Mittwoch, 28. Oktober 2020

13520-13569

13520

dô wart ir herze vröudelôs,
wan si gedâhte in hân verlorn.
diu frouwe schœne und ûz erkorn
mit leide sprach Schyrône zuo:
daz dich Gelücke sælic tuo!

13525

war ist mîn sun Achilles?
durch got bewîse dû mich des,
ob er noch iender lebende sî.
daz er niht wont dem hûse bî,
daz tuot mir trûren vil gedon.

13530

niht sorgent, sprach dô Schyron,
umb Achillen, frouwe guot.
sint vrœlich unde wolgemuot,
er wirt uns komende balde
ze hûse von dem walde,

13535

dar în ist er geloufen jagen.
er sol uns bringen unde tragen
vil tiere ûz dem gevilde.
er ist ein knabe sô wilde,
daz man vernam daz wunder nie.

13540

swenne ich wæne, daz er hie
bî mir in dem steine sî,
sô wont er dem gewilde bî
und würket vrevelîchiu werc.
er stîget manigen hôhen berc

13545

geswinder denne ein steinboc.
über stein und über stoc
siht man in balde klimmen.
diu starken und diu grimmen
tier bestât er mit gewalt.

13550

er tuot in schaden manicvalt,
wan er si vaste pînet.
daz er sô vrevel schînet,
daz ist mir ûzermâze leit.
sô gerne ein knabe nie gestreit,

13555

alsam er tuot noch hiute.
vrech unde starke liute
sint uns gesezzen nâhe bî,
die sint genant Zentaurî,
den wüestet er heid unde mos.

13560

die selben sint man unde ros
und sint an sterke mir gelîch.
doch sint si nie sô krefte rîch,
noch sô frevel, noch sô balt,
Achilles der entuo gewalt

13565

in allen, swenne er welle.
si clagent ungevelle
dicke und ofte mir von im.
vil grôzen schaden ich vernim,
der in geschehe von sîner hant.



13520

wurde ihr Herz freudelos,
denn sie dachte ihn verloren zu haben. 
Die schöne und auserwählte Dame
sprach bedrückt zu Cheiron:
„Möge dir das Glück hold sein!
  
13525

Wo ist mein Sohn Achilles?
Schwöre mir vor Gott,
dass er noch unter den Lebenden weilt.
Dass er nicht Zuhause ist,
das macht mich sehr traurig.“
 
13530

Cheiron sprach: „Sorge dich nicht 
um Achilles, gute Dame.
Seid froh und wohlgemut,
er wird bald aus dem Wald 
nach Hause kommen,

13535

wo er zum Jagen hingelaufen ist.
Er wird uns von dort 
viele Tiere bringen.
Er ist ein so ungezähmter Junge,
wie man es noch nie vernommen hat.
 
13540

Wenn ich glaube, dass er hier 
bei mir in der Höhle ist,
so ist er in der Wildnis und vollbringt
manche übermütige Tat.
Er klettert auf so manchen hohen Berg
 
13545

schneller als ein Steinbock.
Man sieht ihn über Stock 
und Stein klettern.
Die starken und gefährlichen Tiere
erliegen seiner Kraft.
 
13550

Er fügt ihnen Leid zu,  
denn er quält sie heftig.
Dass er so verwegen ist,
das betrübt mich sehr.
Nie kämpfte ein Junge lieber,
 
13555

wie er es heute noch tut.
Mutige und starke Männer,
man nennt sie Zentauren,
lagern in unserer Nähe,
denen verwüstet er Heide und Moos.
 
13560

Sie sind zugleich Mann und Pferd
und sie gleichen mir an Stärke,
doch sind sie weder so reich an Kräften
noch so mutig und kühn, 
dass Achill ihnen allen nicht Gewalt antut,
 
13565

wenn er will.
Sie klagen mir oft ihr Unglück,
das ihnen von ihm widerfährt.
Ich habe von großem Schaden gehört, 
der ihnen von seiner Hand geschehen ist.

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