner Herrin.
Venus, die überaus liebenswerte,
die seiner mächtig geworden ist,
die muss alsbald ihren Anstand und
ihre Tüchtigkeit mir gegenüber beweisen.
Da sie Macht hat, ganz und gar,
über seine helle Jugend,
möge sie ihn von dem Fest
mit mir nach Hause kommen lassen.
So, wie es königlichem Ansehen gebührt,

Dienstag, 11. August 2015

3421-3430

ein wunder sîn ze manne,
war umbe liez ich danne
kêren dich von mir alsus?‹
›nein herre,‹ sprach dô Prîamus,
›die rede lânt belîben.
ê liez ich mich vertrîben
von êren und von guote,
ê mir der vil gemuote
Pârîs niht würde in mîne pflege.
ich wil in haben alle wege

ein Wunder von einem Mann sein wirst,
warum sollte ich dich dann
von mir einfach so fortgehen lassen?‹
›Herr, nein‹, sagte Priamus darauf,
›hört auf, so zu reden.
Lieber ließe ich mich vertreiben,
weg von allem Ansehen und Besitz,
bevor der mir sehr liebe
Paris nicht in meine Obhut übergehe.
Ich will ihn restlos haben,

[V. 3420: »wellen« kann laut Lexer auch »als hilfsverb des futurums« gebraucht werden. »alle wege« (V. 3430) meint laut BMZ »überall, immer«; meine erste Übersetzungsidee war allerdings »koste es, was es wolle«.]

Montag, 10. August 2015

3411-3420

dâ von muoz er belîben hie.‹
mit disen worten er dô gie
zuo dem juncherren wol getân.
›Pâris,‹ sprach er, ›ich wil dich hân
z'eim ingesinde stæte;
dâ von er übel tæte,
swer dich enphlœhen wolte mir.
mîn hof geblüemet sol mit dir
nâch vollem wunsche werden.
sît daz dû wilt ûf erden

deshalb muss er hierbleiben.‹
Nach diesen Worten ging er dann
zu dem gutaussehenden jungen Herrn.
›Paris‹, sagte er, ›ich will dich dauerhaft behalten,
als Teil meiner Gefolgschaft.
Deshalb würde jeder bösartig handeln,
der dich mir rauben wollte.
Mein Hof muss mit dir so geschmückt werden,
wie man es sich nur wünschen kann.
Weil du auf Erden

Freitag, 7. August 2015

3401-3410

wan ich enwil sîn niht enbern.
er sol mich vröuden hie gewern
mit der hôchgebornen jugent.
geloubent, daz sîn reiniu tugent
wirt den von Troye wilde.
mîn hof mit sînem bilde
sol werden wunneclîche erlûht.
mich hât des wol an im bedûht,
daz nie sô glanzer jungelinc
kæm in dekeines landes rinc:

denn ich will auf ihn nicht verzichten.
Er muss mir hier Freude bereiten
mit der Jugend von hoher Abstammung.
Glaubt mir, dass seine reine Tugend
denen von Troja fremd sein wird.
Mein Hof muss mit seiner Person
herrlich erleuchtet werden.
Bei ihm hatte ich gewiss den Eindruck,
dass nie ein so strahlender junger Mann
in das Gebiet eines Landes gekommen ist;

Donnerstag, 6. August 2015

3391-3400

›Nu enwelle got,‹ sprach Jûpiter
›daz iemean sî dar umbe her
zuo mîner hôchgezît bekomen,
daz Pârîs werde mir benomen;
wan ich wil den süezen knaben
z'eim ingesinde selbe haben,
sît er von adel ist geborn.
ez sol der künic âne zorn
lân belîben, daz er sî
mir unde mînem lande bî,

›Da sei Gott vor!‹, sagte Jupiter,
›dass jemand deshalb zu meinem Fest
gekommen ist,
damit Paris mir genommen werde,
denn ich will den bezaubernden Knaben
selbst als Mitglied meiner Gefolgschaft haben,
da er von adeliger Geburt ist.
Der König muss sich – ohne zu zürnen –
damit abfinden, dass er bei
mir und meinem Land bleibt,

Mittwoch, 5. August 2015

3381-3390

und iuwer hûs gezieren.
den hof mac er flôrieren,
sam rôsen tuont ein ouwe.
Vênus, der minne frouwe,
mit willen iuch hie swachete,
sît si daz gerne machete,
daz Pârîsen Prîamus
füerte gegen Troye alsus
und iu den prîs benæme,
daz er von hinnen kæme.‹

und eurem Haus zur Zierde.
Den Hof kann er so schmücken
wie Rosen eine Aue zieren.
Venus, die Herrin der Minne,
missachtet euch hier absichtlich,
weil sie gerne dafür sorgen möchte,
dass Priamus den Paris
nun nach Troja bringt
und euch Lob und Anerkennung nimmt,
dadurch, dass er von hier wegkommt.‹

[Passt »missachten« für »swachen«?]

Dienstag, 4. August 2015

3371-3380

und ein schemelicher spot,
daz ein künic einen got
an êren überkæme
und im den gast benæme,
der blüemen solte sînen sal.
ir hânt doch rîcheit âne zal
und überhœhent elliu dinc,
wie liezen ir den jungelinc
alsus von hinnen kêren,
der iuch wol möhte gêren

und eine beschämende Schmach,
wenn das Ansehen eines Königs
höher stünde als das eines Gottes,
und jener ihm den Gast wegnähme,
der sein Haus zieren müsste.
Ihr habt doch unbegrenzte Macht und
unbegrenzten Reichtum und übertrefft alles,
wie könnt ihr zulassen, dass der jungen Mann
so einfach von euch fortgeht,
der euch sicher zur Ehre gereichen könnte

[Ein rastloser Monolog ist das, bei dem ich ständig das Bedürfnis verspüre, auch einmal einen Punkt einzufügen...]

