Montag, 30. April 2018

9051-9060

und saz hin an daz bette rîch.
dô tet Mêdêâ dem gelîch,
als der ûz slâfe erwachet ist.
›ach herre,‹ sprach si bî der vrist,
›wâ wârent ir sus lange?
mir tet der slâf sus ange,
daz ich vil kûme des erbeit,
daz ich hie nider wart geleit.‹
›Frouwe, daz ist guot,‹ sprach er,
›der künic liez mich ê niht her,

und setzte sich auf das prächtige Bett. 
Da verhielt sich Medea so 
wie diejenigen, die gerade aufgewacht sind.
›Ach, mein Herr‹, sagte sie dann,
›wo wart ihr so lange?
Mich hat der Schlaf so übermannt,
dass ich kaum erwarten konnte,
mich hier hinzulegen.‹
›Verehrte Dame, das ist gut so‹, sagte er,
›der König ließ mich nicht früher gehen,

Donnerstag, 26. April 2018

9041-9050

von golde und von gesteine.
diu küniginne reine
ir ougen hete zuo getân,
sam si geslâfen solte hân;
sus tet diu minneclîche magt.
Jâson, der ritter unverzagt,
nam dekeiner bliucheit war.
daz deckelachen wunnevar,
daz tiure und edel was erkant,
daz huop er ûf mit sîner hant

durch das Gold und die Edelsteine.
Die makellose Königin
hatte ihre Augen geschlossen,
als hätte sie geschlafen –
so verhielt sich die liebenswerte junge Frau.
Jason, der unerschrockene Ritter,
zeigte keine Schüchternheit.
Das Bettlaken, das schön anzusehende,
dessen Wert und Vorzüglichkeit man sehen konnte,
das hob er mit seiner Hand hoch  

Mittwoch, 25. April 2018

9031-9040

dar under sich dô leite.
Jâson der wart gereite
von der meisterinne brâht.
als iu dâ vorne wart gedâht,
sus tet daz wîse kamerwîp.
si nam des werden gastes lîp
bî der hende tougen
und fuorte in sunder lougen
zuo der vrouwen bette dan,
daz lieht als ein gestirne bran

legte sich unter diese Decke.
Kurze Zeit später wurde Jason
von der Erzieherin gebracht.
Ganz so, wie euch dort vorn erläutert wurde,
verhielt sich die kluge Kammerdienerin. 
Sie nahm den angesehenen Gast
diskret bei der Hand
und führte ihn dann tatsächlich
zum Bett der Dame,
das so hell wie der Sternenhimmel leuchtete, 

Dienstag, 24. April 2018

9021-9030

die glizzen drûz sô vaste,
daz von ir drîer glaste
diu kemenâte wart erlûht.
ez möhte drinne hân gedûht
diu naht ein wunneclicher tac.
ein purper ob dem bette lac
geworht von rîchen sachen.
ez wart nie deckelachen
sô wæhe noch sô tiure.
Mêdêâ diu gehiure

die strahlten so herrlich aus ihm heraus,
dass von dem Glanz dieser drei
das Kaminzimmer erleuchtet wurde. 
Man konnte dort meinen, es sei nicht Nacht,
sondern ein angenehmer Tag.
Auf dem Bett lag ein kostbarer Seidenstoff,
hergestellt aus edlem Material. 
Nie gab es eine Bettdecke,
die so vollkommen und so wertvoll war.  
Medea, die Bezaubernde,

Montag, 23. April 2018

9011-9020

wol zierent wîbes minne.‹
sus gienc diu meisterinne
zuo dem werden gaste sider
und leite sich diu vrouwe nider
ûf ein spanbette reine,
gedrât von helfenbeine
und ûzer mâzen wunnevar.
ez was gezieret unde bar
den ougen liehtebæren solt.
gesteine, silber unde golt,

schmücken die Liebe der Frau.‹
Nach diesen Worten ging die Erzieherin
zu dem angesehenen Gast 
und die Dame legte sich 
in ihr schönes, auf Bändern ruhendes Bett,
mit Pfosten, die aus Elfenbein gemacht waren.
Es war unglaublich schön anzusehen.
Verziert war es und es zahlte
den Augen strahlenden Lohn.
Edelsteine, Silber und Gold, 

