Freitag, 9. Mai 2014

771-780

und mîner minne dich entwene,
sô daz dîn herze nâch ir sene
und mîn vergezzen müeze.‹
›nein, frouwe,‹ sprach der süeze,
›die sorge maht dû lâzen.
dû solt dich leides mâzen
und âne vorhte wesen vrô!‹
sus gienc er z‘einem boume dô,
der nâhe bî dem wazzer stuont,
ir tuonde, als die getriuwen tuont,

die dich meiner Liebe entwöhnen würde,
so dass sich dein Herz nach ihr sehnt
und mich vergisst.‹
›Nein, Verehrteste‹, sagte der Liebenswerte,
›auf die Sorge kannst du verzichten.
Du solltest im Leiden Maß halten
und ohne Angst froh sein!‹
Daraufhin ging er dort zu einem Baum,
der nahe am Wasser stand
und tat für sie, was die treu Liebenden tun,


[Im Neuhochdeutschen auszudrücken, was im Mittelhochdeutschen mit »vrouwe« gemeint ist, scheint mir kaum möglich zu sein – zumindest nicht in ein oder zwei Worten. Die Übersetzungen mit »Herrin« und »Dame« mögen oft passen; hier aber scheinen mir beide Übersetzungsmöglichkeiten schwierig zu sein. Deshalb habe ich mich für »Verehrteste« entschieden. Die Anrede ist etwas antiquiert, aber verständlich; zudem vermittelt sie Hochachtung und Konventionalität.

Die »Getreuen« (»getriuwen«) im Vers 780 übersetze ich mit den »treu Liebenden«, was inhaltlich wohl richtig ist, aber halt nicht im Text steht.]

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