Montag, 3. August 2015

3361-3370

wand ez iu wirt ein schande,
ob ir von disem lande
lânt füeren alsô wîsen knaben
und ir in selben niht behaben
getürrent noch enwellent.
ir veigent unde vellent
iuwer lop in alle wîs,
gestatent ir, daz Pârîs
belîbet hie ze hove niht.
ez wære ein wunneclich geschiht

weil es euch zur Schande gereicht,
wenn ihr von diesem Land
einen derart weisen Knaben wegbringen lasst
und ihr selbst ihn weder zu behalten
wagt noch dies wollt.
Ihr zerstört und vernichtet in jeglicher Hinsicht
das Lob, das euch zuteil wird,
wenn ihr zustimmt, dass Paris
hier am Hof nicht bleiben wird.
Es wäre ein seltsames Geschehen

Freitag, 31. Juli 2015

3351-3360

Seht, alsô kômen dise zwô
des über ein vil schiere dô,
daz si den wirt besunder hin
dô fuorten und ouch wider in
sprâchen mit gelîcher ger:
›herr unde got, her Jûpiter,
lânt ir geschehen disiu dinc,
daz dirre stolze jungelinc
mit Prîamô von hinnen vert,
ir sint an êren gar verhert,

Schaut, so hatten sich diese zwei
dort ganz schnell darüber verständigt,
dass sie den Gastgeber allein dorthin
führten und auch einmütig
zu ihm sagten:
›Herr und Gott, Herr Jupiter,
wenn ihr diese Sache geschehen lasst,
so dass dieser stolze Jüngling
mit Priamus von hier fortgeht,
dann ist euer Ansehen völlig zerstört,

Donnerstag, 30. Juli 2015

3341-3350

ze smâheit, diu der minne pflac.
ir beider muot sich dar ûf wac,
daz der gast belibe alsus
und der künic Prîamus
der Minne müeste sîn gehaz,
durch daz si niht geschüefe daz,
daz Pârîs mit im kêrte,
noch in des niht enêrte,
daz der vil tugentbære
sîn ingesinde wære.


die sich um die Minne kümmerte, zu demütigen.
Die beiden hatten sich in den Kopf gesetzt,
dass der Gast bleibe, wo er ist,
und der König Priamus
die Minne hassen müsse,
weil sie weder dafür Sorge trage,
dass Paris mit ihm komme,
noch ihm die Ehre verschaftte,
dass er, der überaus fähig war,
Teil seiner Gefolgschaft würde.

Mittwoch, 29. Juli 2015

3331-3340

lân geschehen ir den prîs,
daz der vil hübsche Pârîs
kêrte dan von ir gebote.
dâ von sô rieten si dem gote,
der Jûpiter dô was genant,
daz er den knappen alzehant
niht von im scheiden lieze
und er in selbe hieze
sîn stætez ingesinde sîn.
diz tâten si der künigîn

ihr nicht das Ansehen zukommen lassen,
dass der überaus schöne Paris
auf ihre Anweisung hin von dort aufbreche.
Deshalb rieten sie dem Gott,
der dort Jupiter genannt wurde,
dass er den Jüngling nicht gleich
von ihm weggehen lasse
und er selbst ihm gebiete,
künftig zu seiner Gefolgschaft zu gehören.
Dies taten sie, um die Königin,

Sonntag, 26. Juli 2015

3321-3330

mit herzen und mit sinne.
der minne küniginne
was ir zweiger lîp gehaz,
dâ von si beide muote daz
und was in ûzer mâzen leit,
daz man ir bôt die wirdekeit,
daz man si des juncherren bat
und ir ein künic an der stat
vlêhen umb in solte.
ir beider lîp niht wolte

mit Herz und Verstand.
Die Königin der Minne
hassten diese zwei und
deshalb betrübte die beiden das
und schmerzte sie über alle Maßen,
dass man ihr die Ehre bot,
dass man sie um den jungen Herrn bat
und bei ihr – hier und jetzt – ein König  
um ihn bitten musste.
Die beiden wollten

3311-3320

ze stætem ingesinde lihe.
daz si niht wider zuo dem vihe
in lieze kêren in den walt,
des wart dô von dem künige balt
gar vlîzeclîche an si gegert.
ouch hætes’ in der bete gewert
gern unde willleclichen dô,
wan daz dar umbe Jûnô
beswæret in ir muote was.
ouch streit derwider Pallas

als dauerhaftes Mitglied seiner Gefolgschaft zu Lehen gebe.
Dass sie ihn nicht wieder zu dem Vieh
in den Wald zurückkehren lasse,
darum bat sie dort der kühne König
mit großem Eifer.
Sie hätte auch seiner Bitte
gerne und bereitwillig entsprochen,
wenn nicht Juno deshalb
trübsinnig gewesen wäre.
Auch kämpfte Pallas dagegen

[Kann man »lîhen« hier mit »zu Lehen geben« übersetzen? »Verleihen« scheint mir keine gute Übersetzung zu sein.]

Freitag, 24. Juli 2015

3301-3310

vil lîhte worden von geschiht,
noch weiz von sînem adele niht.
dâ von sô dunket mich daz guot,
daz der knappe hôchgemuot
sam mir ze hûse rîte
und er dô schône bîte
des heiles und der lieben stunt,
daz ime sîn vater würde kunt.‹
Sus warp der künic Prîamus,
daz im Pârîsen Vênus

möglicherweise durch Zufall;
auch weiß er wohl nicht von seiner adligen Herkunft.
Deshalb scheint es mir gut zu sein,
dass der stolze Jüngling
mit mir nach Hause reite
und dass er dort auf angemessene Art und Weise
auf den segensreichen Augenblick und den schönen Moment warte,
wenn er erfährt, wer sein Vater ist.‹
Auf diese Weise warb der König Priamus,
dass ihm Venus den Paris

Donnerstag, 23. Juli 2015

3291-3300

erzeiget und bewæret.
ir hânt hie goffenbæret,
daz er von adele sî geborn
und daz sîn vater ûz erkorn
trag eines rîches crône:
des lâzent mich in schône
enthalten und als im gezeme,
biz der juncherre wol verneme,
wer sîn hôher vater sî.
er ist sîn ledic unde vrî

gezeigt und bewiesen hat.
Ihr habt hier verraten und aufgedeckt,
dass er von adeliger Herkunft ist
und dass sein edler Vater
die Krone eines Reiches trägt.
Darum lasst mich ihn gut
umsorgen und zwar so wie es ihm gebührt,
bis der junge Herr genau erfährt,
wer sein vornehmer Vater ist.
Ihm gegenüber wurde er frei und ungebunden,

[Ich übersetze »goffenbæret« mit »verraten und aufgedeckt«, weil mir das Neuhochdeutsche »offenbaren« zu stark theologisch konnotiert zu sein scheint.]

