Dienstag, 31. Mai 2016

5131-5140

und ûf mîn êre küniclich.‹
›trût herre, sô vernement mich,‹
sprach der hirte dô zehant,
›lânt werden hie vür mich besant
den wirt, der hînaht mich enthielt
und der bescheidenheite wielt,
daz er mîn tugentlichen pflac.
sît er mit vride reden mac
und iuwer hulde haben sol,
sô bewær ich mit im wol

und mit meinem königlichen Ansehen.‹
›Lieber Herr, dann hört mir zu‹,
sagte der Hirte gleich darauf,
›Lasst für mich den Wirt herholen,
bei dem ich heute Nacht einquartiert war
und der über das Pflichtgefühl verfügte,
sich untadelig um mich zu kümmern.
Da er die Freiheit hat, zu reden,
und euer Wohlwollen behalten wird,
so beweise und bezeuge ich mit ihm gewiss

Montag, 30. Mai 2016

5121-5130

het endelîche erfunden.
den künic bî den stunden
diz mære dûhte wunderlich.
er sprach: ›wer des bewîset mich,
daz Pârîs von mir ist geborn,
hât er verdienet mînen zorn,
ich lâze in stæte hulde hân;
swaz er mir leides hât getân,
daz sol im gar vergeben sîn.
daz nim ich ûf die triuwe mîn

schlussendlich entdeckt habe.
Seinerzeit schien dem König
diese Neuigkeit merkwürdig zu sein.
Er sagte: ›Wer mir beweisen kann,
dass Paris mein Sohn ist,
für den behalte ich mein beständiges Wohlwollen,
auch wenn er meinen Zorn verdient hätte.
Welches Leid auch immer er mir angetan hat,
dass ist ihm ganz und gar vergeben.
Dafür stehe ich mit meiner Treue

Freitag, 20. Mai 2016

5111-5120

fuort er in sunder twâle
und seite im zuo dem mâle,
daz er gesprochen hæte,
wie Pârîs, der stæte,
sîn sun von adele wære,
ob er die wâren mære
von im vernemen wolte,
daz er den lâzen solte
vrid unde stæte hulde haben,
der die wârheit umb den knaben,

führte er ihn ohne zu zögern
und sagte ihm sogleich,
dass er erzählt habe,
wie der redliche und treue Paris
sein Sohn sei und von edlem Stand und
dass er, wenn er die wahre Geschichte
von ihm hören wolle,
ihm Sicherheit und beständiges Wohlwollen
gewähren müsse, ihm,
der die Wahrheit über den Jungen

Donnerstag, 19. Mai 2016

5101-5110

umb daz leben hie geschiht,
daz in der künic verderbet niht,
sô wirt diu lûter wârheit
ân allen valsch von im geseit.‹
Hector wart von der rede vrô.
swert unde buggelære dô
warf er nider in den rinc.
der hôchgeborne jungelinc
den hirten bî der hende nam.
vür sînen vater lobesam

sein Leben garantiert wird,
so dass ihm der König kein Leid geschehen lässt,
dann wird nichts als die Wahrheit
ohne jede Lüge von ihm gesagt.‹
Hector freute sich über das Gesagte.
Schwert und Schild warf er daraufhin
auf dem Kampfplatz zu Boden.
Der junge Mann von hoher Geburt
nahm den Hirten bei der Hand.
Vor seinen rühmenswerten Vater

Mittwoch, 18. Mai 2016

5091-5100

entsliezen Prîamô daz dinc,
wie Pârîs, der jungelinc,
sîn êlich sun geheizen müge.
hie wirt bewæret âne trüge
und in einer kurzen vrist,
daz er sîn kint von adel ist.
wie man den hulde haben lât,
der von ende die getât
und die rehten sache weiz,
ob im sô sicherlich geheiz

die Sache dem Priamus zu enthüllen,
warum Paris, der junge Mann,
sein ehelicher Sohn heißen darf.
Hier wird bewiesen, ohne Betrügereien,
und innerhalb kurzer Zeit,
dass er sein Kind ist, edlen Standes.
Sobald man sich demjenigen gewogen zeigt,
der um das Geschehene und
die exakten Vorgänge voll und ganz Bescheid weiß,
wenn ihm dann verlässlich

