Montag, 31. August 2015

3561-3570

wan er dûht in ze junc dar zuo,
daz er sô schiere und alsô fruo
für manigen solte strîten.
dâ von er bî den zîten
bat sêre und ouch vil tiure
den jungelinc gehiure,
daz er sîn vehten lieze stân.
der strît der müeste für sich gân
von al der ritterschefte.
ern hete niht an krefte

denn er schien ihm dafür zu jung zu sein,
um so bald und so frühzeitig
für viele zu kämpfen.
Deshalb bat er augenblicklich
den anmutigen jungen Mann
eindringlich und auch sehr inständig,
dass er das Kämpfen sein lasse.
Der Kampf müsse von
der gesamten Ritterschaft geführt werden.
Seinen Fähigkeiten fehle es an

Freitag, 28. August 2015

3551-3560

ûf den clê von touwe naz,
diz ist doch wæger, denne daz
vil manic werder ritter
hie næme ein ende bitter.‹
Nû daz Hector gesprach alsus
und dô sîn vater Prîamus
vernam, daz im wart ernest,
dô het er aller gernest
des kampfes in erwendet.
sîn vröude wart verswendet,

auf den blumengezierten, taunassen Rasen,
dann ist dies doch besser als wenn
sehr viele angesehene Ritter
hier ein bitteres Ende nähmen.‹
Als nun Hector das gesagt hatte
und sein Vater Priamus
hörte, dass es ihm ernst war,
da hätte er ihn am liebsten
vom Kampf abgehalten.
Seine Freude war vernichtet,

[Für »clê« bittet der Lexer »mit kleeblumen gezierter rasen« als Übersetzungsmöglichkeit an.]

Donnerstag, 27. August 2015

3541-3550

in der göte ritterschaft,
ob ieman sô gemuothaft
getürre sîn dar under,
daz er mich nû besunder
und alters eine hie bestê.
wan zwâre ich wil, wie mirz ergê,
selb ander kempfen hiute
vür al die werden liute,
die sich ze strîte hânt bereit.
wirt unser einer tôt geleit

in der Ritterschaft der Götter,
ob jemand unter ihnen es wagt,
so mutig zu sein,
dass er mir nun einzeln
und ganz allein hier entgegentritt.
Denn wahrlich, ich will, egal was mir passiert,
mit jemand anderem heute kämpfen
vor all den angesehenen Leuten,
die sich für den Kampf bereitgemacht haben.
Geht einer von uns tot zu Boden

Mittwoch, 26. August 2015

3531-3540

vind einen kampfgeverten,
sô muoz man hie beherten,
wer Pârîsen füere hin.
man lâze beidiu mich und in
hie vehten für iuch alle.
und swer dar under valle,
der stê der sigenüfte vrî
und habe sîn widerteil dâ bî:
Pârîsen und des siges wal.
nû heizent schrîen über al

einen Kampfgefährten finde,
dann muss durch einen Kampf entschieden werden,
wer Paris mit sich nehmen wird.
Man lasse beide, mich und ihn,
hier für euch alle kämpfen.
Und egal wer dabei zu Boden gehe,
der lasse dem Sieger die Freiheit
und sein Gegner soll damit
Paris haben und die Entscheidungsgewalt des Triumphes.
Lasst nun überall ausrufen

Dienstag, 25. August 2015

3521-3530

ze sînem vater Prîamô:
›niht gâhent, herre mîn, alsô!
lânt iu niht sîn ze strîte nôt!
ê daz den bitterlichen tôt
hie manic ritter kiese
und âne schult verliese
daz leben, er enwizze wie,
sô wil ich ê selb ander hie
für beide parte strîten.
ob ich bî disen zîten

zu seinem Vater Priamus:
›Hetzt doch nicht so, mein Herr!
Macht doch den Krieg nicht zur Notwendigkeit!
Bevor sich hier manchen Ritter
den bitteren Tod erwählt
und ohne Schuld das Leben
lässt, ohne recht zu wissen wie,
so will ich lieber hier mit einem andern
für beide Seiten kämpfen.
Wenn ich hier und jetzt

Montag, 24. August 2015

3511-3520

wolten si dâ snîden.
man sach von glanzer sîden
dâ glesten manic wâpencleit,
dar în mit golde was geleit
vil manic wunderlicher stein.
nû daz die schar sich under ein
ze beiden sîten wolten weben
und in der wille wart gegeben,
daz si gesprancten ûf den rinc,
dô rief Hector, der jungelinc,

wollten sie dort abernten.
Viele Waffenkleider aus glänzender Seide
sah man dort leuchten,
worin so mancher sonderbare Stein
in Gold eingelegt war.
Als sich nun die Schar
auf beiden Seiden miteinander verbinden wollte
und sie die Absicht hatten,
in den Ring zu galoppieren,
da rief Hector, der junge Mann,

[Sagt man »in Gold eingelegt«?]