Mittwoch, 22. Juli 2015

3281-3290

mit mir ze hûse kêre.
ich wil im guot und êre
zuo schîben, al die wîle ich lebe.
ist, daz mir an im iuwer gebe
daz heil und daz gelücke birt,
daz er mîn ingesinde wirt,
ich schaffe, sælic vrouwe mîn,
daz mir der werde vater sîn
der êren danket und der tugent,
die mîn genâde an sîner jugent

mit mir nach Hause kommt.
Ich will ihn mit Besitz und Ansehen
versorgen, so lange ich lebe.
Wenn mir eure Gabe in seiner Person
das Heil und das Glück hervorbringt,
dass er Teil meiner Gefolgschaft wird,
dann wird es mir, gesegnete Dame, gelingen,
dass mir sein verehrter Vater
für das Ansehen und die Tüchtigkeit dankt,
die meine Gnade an seiner Jugend

Dienstag, 21. Juli 2015

3271-3280

daz Pârîs mit mir hinnen var
und er in mîner hoveschar
der beste heizen müeze.
ich meine, daz der süeze
mîn ingesinde werde
und ich in ûf der erde
bringe ûf wirde manicvalt.
sît ir sîn, frouwe, hânt gewalt
und er vollendet iuwer ger,
sô gebietent im, daz er

damit Paris mit mir aufbricht
und in meiner Gefolgschaft
als der Beste angesehen werde.
Ich möchte, dass der Süße
Teil meiner Dienerschaft wird
und ich ihn hier auf Erden
zu reichem Ansehen führen.
Da ihr, Herrin, über ihn herrscht
und er euren Willen ausführt,
so weist ihn an, dass er

Montag, 20. Juli 2015

3261-3270

was gewaltic über in
und daz er leben unde sin
an ir genâde ergeben hete.
dâ von der künic dô mit bete
kam die minneclichen an.
er sprach als ein bescheiden man
mit zühten wider si zehant:
›genâde, vrouwe, sint gemant,
daz an iu wirde und êre lît
und helfent mir bî dirre zît,

über ihn herrschte
und dass er sein Leben und seine Überzeugungen
ihrer Gnade überlassen hatte.
Deshalb wandte sich dann der König
mit seiner Bitte an die Liebenswerte.
Er sagte sogleich höflich zu ihr,
wie es sich für einen bescheidenen Menschen gehört:
›Verzeiht, Herrin, und denkt daran,
dass euch Würde und Ansehen auszeichnen
und helft mir hier und jetzt,

Freitag, 10. Juli 2015

3251-3260

in sînes hoves palas.
dur daz er alsô zühtic was
und alsô rehte wunneclich,
sô vleiz er des vil harte sich,
daz er in dannen bræhte.
man seit, daz er gedæhte
vil dicke in sînem muote,
wie der vil hübsche guote
sîn ingesinde würde alsus.
nû sach er, daz vrô Vênus

in dem Palast an seinem Hof,
weil er so höflich und sittsam war
und so ganz anmutig,
deshalb bemühte er sich ganz ungemein darum,
ihn von dort wegzubringen.
Man sagt, dass er ziemlich oft
gedankenverloren darüber nachdachte,
wie der überaus Schöne und Gute
Teil seiner Gefolgschaft werden könnte.
Nun sah er, dass Frau Venus

[Ich übersetze »palas« bewusst mit »Palast«, weil das Wort »Palas« heutzutage ein Spezialbegriff ist, der sich für eine Übersetzung nicht eignet. »zühtic« gebe ich mit »höflich und sittsam« wieder; »in sînem muote« versuche ich mit »gedankenverloren« zu fassen zu bekommen.]

Donnerstag, 9. Juli 2015

3241-3250

begund er kapfen dar ûf in
und kêrte muot, herz unde sin
dar ûf in manger hande wîs,
daz der getriuwe Pârîs
sîn ingesinde würde.
in dûhte ein swære bürde,
ob er sîn âne solte sîn.
er wart in sînes herzen schrîn
alsô besigelt und begraben,
daz er in gerne wolte haben

fing er an, ihn anzustarren
und richtete sein Gemüt, sein Herz und sein Denken
in vielfältiger Weise darauf,
den treuen Paris
zu einem Teil seiner Gefolgschaft zu machen.
Es hatte den Eindruck, dass es eine schwere Last wäre,
wenn er auf ihn verzichten müsste.
Er wurde in der Truhe seines Herzens
so besiegelt und begraben,
dass er ihn gerne haben wollte

[Ich übersetze »ingesinde« mit »Gefolgschaft«, weil mir z.B. »Dienerschaft« zu abwertend klingt. Gibt es (gute) Alternativen zu »besiegelt und begraben«? Vielleicht ginge »niedergelegt« statt »begraben«?]