Freitag, 20. April 2018

9001-9010

swenn ich in bringe tougen.
besliezent iuwer ougen,
als ob ir hânt geslâfen sît.
swie vaste er iu ze herzen lît,
doch sît ze balt niht wider in.
tuont dem gelîch, als iuwer sin
niht von im verwundet sî.
belîbent ungebærde vrî,
daz ist iu guot für itewîz.
scham unde reiner zühte vlîz

sobald ich ihn heimlich hierher bringe?
Schließt eure Augen,
als wenn ihr geschlafen hättet. 
Wie nahe er auch eurem Herzen sein mag,
lasst euch nur nicht zu schnell auf ihn ein.  
Tut so, als wäre euer Denken und Wollen 
nicht durch ihn verwundet.
Verzichtet auf unsittliches Verhalten,
das bewahrt euch vor übler Nachrede.
Scham und der Wille zu einwandfreier Sittsamkeit

Donnerstag, 19. April 2018

8991-9000

als er nû kæme gênde
und iuch hie fünde stênde
sus spâte und alterseine,
er wânde, vrouwe reine,
iu wære z'im sô nôt, daz ir
vor inneclicher liebe gir
möhtent keine ruowe hân:
dâ von geruochent nidergân
ûf iuwer bette linde,
daz er iuch hie niht vinde

Wenn er nun herbei käme,
und euch hier anträfe, wie ihr so herumsteht,
so spät und ganz allein,
er würde denken, ehrenwerte Herrin, 
dass ihr euch derart nach ihm sehnt, dass ihr
vor lauter tief gefühltem, freudigem Begehren
nicht zur Ruhe kommen könnt.
Wollt ihr euch deshalb nicht lieber hinlegen
auf euer weiches Bett,
damit er euch nicht so antrifft, 

Mittwoch, 18. April 2018

8981-8990

›vrouw, ich tuon, des ir hânt gegert.
den ritter edel unde wert
füer ich her în vil drâte;
doch volgent mînem râte
und legent nider iuch zehant
an iuwer bette rîch erkant,
daz er iuch niht sus vinde hie!
er möhte denken, daz ir nie
gewünnent ganzer stætekeit,
ob ir niht hætent iuch geleit.

›Herrin, ich werde tun, wonach ihr verlangt. 
Ich bringe den edlen, angesehenen Ritter,
schleunigst hierher;
tut ihr aber, wozu ich euch rate 
und legt euch sogleich hin
in euer prächtiges Bett,
damit er euch nicht so wie jetzt vorfindet!
Er könnte denken, dass es euch
an tadelloser Selbstbeherrschung fehlt,
weil euch nicht hingelegt habt. 

8971-8980

an herzen und an lîbe.
wird ich im niht ze wîbe
und er mir z'eime manne,
wie sol ich armiu danne
genesen und gewerben?
ich muoz bî namen sterben,
tuot mich sîn minneclicher trôst
von sender swære niht erlôst.‹
Der rede antwürte gap ir dô
diu meisterîn und sprach alsô:

an meinem Körper und auch an meinem Herzen.
Wenn ich nicht zu seiner Frau werde
und er nicht zu meinem Mann,
wie soll ich dann in meinem Elend
am Leben bleiben und weiter mein Leben führen?  
Wahrlich, ich werde sterben,
falls er mich nicht liebevoll tröstend 
von sehnsuchtsvoller Betrübnis erlöst.‹
Auf diese Rede antwortete
die Erzieherin dann folgendermaßen:

Montag, 16. April 2018

8961-8970

sô ganc vil tougenlîche z'im.
den gast dû bî der hende nim
lîs unde füere in her zuo mir,
wan ich hân mînes herzen gir
mit ganzer stæte ûf in gewant.
dâ von sô brinc in alzehant,
sô man beginne slâfen.
mich hât der minne wâfen
durch in versêret an den grunt.
ich bin von im ze tôde wunt

gehst du heimlich, still und leise zu ihm. 
Nimm den Gast vorsichtig bei der Hand
und führ ihn her zu mir,
denn ich hab mein tief empfundenes Begehren
ganz fest auf ihn gerichtet.
Bring ihn deshalb gleich dann,
wenn man sich schlafen legt.
Mich haben die Waffen der Liebe
seinetwegen gravierend verwundet.
Lebensgefährlich bin ich seinetwegen verletzt,

