Freitag, 17. Juli 2020

13021-13030

umb den schæper wol vernomen:
ez was von kranker sache komen,
daz Lâmedon sîn ende kôs
und manger sît den lîp verlôs,
der ouch ersterben muoste alsô.
ir wâren gnuoc verdorben dô,
doch wart ir tûsent warbe mê,
die sît des grimmen tôdes wê
dar umbe liten âne schult.
vernemen ir daz alle sult,

die Sache mit dem Vlies, genau gehört:
Es war ein geringer Anlass,
der dazu führte, dass Lamedon sein Leben ließ
und dass so manch einer danach umkam
und sterben musste, wegen dieser Sache.
Viele gingen dort zugrunde,
doch waren es tausend Mal mehr,
die danach, aus diesem Grund, und ohne eigene Schuld
das Leid des schrecklichen Todes erlitten.
Ihr werdet davon erfahren, 

Donnerstag, 16. Juli 2020

13011-13020

und alle die von Kriechenlant.
ir herze liebes wart ermant,
dô sich ir heil gemêret het.
si brâhten opfer und gebet
ir göten algelîche
ze Kriechen in dem rîche.
Nû hân ich iu vil gar gesagt,
wie manger in den tôt gejagt
ze Troye wart durch cleinez dinc.
ir hânt des mæres ursprinc

und so auch all diejenigen aus Griechenland.
Erfreut wurde ihr Herz,
hatte sich doch ihr Heil vermehrt.
Sie alle brachten im griechischen Reich
ihren Göttern
Opfer und Gebete dar.
Nun habe ich euch bis zum Schluss erzählt,
auf welche Weise viele zu Troja aus geringem Anlass
in den Tod gehetzt wurden.
Ihr habt ja den Ausgangspunkt der Geschichte,

Mittwoch, 15. Juli 2020

13001-13010

hordes nie sô vil bejaget,
sô die Kriechen unverzaget
von Troye brâhten in ir lant.
si fuorten rîchen prîsant
an ir kielen wider hein.
ir ungemüete daz verswein
und wart ir leben wunneclich,
wan Hercules der hete sich
gerochen dô nâch sîner ger:
des lepte in hôhen vröuden er

so viel Schätze nicht erobert,
wie sie die unerschrockenen Griechen
aus Troja in ihre Heimat brachten. 
Große Reichtümer brachten sie
auf ihren Schiffen mit nach Hause.
Was sie an Kummer hatten, das verflüchtigte sich,
und sie führten ein angenehmes Leben,
hatte doch Herkules
seine Rache vollzogen, so, wie er es gewollt hatte.
Deshalb lebte er ein glückliches Leben

Montag, 13. Juli 2020

12991-13000

und wolten ez gelîche haben.
die mûren wurden und die graben
zergenget und zervellet:
sus heten si gestellet
mein unde mort ze Troie.
in hôher wunne joie
kêrten si ze lande.
mit guote manger hande
ir schif geladen wâren.
ez wart in manigen jâren

und wollten es zu gleichen Teilen besitzen. 
Die Mauern und Gräben wurden
demoliert und zerstört.
So hatten sie dann also in Troja
Gräuel und Gemetzel angerichtet 
und kehrten in ihre Heimat zurück
und waren dabei höchstvergnügt und richtig happy. 
Mit vielerlei Gütern 
waren ihre Schiffe beladen. 
Seit vielen Jahren hat man 

Freitag, 10. Juli 2020

12981-12990

die burger wâren alle tôt,
des wart dâ marterlîchiu nôt
beschouwet und gehœret.
zerbrochen und zerstœret
wart diu veste wunneclich.
die Kriechen rîche machten sich
mit roube und mit gewinne,
wan si nâmen drinne
golt, silber und gesteine:
daz teilten si gemeine

Die Stadtbewohner waren alle tot,
so dass man dort quälendes Unglück und Leiden
sehen und hören konnte.
Verwüstet und zerstört
wurde die schöne, befestigte Stadt.
Die Griechen bereicherten sich 
mit Raub und Beute,
denn sie namen dort  
Gold, Silber und Edelsteine.
Das teilten sie untereinander

Donnerstag, 9. Juli 2020

12971-12980

der in die stat des mâles dranc,
dâ von im leider wol gelanc
an der juncfrouwen minne.
er nam die maget drinne
und fuorte si ze lande sît.
dâ lebte er mit ir lange zît
in herzeclicher liebe kraft,
doch hete er si ze friuntschaft
und niht ze stæteclicher ê.
waz touc hie lange rede mê?

der damals in die Stadt eindrang
und deshalb war er, bedauerlicherweise, 
was das Lieben der jungen Dame anbelangt, erfolgreich.
Er ergriff dort in der Stadt die Jungfrau
und nahm sie danach mit in sein Land.
Dort lebte er mit ihr lange Zeit
in Freude, die von Herzen kam, – 
doch war sie seine Geliebte 
und nicht seine angetraute Ehefrau.
Was soll ich lange davon berichten?