Mittwoch, 8. Juli 2015

3231-3240

mit rede und mit gebâre.
dô Vênus, diu vil clâre,
verjach von im der wünne,
daz er von adels künne
wære und eines künges barn,
dô wolte er ahten unde warn
des jungelinges deste baz.
sîn herze sîn dô nie vergaz,
noch kam von im sîn ouge niht.
mit vlîzeclicher angesiht

mit Worten und durch seine Handlungen und Gesten.
Da Venus, die ungemein Schöne,
über ihn erfreulicherweise zu berichten wusste,
dass er aus adeliger Familie
sei und der Sohn eines Königs,
da wollte er auf den jungen Mann
umso mehr achtgeben und ihn beachten.
Weder vergaß ihn dort je sein Herz
noch ließ er seine Augen von ihm.
Mit eifriger Betrachtung

[Den Bedeutungsbereich von »gebâre« versuche ich mit »Handlungen und Gesten« zu umfassen. Mit der Übersetzung »erfreulicherweise« für ›im der wünne verjehen‹ bin ich nicht ganz glücklich, weil mir »erfreulicherweise« zu schwach zu sein scheint.]

Dienstag, 7. Juli 2015

3221-3230

ûf Pârîsen deste mê.
ez was sîn sun von rehter ê,
des truoc in diu natûre dar
ûf den juncherren wunnevar
und spilt im allez tougen
engegen durch diu ougen.
Im seite sîn gemüete,
daz an in beiden blüete
der wâren sippeschefte fruht.
des bôt er im êr unde zuht

auf Paris fixiert.
Es war sein Sohn, aus rechtmäßiger Ehe,
deshalb zog ihn die Natur dorthin
zu dem liebreizenden jungen Mann und Herrn
und alles leuchtet ihm heimlich
durch die Augen entgegen.
Sein Gefühl sagte ihm,
dass an ihnen beiden
die Frucht wahrer Verwandtschaft und Abstammung blühte.
Deshalb ließ er ihm Ansehen zukommen und erzeigte er ihm höfisches Verhalten

[»juncherre« übersetze ich hier mit »Mann und Herr«, um den ständischen Aspekt hervorzuheben. Ob man das konsequent tun sollte? Es würde dann aber wohl etwas ungelenk wirken.]

Montag, 6. Juli 2015

3211-3220

gar inneclîche friuntschaft,
wan sippebluot daz hât die kraft,
daz ez vil kûme sich verhilt.
ez lachet mâgen unde spilt
engegen durch der ougen türe
und machet iemer sich her füre,
swâ friunt gesitzet friunde bî.
swie tiefe ez dâ verborgen sî,
ez wirt ze liehte schiere brâht:
dâ von der künic was verdâht

in ganz inniger Verwandtenfreundschaft zugetan,
denn das Blut der Abstammung, das hat die Kraft,
sich nur mit Mühe zu verbergen.
Es blickt die Verwandtenschar freundlich an und leuchtet
zu ihnen durch die Tür der Augen
und kommt stets zum Vorschein,
wo auch immer ein Verwandter bei einem Verwandten sitzt.
Wie tief auch immer es dort verborgen sei,
es wird sogleich ans Licht gebracht:
Dadurch war der König umso mehr

[Litotische Formulierungen wie »vil kûme« sind notorisch schwierig zu übersetzen.]

Freitag, 3. Juli 2015

3201-3210

wart sîn gemüete wider in.
sîn herze truoc in allez hin,
dâ der hôchgeborne saz.
in lêrte diu natûre daz
und der sippeschefte reht,
daz im der junge süeze kneht
wart übermæzeclichen trût.
swie Prîamus niht über lût
erkande, daz er was sîn kint,
doch truoc er im ân underbint

war sein Haltung ihm gegenüber.
Sein Herz zog ihn ganz dort hin,
wo der Hochgeborne saß.
Ihn lehrten das die Natur
und die Forderungen der Verwandtschaft und der Abstammung,
dass ihm der junge, reizende Knabe
über alle Maßen hinaus lieb und vertraut war.
Auch wenn Priamus nicht klar und deutlich
erkannte, dass es sein Kind war,
war er ihm doch uneingeschränkt

[Da ich »sippeschefte« nicht mit dem (heute wohl eher negativ konnotierten) »Sippschaft« übersetzen möchte, versuche ich den Bedeutungsbereich mit »Verwandtschaft und Abstammung« zu bezeichnen. Auch bei »trût« entscheide ich mich für eine Übersetzung mit zwei Begriffen.]

Donnerstag, 2. Juli 2015

3191-3200

über al des hoves rinc.
›seht‹, sprâchen si, ›der jungelinc
der wirt ein wunder z'einem man‹.
hier under sach in allez an
sîn vater, künic Prîamus.
daz in diu vrouwe Vênus
sô vil gerüemet hæte,
dâ von was im der stæte
mit herzeclichen triuwen holt.
gereinet als ein lûter golt

überall im Kreis des Hofes.
›Seht‹, sagten sie, ›der Jüngling,
der wird ein Wunder von einem Mann‹.
Dabei betrachte ihn sein Vater,
König Priamus, aufmerksam.
Weil ihn die Dame Venus
so sehr gerühmt hatte,
deshalb war ihm der Standhafte
mit von Herzen kommender Treue zugetan.
Gesäubert wie ein geläutertes Gold

Mittwoch, 1. Juli 2015

3181-3190

muoz den hort besitzen
von rîchtuom und von witzen.‹
Mit disen worten und alsô
wart Pallas unde Jûnô
gestillet und gesweiget.
genidert und geneiget
was ir hôchgemüete gar.
Pârîs wart von der göte schar
geprîset und gehêret.
sîn lop daz wart gemêret

einen Schatz besitzen wird an
Reichtum und Weisheit.‹
Mit diesen Worten und auf diese Weise
wurden Pallas und Juno
ruhiggestellt und zum Schweigen gebracht.
Ganz geschmälert und gegknickt
war ihr Hochgefühl.
Paris wurde von der Götterschar
gepriesen und gerühmt.
Seine Anerkennung wurde erhöht