Freitag, 21. August 2015

3501-3510

huoben si dô krieges vuoc.
Discordiâ niht wolte gnuoc
mit der vîentschefte hân,
die si geworfen und getân
het under die gotinne,
si wolte ouch grôz unminne
sæjen underz ander her,
dâ von si beidenthalp ze we
schier unde balde kâmen.
der missehelle sâmen

begannen sie dort, sich zum Kampf vorzubereiten.
Discordia wollte sich nicht mit
der Feindschaft begnügen,
die sie unter die Göttinnen
geworfen und unter ihnen geschaffen hatte,
sie wollte auch großen Hass
säen unter das weitere Volk;
deshalb waren sie auf beiden Seiten schnell
kampfbereit und kamen bald daher.
Den Samen der Zwietracht

[»krieges vuoc« ist schwer zu übersetzen; es meint hier wohl, dass der Anlass (Paris) und der drohende Kampf ineinandergreifen und effektiv werden.]

Donnerstag, 20. August 2015

3491-3500

diu sich dâ heben wolte.
die hôchgezît er solte
vor unzühten wol bewarn;
des reit er dô mit sînen scharn
gewâpent sêre unz ûf die zene
und wolte dâ dis und jene
mit liebe hân verslihtet.
dô was ir muot gerihtet
ze vaste ûf grimmeclichen zorn.
umb den juncherren hôchgeborn

der dort im Begriff war, loszubrechen.
Er schickte sich an, das Fest
vor Sittenlosigkeit rundum zu schützen,
deshalb ritt er da mit seinen Truppen
die bis zu den Zähnen massiv bewaffnet waren,
und wollte dort beide Seiten
freundlich und liebenswürdig miteinander versöhnen.
Doch waren sie zu sehr
von erbitterter Wut ergriffen.
Wegen des hochgebornen jungen Herrn

Mittwoch, 19. August 2015

3481-3490

vil schiere sîne ritterschaft.
swaz hôher künige dô mit kraft
zuo der hôchgezîte was,
die nam er an sich unde las
und wart bereit ze strîte.
sich hete bî der zîte
zehant ein grôz gestœze erhaben
umb den vil wunneclichen knaben,
wan daz her Mars enzwischen reit,
dem was diu grôz unfuoge leit,

seine Ritter alarmiert.
Ganz egal, welche hohen Könige dort mit
Heeresmacht bei dem Fest waren,
die wählte er aus und nam sie zu sich
und wurde zum Kampf bereit.
Zu dieser Zeit hatte sogleich
ein großes Handgemenge wegen
des anmutigen jungen Mannes begonnen,
bis dass Herr Mars dazwischen ritt,
dem der große Irrsinn leid war,

Dienstag, 18. August 2015

3471-3480

Nû disiu rede alsus geschach,
daz her Jûpiter gesprach
diu wort ûz sînem munde,
dô wart in kurzer stunde
bereit sîn ingesinde gar.
gewâpent sêre und îsenvar
wart geste vil durch sîn gebot.
swer dâ geheizen was ein got,
der kam ze helfe im alzehant.
ouch hete Prîamus gemant

Als diese Erklärung sich so begab,
und Herr Jupiter aus seinem Mund
diese Worte gesprochen hatte,
da hatten sich binnen kurzer Frist
all seine Diener und Gefolgsleute bereit gemacht.
Beträchtlich gerüstet und eisenfarben
wurden auf seinen Befehl hin viele Festgäste.
Jeder, der dort ein Gott genannt wurde,
der kam ihm sogleich zur Hilfe.
Obendrein hatte Priamus in großer Eile

[Es will mir nicht so recht gelingen, die Konstruktion der Verse 3472f. adäquat nachzubilden: Der Vers 3472 ist im Prinzip vollständig und seine Unvollständigkeit erweist sich erst, als der Vers 3473 beginnt. Dieser Vers wiederum betont den konkreten Sprechakt und die Schnelligkeit des Geschehens, denn alles passiert direkt im Anschluss an die gesprochenen Worte.]

Montag, 17. August 2015

3461-3470

und der hôchgezîte wirt,
›ir müezent werden hie verirt
des jungelinges hiute.
wâ sint nû mîne liute
und al mîn hôhez künne!
swer mir der êren günne,
daz ich behalte mînen prîs,
der helfe mir, daz Pârîs
ûf mînes lobes ungewin
niht werde alsus gefüeret hin!‹

und Gastgeber des Festes:
›ihr müsst hier und heute
den jungen Mann verlieren.
Wo sind nun meine Leute
und all meine hohen Verwandten!?
Jeder, der mir das Ansehen gönnt,
dass ich weiterhin anerkannt und bewundert werde,
der helfe mir, dass Paris
nicht einfach so zum Nachteil meines Ansehens
hinweg geführt wird!‹

[Der BMZ gibt mit Verweis auf diese Stelle »verlieren« für »verirren« an.]