Freitag, 13. April 2018

8951-8960

well iemer alle mîne tage,
sô merke reht, waz ich dir sage,
unde tuo, des ich dich bite.
sihstû den ritter wol gesite,
den ich dir gezeiget hân,
sô der nû slâfen welle gân
und er sich nider legen sol,
sô merke dû sîn bette wol
mit der angesihte dîn.
und sô die liute entslâfen sîn,

mein ganzes Leben lang,
musst du genau aufpassen, was ich dir sage,
und tun, worum ich dich bitte.
Siehst Du den tugendhaften Ritter,
den ich dir gezeigt habe?
Wenn der nun zu Bett geht
und sich schlafen legt,
dann merke dir genau, 
und mit eigenen Augen, wo sich sein Bett befindet.
Und sobald die Leute eingeschlafen sind, 

Donnerstag, 12. April 2018

8941-8950

daz sich die geste leiten
und daz man in bereiten
begunde ir bette wunneclich;
des vröute dô vil harte sich
diu werde küniginne.
si rief ir meisterinne,
der al ir tougenheit was kunt,
und zeigte ir an der selben stunt
den werden gast Jâsônen.
si sprach: ›daz ich dir's lônen

dass die Gäste sich schlafen legten
und dass man ihnen ihre
angenehmen Betten zurecht machte. 
Darüber freute sich die
angesehene Königin riesig.
Sie rief ihre Erzieherin,
die alle ihre Geheimnisse wusste,
und zeigte ihr dann Jason,
den angesehenen Gast.
Sie sagte: ›Damit ich dich dafür stets belohne,  

Mittwoch, 11. April 2018

8931-8940

dur daz man sich niht leite noch.
si gienc von einer wende loch
von dem vensterlîne dan,
dur daz si luogen dô began,
ob ieman slâfes wolte pflegen.
nû was der hoveschal gelegen
und diu kurzewîle dô.
der künic, vrîlich unde frô,
gienc unde sleich an sîn gemach.
diu schœne, diu kôs unde sach,

weil sie noch immer allein war.
Sie ging weg vom Fenster,
zu dem Loch in der Wand,
durch das sie nachgesehen hatte,
ob man vorhätte, sich schlafen zu legen. 
Jetzt schließlich legte sich das festliche Getöse
und auch das Vergnügen. 
Der unbekümmerte und zufriedene König
ging leise in sein Zimmer.
Die Schöne merkte und sah, 

[Macht 8932f. Sinn? Sie steht ja gerade am Fenster und geht jetzt wohl zurück zu dem »Loch« in der Wand, durch das sie zuvor die Festgesellschaft beobachtet hatte…]

Dienstag, 10. April 2018

8921-8930

daz man hie tâlanc wachete
und vremde liute machete
urdrützic unde træge.
swer kruzewîle pflæge
zuo rehter zît, der tæte wol.
mæzlichen schal man üeben sol,
wan aller gemelicher schimpf
ist âne mâze ein ungelimpf.‹
Dâ mite si aber dô gesweic.
ir herze in ungemüete seic,

dass man hier tagein, tagaus wach ist
und Leute aus der Fremde
in den Überdruss treibt und in den Müßiggang. 
Wer sich zur rechten Zeit vergnügt,
der handelt richtig.
Maßvoll soll man feiern,
denn jeder ausgelassene Spaß wird,
hemmungslos betrieben, zum Ärgernis.‹
Mit diesen Worten fiel sie wieder in Schweigen.
Ihr Herz sank in Trübseligkeit hinab,