Dienstag, 30. Juni 2015

3171-3180

von ime, die wîle daz ich lebe.
er muoz von mîner hôhen gebe
wîsheit erwerben unde schaz.
waz schadet im der widersaz,
den er von iu beiden hât,
swenn im diu helfe mîn gestât
mit vlîzeclicher andâht!
ich hab in dar zuo schiere brâht,
daz sîn armuot ist worden cranc
und er ân iuwer zweiger danc

auflösen, solange ich lebe.
Er muss durch meine hohe Gabe
Weisheit und Reichtum erlangen.
Was schadet ihm die Feindseligkeit,
die ihr beide gegen ihn hegt,
wenn ihm stets meine Hilfe beisteht
mit sorgfältiger Aufmerksamkeit?!
Ich habe ihn in kurzer Zeit dazu gebracht,
dass seine Armut schwach geworden ist
und dass er gegen den Willen von euch beiden

Montag, 29. Juni 2015

3161-3170

gestellet nâch dem hovesite.
im wont rîlîchiu tugent mite
und ist sô reine sîn gebâr,
als er vertriben sîniu jâr
habe in eines küniges sal.
lânt von im iuwer snœde zal,
vrô Pallas und vrô Jûne!
kein rede, noch kein rûne,
die man im ze leide tuot,
mac gescheiden mînen muot

an die höfischen Sitten angepasst.
Er verfügt über herrliche Fähigkeiten
und sein Auftreten ist so rein
als wenn er seine Jahre
in einem Königssaal zugebracht hätte.
Lasst ihn mit eurer erbärmglichen Aufzählung in Ruhe,
Frau Pallas und Frau Juno!
Keine Rede noch irgendein geheimes Geflüster,
womit man ihm schaden will,
kann meine Zuneigung zu ihm

[Bin ich der einzige, der den Gebrauch von »zal« hier ungewöhnlich findet?]

Freitag, 26. Juni 2015

3151-3160

ein hôher fürste möhte sîn.
ez wirt an sîner zühte schîn
und an sînem bilde wol,
daz man im êre bieten sol
mit werken und mit worten.
der Wunsch in allen orten
hât in gemachet wandels vrî.
swie lange er bî dem vihe sî
gewesen in dem walde,
doch hât er sich hie balde

ein großer Fürst sein dürfte.
Es wird an seiner Höflichkeit sichtbar
und auch leicht anhand seines Erscheinungsbildes,
dass man ihm Ehrerbietung entgegenbringen muss,
mit Werken und mit Worten.
Der Wunschtraum hat ihn allüberall
von aller Wandelbarkeit befreit.
Wie lange auch immer er bei dem Vieh
im Wald gewesen sein mag –
dennoch hat er sich hier schnell

Donnerstag, 25. Juni 2015

3141-3150

mit êren über manic lant.
Pârîse dem ist rîch gewant
gemæze wol von rehte;
wan er ist an geslehte
und an edelkeite rîch.
ouch ist er selbe dem gelîch,
daz er ein herre sîn von art.
sô tumber nie kein tôre wart,
sîn ouge daz enspürte,
daz Pârîs von gebürte

und genießt hohes Ansehen.
Glanzvolle Kleidung steht
Paris rechtmäßig zu;
denn er enstammt einer glanzvollen
Familie und glanzvollem Adel.
Außerdem ist er selbst von einer Gestalt,
die einem adeligen Herrn entspricht.
Kein Dummkopf war je so törricht,
dass sein Auge das nicht empfunden hätte,
dass Paris von Geburts wegen

Mittwoch, 24. Juni 2015

3131-3140

Vênus mit zorne in beiden.
si sprach: ›lânt iu niht leiden
den jungelinc, den ir hie sehent.
swie vaste ir beide von im jehent,
daz er ein armer hirte sî,
sô ist er doch von adele vrî
und eines hôhen künges fruht.
niht brechent an im iuwer zuht
mit rede und iuwer bescheidenheit!
sîn vater eine crône treit

Venus zornig ihnen beiden Antwort.
Sie sprach: ›Habt keinen Hass auf
den jungen Mann, den ihr hier seht.
Wie beharrlich auch immer ihr von ihm behauptet,
dass er ein armer Hirte sei –
dennoch ist er von Adel, frei geboren
und der Nachwuchs eines hohen Königs.
Ruiniert an ihm mit euren Reden
nicht eure höfische Erziehung, eure Verständigkeit und euer Urteilsvermögen!
Sein Vater trägt über viele Länder eine Krone

[Da ich »Verständigkeit« für ein semantisch nicht besonders zielgenaues Wort halte, ergänze ich »Urteilsvermögen«.]

Dienstag, 23. Juni 2015

3121-3130

ûz hirten künige bilden?
ir hânt ûz einem wilden
gebûre wunder hie gemaht.
diz cleit enwær im niht geslaht,
ob irs gelouben woltent.
niht êren ir den soltent
ze hôhe und alze sêre,
dem weder guot, noch êre
gemæze ist von gebürte.‹
der rede gap antwürte

aus Hirten Könige zu formen?
Ihr habt aus einem wilden
Bauern hier ein Wunderwerk geschaffen.
Diese Kleidung würde ihm nicht entsprechen,
auch wenn ihr daran glauben wolltet.
Ihr dürften den nicht
zu hoch und zu sehr ehren,
dem weder Besitz noch Ansehen
von Geburts wegen gebührt.‹
Auf diese Wort gab

Montag, 22. Juni 2015

3111-3120

huop sich dâ michel rûne.
vrô Pallas und vrô Jûne
die beide vil gemeine
erbunden im aleine
mit herzen und mit sinne,
daz Vênus, diu götinne,
het ûf in hôhen vlîz gewant.
si sprâchen wider si zehant:
›wâ nû, gespil, vrô Vênus,
wer hât gelêret iuch alsus

erhob sich da ein großes Geflüster.
Frau Pallas und Frau Juno,
die beiden machten gemeinsam
– mit Herz und Verstand –
nur ihn dafür verantwortlich,
dass Venus, die Göttin,
auf ihn große Sorgfalt verwendet hatte.
Sofort sprachen sie zu ihr:
›Was soll das, Gefährtin, Frau Venus,
wer hat euch das beigebracht,

[»erbinden« meint »lösen, befreien«, aber auch »verpflichten«. Nach einigem Nachdenken würde ich vermuten, dass gemeint ist, dass Paris die Schuld gegeben wird. Ganz sicher bin ich mir dabei allerdings nicht.]