3451-3460

Pârîsen lân in mîner pfliht.‹
›entriuwen, daz entuon ich niht!‹
sprach der künic wider in.
›den jungelinc den füer ich hin,
ob mir sîn gan diu frouwe sîn.
er muoz in dem gewalte mîn
frœlîche sîne tage verzern.
wer mir den gast getürre wern,
daz wirt versuochet âne spot.‹
›daz tuon ich,‹ sprach der werde got

Paris in meiner Obhut lassen.‹
›Glaubt mir, das werde ich nicht tun!‹
entgegnete ihm der König:
›der junge Mann, der kommt mit mir,
wenn seine Herrin ihn mir zugesteht.
Er muss unter meiner Herrschaft
fröhlich seine Tage verbringen.
Wer es wagt, mir den Gast zu verwehren,
der stellt mich auf die Probe – und zwar nicht im Scherz‹.
›Das tue ich‹, sprach der angesehene Gott

Donnerstag, 13. August 2015

3441-3450

sol ich dâ schicken sîniu dinc,
wan mir geviel kein jungelinc
sô wol in mînem muote nie.‹
›dêswâr, sô wær ich übel hie,‹
sprach aber dô her Jûpiter,
›swenn ir von Troye füerent her
und mir hie næment einen gast,
ûf den ich mîner fröuden last
mit hôhem vlîze hân geleit.
it sult durch iuwer hübescheit

werde ich dort seine Angelegenheit regeln,
denn noch nie hat ein junger Mann
bei mir einen so starken Eindruck hinterlassen.‹
›Wahrlich, so würde es mir schlecht ergehen‹,
sagte darauf aber Herr Jupiter,
›wenn ihr von Troja hierher kommt
und mir einen Gast nehmen würdet,
auf den ich die Fülle meiner Freude
mit großem Eifer ausgegossen habe.
Ihr sollt aufgrund eurer Höfischkeit 

[Bei Vers 3443 übersetze ich recht frei, um das, was hier mit »muot« markiert wird, im Neuhochdeutschen zumindest anzudeuten. Statt »last legen« übersetze ich »Fülle ausgießen«.]

Mittwoch, 12. August 2015

3431-3440

von sîner frouwen stiure.
Vênus, diu vil gehiure,
diu sîn gewaltic worden ist,
diu sol ir zuht bî dirre vrist
an mir bewæren und ir tugent.
sît über sîne clâre jugent
stêt ir gewalt breit unde wît,
sô lâze in von der hôchgezît
mit mir ze lande kêren.
nâch küniclichen êren

als Gabe seiner Herrin.
Venus, die überaus liebenswerte,
die seiner mächtig geworden ist,
die muss alsbald ihren Anstand und
ihre Tüchtigkeit mir gegenüber beweisen.
Da sie Macht hat, ganz und gar,
über seine helle Jugend,
möge sie ihn von dem Fest
mit mir nach Hause kommen lassen.
So, wie es königlichem Ansehen gebührt,

Dienstag, 11. August 2015

3421-3430

ein wunder sîn ze manne,
war umbe liez ich danne
kêren dich von mir alsus?‹
›nein herre,‹ sprach dô Prîamus,
›die rede lânt belîben.
ê liez ich mich vertrîben
von êren und von guote,
ê mir der vil gemuote
Pârîs niht würde in mîne pflege.
ich wil in haben alle wege

ein Wunder von einem Mann sein wirst,
warum sollte ich dich dann
von mir einfach so fortgehen lassen?‹
›Herr, nein‹, sagte Priamus darauf,
›hört auf, so zu reden.
Lieber ließe ich mich vertreiben,
weg von allem Ansehen und Besitz,
bevor der mir sehr liebe
Paris nicht in meine Obhut übergehe.
Ich will ihn restlos haben,

[V. 3420: »wellen« kann laut Lexer auch »als hilfsverb des futurums« gebraucht werden. »alle wege« (V. 3430) meint laut BMZ »überall, immer«; meine erste Übersetzungsidee war allerdings »koste es, was es wolle«.]