Dienstag, 17. Mai 2016

5081-5090

dar zuo bedarf man ziuge wol.‹
›herr, ich beziuge, wenne ich sol,
daz mîniu wort sint ungelogen.
Pârîs, den ich dâ hân erzogen,
der ist des edelen künges barn.
ob dû die wârheit wilt ervarn
umb den hôchgebornen knaben,
Hector, sô lâ den fride haben,
der mîn geziuc hie werden sol.
hilf im, daz er getürre wol

Zeugen braucht.‹
›Herr, ich bezeuge, wenn ich muss,
dass das, was ich gesagt habe, nicht gelogen ist.
Paris, den ich fernab von hier großgezogen habe,
der ist das Kind des ehrbaren Königs.
Wenn Du die Wahrheit über den
hochgeborenen Knaben erfahren möchtest,
Hector, dann gewähre dem den Frieden,
der hier mein Zeuge sein wird.
Hilf ihm, dass er sich gern traut,

Sonntag, 15. Mai 2016

Neue Ausgabe

Konrad von Würzburg: ›Trojanerkrieg‹ und die anonym überlieferte Fortsetzung. Hrsg. v. Heinz Thoelen und Bianca Häberlein. (Wissensliteratur im Mittelalter 51) Wiesbaden 2015.

Vor kurzem ist eine neue Ausgabe des ›Trojanerkriegs‹ erschienen, die in Zukunft die im Jahr 1858 erschienene Ausgabe Adelbert von Kellers ersetzen wird. Ich habe mir – recht willkürlich – vier Passagen von jeweils dreißig Versen ausgewählt, um die beiden Ausgaben zu vergleichen.

Innerhalb der ersten dreißig Verse kann ich keine signifkanten Unterschiede erkennen. Das »wolfeile« statt »wol veile« (27) steht und <f> statt <v> gesetzt wird, ist im Rahmen einer Normalisierung eine legitime Entscheidung der Herausgeber. In den Versen 541-570 fällt abgesehen von divergierenden Normalisierungsentscheidungen der Vers 541 auf. Keller schreibt »und den lebetagen sîn«, während es in der neuen Ausgabe »und den lebetage sîn« heißt. Das entspricht dem Lemma in Lexers Handwörterbuch (»lëbe-tac, lëbe-tage«); der Lesartenapparat indes zeigt, dass die Textzeugen Adac »leb(e)tagen« haben (wobei ich nicht verstehe, warum an dieser Stelle zwei Mal die Handschrift d angeführt wird). Wegen dieses Handschriftenbefunds würde ich auch bei dieser Stelle nicht von einer signifikanten Abweichung sprechen. In den Versen 2271-2300 kann ich ebenfalls keine signifikanten Unterschiede entdecken. Spannender wird es in der letzten Textpassage (Verse 4371-4400). Im Vers 4397 nämlich steht bei Keller »tougenlichen«; in der neuen Ausgabe allerdings »tugentlîchen«. Das ist nun tatsächlich eine inhaltlich relevante Differenz, denn es macht einen Unterschied, ob die Göttin Venus »unauffällig« (wie ich übersetzt habe) oder gar »heimlich« irgendwo sitzt – oder aber »tugendhaft«, »edel«, »anmutig« oder ähnliches. Beim Blick in den Handschriftenapparat sieht man, dass die Handschrift d »tugenliche« hat; alle anderen vollständigen Handschriften haben »tougenlichen«. Die Herausgeber haben sich also allem Anschein nach entschieden, der Handschrit d zu folgen und zudem noch ein <t> ergänzt, um die Stelle eindeutig zu machen. Notwendig scheint mir eine solche Konjektur allerdings nicht zu sein, schließlich ist »tugenliche« zu nahe an der übrigen Überlieferung, die sich eindeutig für die Heimlichkeit oder Unauffälligkeit entscheidet.

Natürlich lässt sich anhand dieser vier kurzen Textpassagen kein Urteil über die Gesamtausgabe treffen. Außerdem muss ich schon aus Gründen des Urheberrechts beid er älteren Ausgabe bleiben. Auf jeden Fall gibt es nun (endlich) die Möglichkeit, sich einen sicheren Überblick über die handschriftliche Überlieferung zu verschaffen; allein dies ist schon sehr viel wert. 