Freitag, 19. Juni 2015

Zwischenstand

3110 Verse von ingesamt 49.861 macht, wenn ich richtig gerechnet habe, 6,24%.

3101-3110

vür daz gestüele wider kam
und man ze rehte war genam
des bildes und der cleider sîn,
dô wart im lop und êre schîn,
der manger im bôt unde maz.
der ê vil schœne stille saz,
der stuont im ûf engegen dô.
si wâren des gelîche vrô,
daz er nâch wunsche was becleit.
von sîner hôhen sælikeit

vor die Stühle gekommen war
und man seine Erscheinung und
seine Kleidung gebührend wahrnahm,
da zeigten sich ihm Lobpreis und Ehre,
die mancher ihm darbot und zuerkannte.
Wer zuvor schön stillgesessen war,
der stand nun, ihm zugewandt, auf.
Sie alle zeigten sich froh darüber,
dass er so bekleidet war, wie man es sich nur wünschen konnte.
Angesichts seiner großen Vollkommenheit

[Meint »im engegen« so etwas wie »ihm gegenüber«? Oder »ihm zugewandt«? Oder »zu ihm hin«?]

Donnerstag, 18. Juni 2015

3091-3100

und iuwer êweclîche ertoben.
man sol in prîsen unde loben
vür alle man besunder.
uns darf niht nemen wunder,
daz er sô rehte rihtet,
sît daz der Wunsch getihtet
als ûzgenomenlichen hât
sîn leben unde sîne wât.‹
Die rede tribens' under in.
nû daz Pârîs gegangen hin

und für immer darüber den Verstand verlieren.
Man muss ihn lobpreisen und rühmen
als einzigartig unter allen Männern.
Uns braucht nicht zu verwundern,
dass er so gerecht richtet,
hat doch die Wunschvorstellung
sein Leben und seine Kleidung
so außergewöhnlich geschaffen.‹
Dieses Gespräch führten sie untereinander.
Als nun Paris auf seinem Weg wieder 

[Warum »iuwer ertoben«, also doch wohl: »wegen euch anfangen zu toben (bzw. anfangen, den Verstand zu verlieren)«?]

Mittwoch, 17. Juni 2015

3081-3090

den man rîlîche stellent
und arme liute wellent
nâch fürsten figûrieren.
er kunde in wol gezieren,
swer in alsus gecleidet hât!
ez wart nie küniclicher wât,
noch keiserlicher man gesehen.
swer iemer des getürre jehen,
er künne vihes hüeten,
der müeze sich erwüeten

den Mann auf herrliche Weise ausstaffiert
und in der Lage ist, arme Leute
nach dem Vorbild von Fürsten zu formen.
Er wusste genau, wie man ihn herausputzt,
wer auch immer es war, der ihn so gekleidet hat.
Nie hat man königlichere Kleidung
oder einen kaiserlicheren Mann gesehen.
Jeder, der es je wagen würde, zu behaupten,
er könne das Vieh hüten,
der müsste in Wut geraten

Dienstag, 16. Juni 2015

3071-3080

gebunden hete mit ir kraft.
die vrouwen und diu ritterschaft
die kapften in ze wunder an.
si sprâchen alle: ›ist daz der man,
der niuwelîche von uns gie?
dur got, wer hât in denne hie
sô rehte wol gegestet?
seht, wie sîn bilde glestet
und allez, daz er an im treit!
nû schînet wol, daz rîchiu cleit

mit ihrer Macht gebunden hatte.
Die Damen und die Ritter,
die gafften ihn an wie ein Wunder.
Sie sagten alle: ›Ist das der Mann,
der jüngst von uns ging?
Bei Gott – wer hat ihn denn hier
so ganz wunderbar geschmückt?
Seht, wie seine Gestalt strahlt
und alles, was er an sich trägt!
Es zeigt sich klar, dass edle Kleidung

Montag, 15. Juni 2015

3061-3070

gegangen in des plânes rinc.
der ûz erwelte jungelinc
gie mit hovelicher state.
ûfreht alsam ein sumerlate
was sîn lîp ze mâzen lanc.
er hete keiserlichen ganc
und einen küniclichen site.
er gie mit schœner zühte mite
der minne meisterinne,
diu sînes herzen sinne

in das freie Rund.
Der begnadete Jüngling
ging in höfischer Stimmung.
Aufrecht wie ein junger, in einem Sommer entstandener Zweig
war sein angemessen großer Körper.
Er ging auf kaiserliche Art und Weise
und zeigte königliches Wesen und königlichen Anstand.
Er ging mit ansehnlicher Sittsamkeit bei
der Herrin der Minne,
die die Empfindungen seines Herzens

[»state« ist etwas unklar, was auch an der breiten, recht unspezifischen Definition der Wörterbücher liegt. »Stimmung« scheint mir in diesem Zusammenhang recht passend zu sein, betont aber vielleicht zu sehr die affektive Position der Anwesenden. »site« übersetze ich mit »Wesen« und »Anstand«, um das Bedeutungsspektrum anzuzeigen.]

Freitag, 12. Juni 2015

3051-3060

der hete cleiner bilde driu.
diu aller beste gâmahiu
was daz selbe spengelîn.
diu Minne was entworfen drîn
ûf ein gestüele hôhe enbor.
zwei bilde knieten in dâ vor
reht als ein wîp und als ein man,
diu beide crônte si dar an
mit ir handen wunnevar.
sus kam Pârîs gezieret dar

der drei kleine Skulpturen aufwies.
Diese kleine Spange
war aus dem allerbesten Kamee.
Darin war die Minne dargestellt
auf einem weit emporragenden Herrschersitz.
Zwei Figuren knieten davor,
ganz wie eine Frau und wie ein Mann,
die beiden krönte sie dort
mit ihren reizend aussehenden Händen.
So geschmückt kam Paris

[Wie eng soll man das »haben« von drei »Bildern« übersetzen? Ginge auch »Skulpturen zeigen«? Oder soll man wortwörtlich »Bilder haben« übersetzen? »gâmahiu« ist der Name eines Edelsteins; kann man das mit »Kamee« (http://de.wikipedia.org/wiki/Kamee) übersetzen?]