Montag, 10. August 2015

3411-3420

dâ von muoz er belîben hie.‹
mit disen worten er dô gie
zuo dem juncherren wol getân.
›Pâris,‹ sprach er, ›ich wil dich hân
z'eim ingesinde stæte;
dâ von er übel tæte,
swer dich enphlœhen wolte mir.
mîn hof geblüemet sol mit dir
nâch vollem wunsche werden.
sît daz dû wilt ûf erden

deshalb muss er hierbleiben.‹
Nach diesen Worten ging er dann
zu dem gutaussehenden jungen Herrn.
›Paris‹, sagte er, ›ich will dich dauerhaft behalten,
als Teil meiner Gefolgschaft.
Deshalb würde jeder bösartig handeln,
der dich mir rauben wollte.
Mein Hof muss mit dir so geschmückt werden,
wie man es sich nur wünschen kann.
Weil du auf Erden

Freitag, 7. August 2015

3401-3410

wan ich enwil sîn niht enbern.
er sol mich vröuden hie gewern
mit der hôchgebornen jugent.
geloubent, daz sîn reiniu tugent
wirt den von Troye wilde.
mîn hof mit sînem bilde
sol werden wunneclîche erlûht.
mich hât des wol an im bedûht,
daz nie sô glanzer jungelinc
kæm in dekeines landes rinc:

denn ich will auf ihn nicht verzichten.
Er muss mir hier Freude bereiten
mit der Jugend von hoher Abstammung.
Glaubt mir, dass seine reine Tugend
denen von Troja fremd sein wird.
Mein Hof muss mit seiner Person
herrlich erleuchtet werden.
Bei ihm hatte ich gewiss den Eindruck,
dass nie ein so strahlender junger Mann
in das Gebiet eines Landes gekommen ist;

Donnerstag, 6. August 2015

3391-3400

›Nu enwelle got,‹ sprach Jûpiter
›daz iemean sî dar umbe her
zuo mîner hôchgezît bekomen,
daz Pârîs werde mir benomen;
wan ich wil den süezen knaben
z'eim ingesinde selbe haben,
sît er von adel ist geborn.
ez sol der künic âne zorn
lân belîben, daz er sî
mir unde mînem lande bî,

›Da sei Gott vor!‹, sagte Jupiter,
›dass jemand deshalb zu meinem Fest
gekommen ist,
damit Paris mir genommen werde,
denn ich will den bezaubernden Knaben
selbst als Mitglied meiner Gefolgschaft haben,
da er von adeliger Geburt ist.
Der König muss sich – ohne zu zürnen –
damit abfinden, dass er bei
mir und meinem Land bleibt,

Mittwoch, 5. August 2015

3381-3390

und iuwer hûs gezieren.
den hof mac er flôrieren,
sam rôsen tuont ein ouwe.
Vênus, der minne frouwe,
mit willen iuch hie swachete,
sît si daz gerne machete,
daz Pârîsen Prîamus
füerte gegen Troye alsus
und iu den prîs benæme,
daz er von hinnen kæme.‹

und eurem Haus zur Zierde.
Den Hof kann er so schmücken
wie Rosen eine Aue zieren.
Venus, die Herrin der Minne,
missachtet euch hier absichtlich,
weil sie gerne dafür sorgen möchte,
dass Priamus den Paris
nun nach Troja bringt
und euch Lob und Anerkennung nimmt,
dadurch, dass er von hier wegkommt.‹

[Passt »missachten« für »swachen«?]

Dienstag, 4. August 2015

3371-3380

und ein schemelicher spot,
daz ein künic einen got
an êren überkæme
und im den gast benæme,
der blüemen solte sînen sal.
ir hânt doch rîcheit âne zal
und überhœhent elliu dinc,
wie liezen ir den jungelinc
alsus von hinnen kêren,
der iuch wol möhte gêren

und eine beschämende Schmach,
wenn das Ansehen eines Königs
höher stünde als das eines Gottes,
und jener ihm den Gast wegnähme,
der sein Haus zieren müsste.
Ihr habt doch unbegrenzte Macht und
unbegrenzten Reichtum und übertrefft alles,
wie könnt ihr zulassen, dass der jungen Mann
so einfach von euch fortgeht,
der euch sicher zur Ehre gereichen könnte

[Ein rastloser Monolog ist das, bei dem ich ständig das Bedürfnis verspüre, auch einmal einen Punkt einzufügen...]

Montag, 3. August 2015

3361-3370

wand ez iu wirt ein schande,
ob ir von disem lande
lânt füeren alsô wîsen knaben
und ir in selben niht behaben
getürrent noch enwellent.
ir veigent unde vellent
iuwer lop in alle wîs,
gestatent ir, daz Pârîs
belîbet hie ze hove niht.
ez wære ein wunneclich geschiht

weil es euch zur Schande gereicht,
wenn ihr von diesem Land
einen derart weisen Knaben wegbringen lasst
und ihr selbst ihn weder zu behalten
wagt noch dies wollt.
Ihr zerstört und vernichtet in jeglicher Hinsicht
das Lob, das euch zuteil wird,
wenn ihr zustimmt, dass Paris
hier am Hof nicht bleiben wird.
Es wäre ein seltsames Geschehen