Freitag, 13. Mai 2016

5071-5080

beide ûf leben und ûf lîp,
daz Ekubâ, daz werde wîp,
truoc Pârîsen, der hie stât.
diu wârheit mich niht liegen lât,
daz in diu künigîn gebar.‹
›wie bist dû worden des gewar?‹
sprach aber Hector sâ zehant,
›friunt, sage, wâ von ist dir bekant
diz niuwe fremde mære?
daz man diz dinc bewære,

mit meinem Leben und auch mit meiner Person,
dass Ekuba, die angesehene Frau,
mit Paris, der hier steht, schwanger ging.
Die Wahrheitsliebe erlaubt mir nicht zu verheimlichen,
dass ihn die Königin geboren hat.‹
›Wie hast du das erfahren?‹,
fragte Hector sogleich,
›Freund, sag, woher weißt du
diese unglaubliche, bisher unbekannte Neuigkeit?
Es ist klar, dass man, um diese Sache zu beweisen,

Donnerstag, 12. Mai 2016

5061-5070

durch dînen vrechen übermuot;
vergiuz niht hie dîn sippebluot
und schône dînes verhes!
dîn heil daz würde entwerhes
hie loufend ûf der erden,
swie Pârîs solte werden
erslagen von dir offenbâr,
wan er dîn bruoder ist für wâr.‹
›ist er mîn bruoder?‹ sprach er z’ime.
›jâ, herre, ich setze ez unde nime

nur weil du gerade kühn und übermütig bist.
Denke an deine Verwandtschaft und Familie
und verschone dein eigen Fleisch und Blut!!
Dein Glück würde sich sonst, hier auf Erden,
in die entgegengesetzte Richtung bewegen,
wenn Paris von dir öffentlich
erschlagen werden würde,
weil er – ungelogen! – dein Bruder ist.‹
›Er ist mein Bruder?‹ sagte er zu ihm.
›Ja, Herr, dafür bürge ich und tue das

[Ich übersetze »sippebluot« mit »Verwandtschaft und Familie«, was wohl nicht so ›stark‹ ist wie das mhd. Wort, das Problem für heutige LeserInnen aber wohl deutlich werden lässt. Um etwas von der ›Energie‹ des Originals in die Übersetzung zu retten, übersetze ich das (sowieso nicht leicht zu übersetzende) »verh« mit »Fleisch und Blut« (was vom ›Lexer‹ aber sowieso auch als Übersetzungsmöglichkeit angeboten wird).]

Mittwoch, 11. Mai 2016

5051-5060

Der hirte, des ich hân gedâht,
den hete dar gelücke brâht
Pârîse z’einer sælikeit.
er stuont ouch an dem ringe breit,
in dem geschirmet wart alsô.
den stich het er gemerket dô,
den Hector wolte hân getân.
des rief er z’im: ›lâ stân, lâ stân!
vil hôchgeborner jungelinc,
beganc niht übellîchiu dinc

Der Hirte, von dem ich gesprochen habe,
den hatte schicksalhafter Zufall dorthin geführt
und das war für Paris ein Glücksfall.
Auch er stand an dem breiten Kampfkreis,
in dem – wie beschrieben – mit den Schilden verteidigt wurde.
Er hatte erkannt, dass Hektor
den Hieb plante,
deshalb rief er ihm zu: ›tu’s nicht, tu’s nicht! –
edler, junger Mann von hoher Geburt!
Tu’ nichts Bösartiges,

[Ich versuche hier (wie schon an anderen Stellen) »gelücke« so zu übersetzen, dass ein Spannungsfeld von »Glück«, »Zufall«, »Schicksal«, »Vorsehung« etc. deutlich wird.]

Dienstag, 10. Mai 2016

5041-5050

erzürnet bî den stunden,
daz von den jagehunden
ze vaste wirt gerüpfet.
sîn herze wart gelüpfet
ûf grimmeclichen ernest;
des het er aller gernest
den slac an im gerochen.
daz swert wolt er gestochen
durch Pârîsen hân zehant:
dô wart ez von geschiht erwant.

in Zorn, der
von den Jagdhunden
zu sehr zerrauft wird.
Sein Herz richtete sich auf
zu wütendem Ernst.
Deswegen hätte er mit größtem Vergnüngen
den Schlag an ihm gerächt.
Augenblicklich wollte er das Schwert
durch Paris stoßen –
da wurde er durch Zufall daran gehindert.

[Ich übersetze »lüpfen« mit »aufrichten«, weil mir dies anschaulicher zu sein scheint als »hochheben«, »emporheben«, »hochziehen« o.ä.]