Donnerstag, 11. Juni 2015

3041-3050

dâ lac versigelt inne
diu süezekeit der minne,
wan swer in reden hôrte,
dem brach er unde stôrte
daz trûren, daz sîn herze leit.
im hiengen sîne löcke reit
gewunden ûf sîn ahselbein,
durchliuhtic wîz sîn kele schein
und spien dâ vor ein fürspan,
dâ was ein trôn erhaben an,

in der lag versiegelt
die Süße der Minne,
denn jeder, der ihn reden hörte,
dem unterbrach und irritierte er
das Trauern, unter dem sein Herz litt.
Ihm hingen seine gekräuselten Locken
bis hinab auf seine Schultern.
Von einem alles durchstrahlenden Weiß leuchtete sein Hals
und davor war ein Spange fixiert,
auf der sich ein Thron erhub,

Mittwoch, 10. Juni 2015

3031-3040

zwô smale brûne brâwen obe;
stirn unde nase wol ze lobe
wâren im dâ bî gestalt.
der Wunsch der hete mit gewalt
geschephet die figûre sîn.
durchliuhtic rôt als ein rubîn
was im der munt, des hœr ich jehen,
dar ûz man glenzen und enbrehen
wîz unde blanke zene sach.
ein zunge ûz sînem munde sprach,

zwei schmale, braune Brauen.
Stirn und Nase, die zurecht zu loben sind,
waren ihm dort mitgegeben.
Die Wunschvorstellung, die hatte mit Vehemenz und Macht
seine Figur geschaffen.
Von Licht rot durchströmt wie ein Rubin
war ihm der Mund, wie ich erzählen höre,
aus dem man weiße und reine Zähne
glänzen und hervorleuchten sah.
Aus seinem Mund sprach eine Zunge,

[Ich übersetze »gewalt« mit »Vehemenz und Macht«, weil mir das nhd. »Macht« semantisch derart diffus zu sein scheint, dass ein zweites Wort sinnvoll ist, um das Bedeutungsspektrum einzuschränken.]

Dienstag, 9. Juni 2015

3021-3030

lac durch liehtebæren solt.
sîn hâr als ein gespunnen golt
schein ûz dem schapelîne guot.
reht als ein milch und als ein bluot
wol under ein geflozzen
was im ein lîch gegozzen
under sîn antlitze gar.
er truoc zwei wangen rôsenvar
und eines valken ougen.
dâ stuonden âne lougen

wegen des glanzbringenden Lohns.
Sein Haar leuchtete wie gesponnenes Gold
aus dem guten Kranz hervor.
Ganz so wie die Milch und das Blut,
wenn sie schön ineinander geflossen sind,
war ihm ein Köper gegossen,
lückenlos, unterhalb seines Gesichts.
Zwei rosenfarbene Wangen trug er,
und die Augen eines Falken.
Darüber standen, ehrlich!,

Montag, 8. Juni 2015

3011-3020

daz si z'ein ander hôrten wol.
daz cleit daz was gezierde vol,
sô was der man schœn unde clâr.
im was ûf sîn gel reidez hâr
geleit ein edel schapelîn.
dâ wâren glanze gimmen în
gewürket und gevelzet
und was diu schine gesmelzet
von golde unmâzen reine,
dar inne daz gesteine

dass sie zweifellsohne zueinander gehörten.
Das Kleid, das war voll von Schmuck
und auch der Mann war schön und makellos.
Ihm wurde auf sein gelbblondes Haar
ein erlesener Kranz gelegt.
Dort waren hellglänzende Juwelen
eingearbeitet und eingelegt
und der Reif war von
Gold gegossen, das über alle Maßen rein war.
Darin lagen die Edelsteine

Freitag, 5. Juni 2015

3001-3010

was si mit hôhem vlîze wol.
von zobele swarz alsam ein kol
und ûz hermîne snêgevar.
diu veder ûz dem tuoche bar
ir blanken und ir brûnen glast.
diu cleider und der werde gast
diu stuonden wol ein ander an:
daz cleit daz êrte wol den man
und êrte wol der man daz cleit.
si wâren beide als ûf geleit,

war er sorgfältig, mit großer  Akribie,
aus Zobel, schwarz wie ein Stück Kohle,
und aus schneefarbenem Hermelin.
Dieses flaumige Pelzwerk erzeugte in diesem Tuch
seinen weißen und braunen Glanz.
Die Kleider und der herrliche Gast,
die passten gut zueinander:
das Kleid, das brachte dem Mann zweifellos Ansehen,
und Ansehen brachte der Mann gewiss dem Kleid.  
Sie beide waren derart zurechtgemacht,

[»veder« laut Lexer (auch) »flaumiges pelzwerk« (unter anderem mit Verweis auf diese Stelle). Das »ûflegen« im Vers 3010 ist mir nicht ganz klar – auch wenn die zugrundeliegende Handlung (eben ein »auflegen«) natürlich verständlich ist. Was mir fehlt, sind die semantischen Verästelungen. Gefunden habe ich z.B. »un-ûfgeleget«, »den verbrecher unaufgelegt (ohne auferlegung einer strafe) ledig lâssen«. Bis auf Weiteres scheint mir »zurechtgemacht« eine brauchbare Übersetzung zu sein.]