Mittwoch, 8. Juli 2020

12961-12970

sô glanz und alsô reine,
daz von vleisch noch von beine
nie schœner bilde wart bekant.
Esŷonâ was si genant
und hete ganzer tugende ruom.
ir reinen kiuschen magetuom
velôr diu sælig unde ir prîs.
her Thelamon wart ir âmîs,
wan er ze wîbe si gewan.
er was der aller êrste man,

die so schön und rein war,
dass man nie ein schöneres Bildnis
aus Haut und Knochen gesehen hat. 
Esyona hieß sie
und ihre Vortrefflichkeit war weithin bekannt.
Ihre reine, unschuldige Jungfräulichkeit
verlor die Fromme – und ihr Ansehen.
Herr Thelamon wurde ihr Liebhaber,
denn er machte sie zur Frau.
Er war der allererste Mann, 

Dienstag, 7. Juli 2020

12951-12960

dar inne sêre brogeten;
die frouwen si nôtzogeten
und die megde wol getân.
swaz der man dâ wolte hân
von wîben, des gewan er gnuoc.
si triben grôzen ungefuoc
und jæmerlicher minne spil.
dâ wart begangen meines vil,
der süntlich und unedel hiez.
der künic eine tohter liez

ließen dort ihrem Übermut freien Lauf.
Sie vergewaltigten die Damen 
und die hübschen Dienerinnen.
Was auch immer ein Mann dort von Frauen 
haben wollte, davon bekam er genug.
Sie richteten großen Schaden an
und nötigten zu entsetzlichem Geschlechtsverkehr.
Viele Schandtaten wurden dort verbrochen,
die sündig waren und barbarisch. 
Der König hinterließ eine Tochter,

Montag, 6. Juli 2020

12941-12950

ir kleinen kint si truogen
und rouften unde sluogen
sich beide stille und offenbâr.
si brâchen ab ir gelwez hâr
und zarten abe ir lindez vel.
dâ wart vil manic stimme hel
gehœret von geschreie.
diu nôt was manigerleie,
diu sich huop in der veste.
die meintætigen geste

trugen sie ihre kleinen Kinder
und rauften und schlugen
sich sowohl heimlich als auch für alle sichtbar.
Sie rissen sich ihr blondes Haar heraus
und kratzten sich ihre weiche Haut ab.
Viele hohe Stimmen konnte man dort
schreien hören.
Die Not, die nun in der Stadt herrschte,
war umfassend und allgegenwärtig.
Die Fremden, die furchtbar zu Werke gingen, 

Freitag, 3. Juli 2020

12931-12940

brâhten si vil manigen lîp.
die reinen wunneclichen wîp
liten angest unde nôt
umb ir lieben manne tôt
und umb ir selbes smerzen.
ir lîbe noch ir herzen
wart nie sô winde noch sô wê.
die Kriechen liezen dâ niht mê
die frouwen sich erbarmen.
an linden blanken armen

stürzten sie viele Menschen. 
Die redlichen, wohlanzusehenden Frauen
litten Angst und Not,
wegen des Todes ihres Mannes
und wegen ihres eigenen Leids.
Weder ihre Herzen noch ihr Körper
hatte je solches Leid erfahren.
Die Griechen ließen es dort nicht lang zu,
dass die Damen sich bemitleideten. 
Auf zarten, nackten Armen

Donnerstag, 2. Juli 2020

12921-12930

daz an Troiæren dâ geschach.
des grimmen tôdes ungemach
die burger algemeine liten.
die Kriechen drungen unde riten
in die veste mit gewalt.
si sluogen beidiu junc und alt,
daz dennoch lebende was beliben.
si stalten jâmer unde triben
mein unde mort dar inne.
ze grôzem ungewinne

die die Trojaner dort ereilten.
Gemeinsam erlitten die Bürger
den beschwerlichen, schrecklichen Tod.
Die Griechen ritten und drängten
mit Gewalt in die Stadt.
Sie erschlugen Jung und Alt;
alle, die noch am Leben waren.
Leid schufen sie; Schandtaten verübten sie dort
und sie richteten ein Gemetzel an.
In großes Unglück

Mittwoch, 1. Juli 2020

12911-12920

von strîte hie ze sagene,
daz mir niht touc ze klagene
vil mangen ritterlichen degen,
der vor Troie tôt gelegen
was erbermeclîche.
diz buoch sô rederîche
wirt von kampfes bîle,
daz ich niht hân der wîle,
daz ich gezel besunder
daz jæmerlîche wunder,

zu erzählen haben, 
dass es keinen Sinn für mich macht,
die zahlreichen ritterlichen Kämpfer zu beklagen,
die vor Troja jämmerlich
den Tod fanden.
Dieses Buch wird noch, was die Kämpfe angeht, 
derart gesprächig sein,
dass ich nicht die Zeit habe,
detailliert von den erbarmenswerten Schicksalen
zu erzählen,