Montag, 9. Mai 2016

5031-5040

z’ein ander und gestâchen,
daz si ze jungest brâchen
mit zorne irn gemelichen schimpf.
Pârîs sô grôzen ungelimpf
unwizzenlîche dâ begienc,
daz Hector einen slac enphienc
von im, der in beswârte.
in dûhte, daz er vârte
ze sêre und alze harte sîn;
des wart er als ein eberswîn

sie so sehr aufeinander ein,
dass sie zuletzt von ihrem heiteren
Kampfspiel zornig abließen.
Paris verhielt sich da nämlich (ohne
es zu wissen) so überaus taktlos,
dass Hector einen Schlag von
ihm einstecken musste, der ihm zu schaffen machte.
Er hatte den Eindruck, dass er es zu
sehr und mit übermäßiger Härte auf ihn abgesehen habe.
Dadurch geriet er sogleich wie ein Eber

Freitag, 6. Mai 2016

5021-5030

dâ hinder stuonden si gebogen
und heten ûz diu swert gezogen,
diu lûhten unde glizzen.
ir zene si dô bizzen
z’ein ander, als in wære zorn.
die jungen künige hôchgeborn
giengen dâ ze bîle;
durch hübsche kurzewîle
triben si daz hovespil.
iedoch gesluogens’ alsô vil

standen gebückt dahinter
und hatten die glänzenden und leuchtenden
Schwerter gezückt.
Dabei hatten sie ihre Zähne
zusammengebissen, als ob sie zornig seien.
Die jungen, hochgeborenen Könige
begannen dann mit dem Kampf;
des höfischen Zeitvertreibs wegen
spielten sie das höfische Spiel.
Allerdings schlugen und stachen 

Mittwoch, 4. Mai 2016

5011-5020

von sîner hôchgezîte dô.
Pârîs und Hector wâren frô
getreten beide in einen rinc
dur diu behendeclichen dinc,
daz si dâ schirmens pflâgen.
si vlizzen unde wâgen
sich dar zuo vil sêre,
daz manger hande kêre
von in geschach hin unde her.
si buten für die buggeler,

über seinen Festtag.
Paris und Hector hatten gemeinsam
und fröhlich einen ringförmigen Kampfplatz betreten,
wo sie sich mit dem Verteidigen mit dem Schild beschäftigen wollten,
der Geschicklichkeit und Übung wegen.
Sie zeigten dabei viel Einsatz
und waren sehr darum bemüht,
dass es bei diesem Hin und Her zu
vielen wechselseitigen Schläge von ihnen kam.
Sie reckten die in der Mitte mit Metall beschlagenen Schilde nach vorne

[Dieser Abschnitt ist etwas freier übersetzt, damit auch LeserInnen mitkommen, die sich mit den geschilderten Kampftechniken und -praktiken nicht auskennen. In stilistischer Hinsicht bin ich mit diesem Abschnitt noch nicht so ganz glücklich.]

Dienstag, 3. Mai 2016

5001-5010

dô nam der selbe hirte
urloup zuo sînem wirte
und îlte engegen hove dan,
ûf dem vil manic hôher man
vröud unde kurzewîle pflac.
der künic der begie den tac,
an dem sîn muoter in gebar,
und hete vil geladet dar
der fürsten ûz dem rîche;
die vröuten sich gelîche

da bat eben dieser Hirte
seinen Gastgeber um Abschied
und beeilte sich anschließend, zum Hof zu kommen,
wo sich so mancher angesehene Mann
dem Vergnügen und der Freude widmete.
Der König, der feierte den Tag,
an dem ihn seine Mutter geboren hatte,
und eingeladen hatte er zu sich
viele von den Fürsten des Reiches.
Diese freuten sich da ebenso

Montag, 2. Mai 2016

4991-5000

und ein erweltiu vrouwe hôch,
den ich von einem kinde zôch.‹
Mit den gedenken er entslief.
sîn wunne michel unde tief
was von dem mære worden;
vröud unde liebes orden
het er an sich gewunnen.
des morgens dô der sunnen
glanz durliuhtic unde clâr
begunde ûf glesten offenbâr,

und eine hervorragende hohe Dame,
den ich von Klein auf erzogen habe.‹
Mit diesen Gedanken schlief er ein.
Seine Freude war durch die Neuigkeit
groß und kärftig geworden.
Er stellte sich in den Dienst der
Heiterkeit und der Freude.
Am Morgen, als die hell und ungetrübt
leuchtenden Strahlen der Sonne damit begannen,
das Glänzen hervorzubringen und allen sichtbar zu machen,