Mittwoch, 3. Juni 2015

2991-3000

het einen sunderlichen schîn.
swie nû niht wan sehs varwe sîn,
sô gleiz iedoch vil mangiu dâ,
diu niemer hie, noch anderswâ
bî keinen jâren wirt erkant.
daz selbe kleit und diz gewant
was z'einer wæte ein wunder.
ein fülle was dar under
gar edel von geslehte.
geworht schâchzabelehte

einen eigenen Glanz hatte.
Auch wenn es nun einmal nicht mehr als
sechs Farben gibt, leuchteten doch dort viele,
die niemals – zu keiner Zeit! –
hier oder anderswo gesehen werden.
Diese Kleidung und dieses Kleid
war ein textiles Wunder.
Dabei war auch ein Pelzfutter
von edler Abstammung. 
Schachbrettartig gefertigt

[»fülle«, laut Lexer (auch) »pelzfutter«.]

Dienstag, 2. Juni 2015

2981-2990

stuont wol nâch im geschræmet.
bestellet und gebræmet
mit schînâte was daz cleit,
den man ûz einer hiute sneit,
die truoc ein visch von wilder art.
kein ouge nie sô lûter wart,
daz sînen glanz erkande;
sô rehte maniger hande
varwe ûz im gleiz unde bran,
daz iegelichez hâr dar an

war sorgfältig auf ihn hin zurechtgeknickt.
Besetzt und verbrämt,
war das Kleid mit Scheinaten,
die man aus einer Haut schneidet,
die ein fremdartiger Fisch getragen hat.
Kein Auge wurde je so klar,
seinen Glanz zu erfassen.
Aus ihm leuchteten und flammten
eine solche Vielfalt an Farben,
dass jegliches Haar daran

[»schraemen« wird in Lexers Handwörterbuch mit »schräge machen, krümmen, biegen« angegeben (unter Verweis auf diese und eine weitere Trojanerkrieg-Stelle). Und: »schînât«: » eine kostbare fischhaut von dunkler od. blauglänzender farbe, mit der gewänder besetzt u. verbrämt wurden«.]

Montag, 1. Juni 2015

2971-2980

geheftet und gespenget.
daz cleit an in getwenget
stuont oberthalp den gêren
und was nâch vollen êren
niderthalben alsô wît,
daz er sich möhte bî der zît
dar inne wol verwalten.
man sach dâ vremder valten
ein wunder umb in swenken.
diu wât zuo den gelenken

befestigt und verklammert.
Das Kleid, das damit aneinandergedrückt wurde,
befand sich über dem Saum
und war, was voll und ganz angemessen war,
unterhalb so weit,
dass er sich jederzeit
darin gut bewegen konnte.
Man sah dort einen ungewöhnlichen Faltenwurf,   
wunderbar um ihn herum wallen und wogen.
Der Stoff an den Gelenken

[Kleidungsbeschreibungen nerven. »valte« muss nicht unbedingt »Faltenwurf« heißen; gemeint sein könnten z.B. auch »Verschlüsse«; wie genau man sich das vorzustellen hätte, ist mir nicht klar.]

Freitag, 29. Mai 2015

2961-2970

und alsô rehte vîn erdâht.
diu cleider wâren vollebrâht
rîlichen unde schône gnuoc.
roc unde suggenîe truoc
Pârîs der küniclichen wât,
diu niht z' ein ander doch genât
was mit vademen sîdîn.
dâ die næte solten sîn,
dâ wâren cleiniu vürspan
ûz golde wunneclichen an

und überaus fein erdacht.
Die Kleidungsstücke waren fertig
und sie waren herrlich und überaus schön.
Paris trug von diesem königlichen Stoff
den Rock und darüber das Kleid.
Der Stoff war nicht mit Hilfe eines seidenen Fadens
miteinander vernäht.
Dort, wo die Nähte sein müssten,
da waren kleine Spangen
aus Gold herrlich

[Mir fehlt eine kluge Übersetzung des ironischen »schône gnuoc«!]

Donnerstag, 28. Mai 2015

2951-2960

mit margarîten wâren
und mit ir schîne bâren
den ougen wunneclich gemach.
man spürte, weizgot, unde sach
ûf den strîfen steine gnuoc,
die kein gebirge nie getruoc,
noch diu erde brâhte für.
si wâren nâch des herzen kür
ûz tiefer sinne grunde
erwünschet mit dem munde

aufgesetzt und angebracht waren.
Mit ihrem Leuchten bereiteten die Streifen den Augen
ein herrliches Wohlbehagen.
Man spürte und – weiß gott! – man sah
auf den Streifen mehr als genug Steine,
die weder je von einem Gebirge getragen
noch von der Erde hervorgebracht wurden.
Sie waren, ganz nach Herzens Wunsch,
mit Hilfe des Mundes vom
Grund tiefer Sinne und tiefen Denkens hergewünscht

[Um das Bedeutungsspektrum von »sin« anzudeuten, übersetze ich mit »Sinne und Denken«.]

Mittwoch, 27. Mai 2015

2941-2950

was in des halben teiles velt.
ûf ez was hôher koste gelt
geleit durch vrîen übermuot.
daz ander teil der wæte guot
was ein purper vîolvar
mit hovelichem vlîze gar
nebent den cyclât gesniten.
dâ wâren strîfen în gebriten
ûz grüener sîden vingers breit,
die wol besetzet und beleit

in den Bereich der einen Hälfte. Dafür wurde,
was die Kosten anbelangt, großer Aufwand
getrieben mit unbekümmerter, stolzer Gesinnung.
Die andere Hälfte der vortrefflichen Kleidung
bestand aus einem purpurnen veilchenfarbenen Kleiderstoff,
der mit höfischer Gewissenhaftigkeit so zugeschnitten wurde,
dass er direkt an den golddurchwebten Seidenstoff angrenzte.
Da waren Streifen hineingeflochten,
einen Finger breit, aus grüner Seide,
auf die Perlen schön

[Ist »velt« hier ein heraldischer Fachbegriff? In Lexers Mittelhochdeutschem Handwörterbuch wird unter anderem angeführt: »feld im wappen, auf dem schilde, der fahne«. Ich ergänze ein »angrenzen«, weil ich sonst keinen verständlichen Satz zuwege bringe.]