Freitag, 23. Dezember 2016

6391-6400

geschepfet des juncherren muot;
wan sîn rîlichez herze guot
wart in si gedrücket
und hete an sich gezücket
vil schiere und ouch vil drâte
daz bilde von dem râte,
den im Schŷron dâ leite vür.
mit eigenlicher willekür
tet er niht anders, denne wol.
swaz z’eime haggen werden sol,

der Wille des jungen Herrn geformt;
denn sein kostbares, gutes Herz
wurde in sie gedrückt
und riss augenblicklich  
und auch sehr schnell
das Vorbild der Ratschläge an sich,
die ihm Schyron dort erteilte.
Aus eigenem Willen heraus
handelte er nie anders als gut.
Ganz früh krümmt sich all das,  

Donnerstag, 22. Dezember 2016

6381-6390

daz er die lêre sanfte enphienc,
die von Schŷrônes munde gienc
und in sîn edel herze flôz.
vür sîn gemüete niht enschôz
der unbescheidenheite rigel.
alsam daz wahs ein ingesigel
formieret nâch dem bilde sîn,
swenn ez gedrücket wirt dar în,
seht, alsô wart vil sêre
nâch sînes meisters lêre

dass er die Lehre leicht aufnahm,
die von Schyrons Mund ausging
und in sein edles Herz floss. 
Vor das Tor seines Denkens und Wollens war
kein Schloss der Uneinsichtigkeit angebracht worden.  
Ganz so wie das Wachs jedes Mal
ein Siegel nach seinem Bild formt,
wenn es hinein gedrückt wird,
seht, genau so wurde 
nach der Lehre seines Meisters

Mittwoch, 21. Dezember 2016

6371-6380

dar ûf twanc er sich alle wege.
sîn meister hete in sîne pflege
juncherren vil genomen her,
die niht sô vlîzeclîche als er
nâch sîner lêre tâten.
daz er sô wol gerâten,
vür mangen was besunder,
des nem iuch lützel wunder.
Sîn werder lîp der was geslaht
und alsô linde in sîner maht,

dazu verpflichtete er sich ein jedes Mal.
Sein Lehrmeister hatte zuvor
viele junge Herren in seine Obhut genommen,
die nicht so eifrig wie er 
seiner Lehre folgten.
Dass dies einzig bei ihm allein 
und nicht bei den anderen so gut gelang,
darüber braucht ihr euch nicht wundern.
Sein edler Körper, der war dafür gemacht
und so geschmeidig in seiner Gewalt,

Dienstag, 20. Dezember 2016

6361-6370

daz niendert lebet sîn gelîch.
ez wart nie knabe sô tugentrîch,
noch alsô ellenthaft geborn.
sîn dinc nâch wunsche ist ûz erkorn.‹
Seht, alsô wart gerüemet
und wol mit lobe geblüemet
der hôchgemuote Achilles.
sîn herze vleiz sich alles des,
daz wirde heizen mohte;
swaz hôhen êren tohte,

dass es nirgendwo seinesgleichen gibt. 
Nie wurde ein so tüchtiger 
und kühner Junge geboren. 
Seine Situation ist ideal; sein Schicksal einzigartig.‹
Seht, auf diese Weise wurde der
glückselige Achill gepriesen
und mit Lob schön geschmückt. 
Sein Herz strebte nach allem,
was man als Ehre bezeichnen kann.
Alles, was ihm hohes Ansehen zu versprechen schien,


[»dinc« kam in den vergangenen Versen mehrmals vor und mittlerweile vermute ich, dass es eher mit »Schicksal«, »Geschick« o.ä. zu übersetzen ist. Das Grimm’sche Wörterbuch hat unter Punkt sieben im Artikel »ding« auch »lage, angelegenheiten, umstände«; dazu ließen sich ja vieleicht auch »Stellung« und »Situation« ergänzen.]

Montag, 19. Dezember 2016

6351-6360

sîn lîp begêt und anderswâ.
man suoche hie, dort unde dâ,
man vindet keinen jungelinc,
der sô vermezzenlîchiu dinc
in blüender jugent vollendet habe.
er ist ein zwelfjæriger knabe,
des ellent mâze niht enhât.
schouw al diu welt an sîne getât
und zitter vor der hende sîn;
ez wirt an sînem werke schîn,

und auch anderswo verursacht.
Man suche hier und dort und da,
man findet keinen jungen Mann,
der es geschafft hat, derartige Kühnheiten
in seiner blühenden Jugend zu vollbringen.
Er ist ein zwölfjähriger Knabe,
dessen Mut keine Grenzen kennt.
Möge die ganze Welt auf seine Taten sehen
und zittern vor seinen Händen;
An seinen Leistungen wird sich zeigen,