Montag, 9. April 2018

8911-8920

mit ir selber aber sît.
si sprach: ›diu schœne tagezît
beginnet nâhen unde komen.
diu naht ein ende hât genomen
schier und in kurzer wîle gar.
der tiuvel neme die hoveschar,
daz si die geste niht enlât
sich legen ûf ir bettewât
und an ir ruowe kêren.
man dorfte niht der êren,

so manche Berechnung an. 
Sie sagte: ›Die schöne Tageszeit
nähert sich und bricht heran.
Die Nacht wird bald, in nächster Zeit schon, 
ganz vorbei sein. 
Die ganzen Hofleute soll der Teufel holen,
weil sie die Gäste nicht gehen lassen,
und die sich also nicht Schlafen legen 
und zur Ruhe begeben können. 
Um den Ruf hat sich niemand bemühen brauchen, 

Freitag, 6. April 2018

8901-8910

dur daz begunde si dô sehen.
diu schœne glenzen und enprehen
sach den liehten mânen.
die süezen wol getânen
sîn glanzer schîn belûhte,
dâ von diu clâren dûhte
dest ungefüeger alzehant,
daz man den künic dennoch vant
dâ sitzende ûfe sînem sal.
si treip vil manger hande zal

und blickte dann dort hinaus.
Die Schöne sah den hellen Mond
funkeln und erstrahlen.
Seine glänzenden Strahlen erleuchteten
ihre reizende Schönheit;
und deshalb schien es der Herrlichen
auch sogleich umso unsinniger,
dass der König noch immer
in seinem Saal saß.
Sie stellte dann in Gedanken

[Hier leuchtet, strahlt und glänzt es mal wieder ganz massiv; und die Epitheta klingen im Neuhochdeutschen manchmal recht sperrig.]

Donnerstag, 5. April 2018

8891-8900

vil manigen vluoch geswinde,
daz er daz hofgesinde
niht wolte slâfen heizen gân.
nû daz diu maget wol getân
het an daz bette sich geleit
mit clegelicher arebeit,
dô stuont si wider ûf zehant,
wan si dekeine ruowe vant
an der vil schœnen bettestat.
an ein venster si dô trat,

mit so manchem hastigen Fluch,
weil er die Hofgesellschaft
nicht zum Schlafen schicken wollte. 
Als sich die schöne junge Frau nun
mit beschwerlichen Wehklagen
auf das Bett gelegt hatte,
da stand sie sofort wieder auf,
weil sie auf der sehr schönen Schlafstätte
keine Ruhe fand.
Sie stellte sich nun an ein Fenster

Mittwoch, 4. April 2018

8881-8890

und wil mich nider legen dran,
biz dirre liebe süeze man
sich berâte, daz er kome;
ez ist alsus ze nihte vrome,
daz ich sîn tâlanc bîte alhie.‹
mit disen worten si dô gie
zuo dem bette wunneclich.
si leite dran mit leide sich
und in seneclicher nôt.
si gap ir vater unde bôt

und mich dort hineinlegen,
bis dieser liebe, süße Mann
sich dazu entschließt, hierher zu kommen;
so bringt es ja nichts und ist auch nicht gut,
dass ich hier die halbe Nacht auf ihn warte.‹
Mit diesen Worten ging sie dann
zu dem schönen Bett.
Bekümmert und von Sehnsucht gequält
legte sie sich dort hin.
Sie verwünschte ihren Vater

Dienstag, 3. April 2018

8871-8880

von herzesüezer minne.
diu werde küniginne
begunde sprechen aber dô:
›wie tuon ich, tumbiu maget, sô?
wes bin ich hie bestanden?
mîn êre in disen landen
verswînet und verswindet,
ob ieman daz bevindet,
daz ich sus üppeclichen stên.
ich wil reht an mîn bette gên

durch herzbezaubernde Liebe.
Die angesehene Königin
sagte dann wiederum:
›Was mache ich hier überhaupt, ich dummes Kind?
Was stehe ich hier wie angewurzelt?
Das Ansehen, das ich in diesem Land habe,
vergeht und verschwindet,
wenn jemand merkt,
dass ich so nichtsnutzig herumstehe.
Ich will – ganz anständig – zu meinem Bett gehn