Freitag, 16. Dezember 2016

6341-6350

wart sîner werdekeite vrô.
die liute sprâchen alle dô
gemeinlîch und besunder:
›wart ie sô vremdez wunder
begangen, als Achilles tuot?
sô vrevel, noch sô wol gemuot
wart nie geborn kein irdisch man,
der getörste blicken an
daz griuwelîche unbilde,
daz in der wüeste wilde

war froh über sein hohes Ansehen.
Dort sagten alle Leute
öffentlich und nichtöffentlich:
›Hat jemals jemand so außergewöhnliche Wundertaten
vollbracht, wie sie Achill vollbringt?
Nie wurde auf der Erde ein Mann zur Welt gebracht, 
so kühn und so voller Wagemut,
der es wagte, den grauenerregenden
Frevel anzuschauen,
den er in der unwirtlichen Wüste

Donnerstag, 15. Dezember 2016

6331-6340

Sus manicvaltiu wunder
begienc der helt besunder
und tet sô vrevelîchiu dinc,
daz in des landes umberinc
mit lobe sîn nam geblüemet fuor
und man des bî den göten swuor,
ez lepte niendert sîn genôz.
sîn prîs durchliuhtic unde grôz
ze Kriechen was und anderswâ;
daz wîte lant Tessaliâ

Allerhand solcher Wundertaten
verübte der Held ohne fremde Hilfe
und er machte so mutige Sachen,
dass in der Umgebung des Landes
sein Name die Runde machte, mit Lobesworten geschmückt,
und man bei den Göttern schwur,
dass nie jemand gelebt hat, der ihm gleicht.
Sein Ansehen war hell erleuchtet und groß,
in Griechenland und darüber hinaus;
das große Land Tessalia

Mittwoch, 14. Dezember 2016

6321-6330

lêrt in vil âventiure.
in wazzer und in fiure
wart er ein getürstic man.
swâ von urliuge ein hûs enbran,
dâ muoste Achilles loufen în
und rouben mit der hende sîn,
swaz er bereites drinne vant;
swenne ez allez was enbrant,
sô lief er durch die heizen gluot
und nam dar ûz vih unde guot.

lehrte ihn viele gefahrvolle Unternehmungen.
Im Wasser und im Feuer
wurde er zu einem kühnen Mann.
Wo auch immer durch Streit und Krieg ein Haus in Flammen stand,
dort hinein musste Achill laufen
und mit eigenen Händen alles rauben,
was er an tragbaren Sachen darin fand.
Dann, wenn alles brannte,
dann lief er durch die heiße Glut
und holte dort Vieh und Besitz heraus. 

Dienstag, 13. Dezember 2016

6311-6320

mit dem schilte sîn enphie:
swenn in sîn meister ane lie
von dem gebirge loufen abe,
sô stuont der ellentrîche knabe
still an des berges fuoze
und hete dise unmuoze,
daz er ûf sînen buggeler
den grôzen stein lie walzen her
und sînen grimmen louf enthielt.
Schŷron, der hôher künste wielt,

mit seinem Schild abwehrte.
Wann auch immer ihn sein Lehrmeister 
loslaufen ließ, hinunter von dem Gebirge,
dann stand der tapfere Junge
still am Fuß des Berges
und vertrieb sich damit die Zeit,
dass er auf sein mit einem Schildbuckel versehenes Schild
den großen Stein zurollen ließ
und seinen wilden Lauf aufhielt.
Schyron, der über großes Wissen verfügte, 


[Wie kann man »buggeler« so ins Neuhochdeutsche übersetzen, dass sich die Leser eine Vorstellung von der Art des Schildes machen können?]

Montag, 12. Dezember 2016

6301-6310

begân sus vrevelîchiu dinc.
zwelfjæric was der jungelinc,
dô sîn kraft diz allez tete.
er was an iegelicher stete
der beste in allen strîten
und wart ze beiden sîten
vür den tiursten dâ gezelt.
der junge hôchgeborne helt
sô creftic und sô vrevel schein,
daz er einen mülstein

solch kühne Dinge unternehmen.
Zwölf Jahre alt war der junge Mann,
als seine Kraft dies alles zustande brachte.
Er war an allen Orten
der Beste in allen Kämpfen
und wurde dort auf beiden Seiten
für den Ausgezeichnetsten gehalten.
Der junge, hochgeborene Held
zeigte sich so kräftig und so verwegen,
dass er einen Mühlstein

Freitag, 9. Dezember 2016

6291-6300

wie diz gesinde væhte
und er sich drunder vlæhte
mit sîn selbes crefte.
Schŷron ze ritterschefte
den juncherren twanc alsô.
mit vrecher hende muoste er dô
vil manigen stechen unde slahen;
er gôz dâ bluotes mangen trahen
und schriet vil tiefer wunden.
man sach in z'allen stunden

wie diese Kriegsleute kämpfen,
und er sich mit seiner Kraft
mitten unter sie menge.
Auf diese Weise zwang
Schyron den jungen Herren zur Kriegerschaft.
Da musste er mit mutiger Hand
gar viele durchbohren und darnieder schlagen;
Da vergoss er das Blut vieler Drachen
und schlug viele tiefe Wunden.
Man sah ihn zu jeder Zeit

[Sollte man »ritterschefte« mit »Ritterschaft« oder »Rittertum« übersetzen?]

Donnerstag, 8. Dezember 2016

6281-6290

die Lafficî dâ hiezen,
zesamene si dâ stiezen
mit kampfe z'aller zîte.
nieman kunde ir strîte
gescheiden noch gestillen;
dâ von Schŷron Achillen
hiez under si dô kêren,
durch daz man in gelêren
strîten möhte deste baz,
swenn er mit ougen sæhe daz,

die dort Laffici hießen.
Sie trafen dort immerzu
im Kampf aufeinander.
Niemand war in der Lage, ihren Krieg
zu schlichten oder zu befrieden.
Deshalb bekam Achill von Schyron
die Anweisung, sich zu ihnen zu gesellen,
damit man ihm das Kämpfen
umso besser lehren würde,
immer dann, wenn er sehe,

Mittwoch, 7. Dezember 2016

6271-6280

dô truogen bî den jâren:
ros unde man si wâren,
und was ir muot gar ellentrîch;
Schŷrône wâren si gelîch,
als ich von in geschriben vant;
Centaurî wâren si genant
und kunden mit geschütze wol.
die selben liute zornes vol
begunden sich urliuges wenen
und vâhten alle zît mit jenen,

zweierlei Gestalt hatten:
Sie waren Pferd und Mann
und sie waren in höchstem Maße tapfer.
Sie ähnelten Schyron.
Centauri wurden sie genannt,
so zumindest habe ich das in Büchern gefunden,
und sie konnten sehr gut schießen.
Eben diese zornerfüllten Leute
hatten sich an den Krieg gewöhnt
und kämpften immerzu mit jenen,

[Ich halte mich nicht an die Interpunktion des mhd. Textes, sondern setze nach 6274 einen Punkt.]

Dienstag, 6. Dezember 2016

6261-6270

daz ûf dem gebirge lac
und der wilden welde pflac
mit bûwe und mit geriute;
die selben starken liute
wâren Lafficî genant,
und was ir muot ûf strît gewant.
Si dûhte urliuge ein wunnespil.
ouch wonte dâ ze lande vil
der liute ûf dem gevilde,
die zweiger hande bilde

das sich auf dem Gebirge niedergelassen hatte
und wie die Wilden lebte
mit Feldbau und mit Rodungen;
diese starken Leute
wurden Laffici genannt
und sie waren erpicht darauf zu kämpfen.
Für sie war der Krieg wie ein freudiges Spiel.
Außerdem lebten im dortigen Gebiet, auf dem Land,
viele von den Leuten,
die damals, in dieser Zeit

Montag, 5. Dezember 2016

6251-6260

ûf unde nider als si flügen.
wie sîne blanken hende bügen
diu sper in manic stückelîn,
des nam Schŷron, der meister sîn,
sêr und genôte goume.
er lêrte in bî dem zoume
daz ors ze rehte kêren.
er kunde in wol gelêren
mit worten und mit handen.
ein volc was in den landen,

auf und ab, als wären es Flügel.
Wie er mit seinen weiß strahlenden Händen
die Speere in viele Stückchen knickte,
das nahm Schyron, sein Lehrmeister,
genau und mit eifriger Aufmerksamkeit wahr.
Er brachte ihm bei, das Pferd
mit dem Zügel auf die rechte Art zu wenden.
Er wusste, wie er gut zu unterweisen war,
mit Hilfe von Worten und der Hände.
In diesem Gebiet gab es ein Volk,   

Freitag, 2. Dezember 2016

6241-6250

diu wurden sîner hende zam.
er vienc ir mangez unde nam;
dar ûf der hôchgeborne saz.
sîn meister lêrt in allez daz,
des man ûf orsen pflegen sol;
wand er kund in geheizen wol,
daz er daz ors vil ûz erkorn
mit grimmen und mit scharpfen sporn
behendeclîche ruorte
und beide schenkel fuorte

die in seinen Händen zahm wurden.
Er fing und nahm sich einige davon;
auf ihnen saß der Hochgeborne.
Sein Lehrmeister brachte ihm alles darüber bei,
wie man sich auf Pferden zu verhalten hat,
denn er wusste ihm genau zu sagen,
wie er das sorgfältig ausgewählte Pferd
auf rücksichtslose Weise mit scharfen Sporen
geschickt voranzutreiben habe;
beide Schenkel bewegte er

Donnerstag, 1. Dezember 2016

6231-6240

allen sînen kumber tragen.
der tiere wart sô vil erslagen
von sîner vrechen hende balt,
daz œde stuont der wîte walt,
und man niht wildes drinne kôs.
Achilles wart nie sigelôs,
swenn er begunde strîten.
Schŷron der lêrte in rîten
und üeben ritterschefte spil.
er vant dâ wilder rosse vil,

musste er ertragen, als wäre es ein Spaß.
Durch seine kühnen, mutigen Hände
wurden so viele von den Tieren erschlagen,
dass der große Wald entvölkert war
und man keine wilden Tiere mehr darin fand.
Achill blieb nie ohne Sieg,
ganz egal, wann er zum Kampf antrat.
Schyron, der brachte ihm bei zu reiten
und ließ ihn die ritterlichen Kampfspiele üben.
Er fand dort viele wilde Pferde,